Das Bild der Kirche wird von Klischees geprägt, die kaum mehr in Frage gestellt werden, weil fast alles Medien sie kolportieren. Im folgenden untersucht der Autor die Ursachen dieser Sichtweise.
Wie ist die Situation der Katholischen Kirche? Da gibt es in der Öffentlichkeit ein ganz strenges negatives Klischee - leider auch in der Kirche. Die Katholische Kirche, so sagt man, ist lustfeindlich, frauenfeindlich, undemokratisch, hierarchisch, unterdrückend, veraltet, romzentriert - überhaupt institutionell. Wer dieser Auffassung ist, kann das überall sagen. Da braucht man keine Argumente. Alle nicken und sagen: klar.
Sollten Sie aber an nur einem dieser Punkte auch nur geringfügig anderer Meinung sein, dann empfehle ich Ihnen, sich warm anzuziehen. Da müssen sie Argumente haben, denn dann kann es argumentativ schwierig werden. Es ist doch interessant, daß diese Thesen fast wie Dogmen aufrechterhalten werden.
Die Krise der Katholischen Kirche muß mit der Krise anderer Institutionen gesehen werden. Wir haben heute eine Krise der Gewerkschaften. (1996 sind 12 Prozent der Mitglieder aus irgendeiner der Mitgliedsgewerkschaften ausgetreten). Im gleichen Zeitraum sind aus der Katholischen Kirche in Deutschland 1,2 Prozent ausgetreten. In der Presse aber kann man dauernd etwas von Kirchenaustrittszahlen lesen.) Wir haben eine Krise der Politik, der Schule (ich behandle mehr Lehrer, die Angst vor ihren Schülern haben, als Schüler, die Angst vor ihren Lehrern haben). Wir haben eine Krise der Professoren-, der Ärzteschaft, der Polizei, des Militärs (da sind die Feindbilder verlorengegangen). Also überall Krisen von Institutionen. Dennoch glaube ich, daß die Krise der Katholischen Kirche einen besonderen Charakter hat.
In unserer Gesellschaft sind bekennende Katholiken inzwischen eine kleine Minderheit. Aber in der öffentlichen Aufmerksamkeit ist das oben erwähnte negative Klischee überproportional präsent. Da stellt sich die Frage: Woran kann das liegen? Im Zusammenhang mit der Beantwortung dieser Frage fiel mir das Buch Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft in die Hand. Darin beschreibt Alexander Mitscherlich, daß in der Massengesellschaft die Väterlichkeit in die Krise geraten ist. Was Sigmund Freud als die Eigenschaften der Väter beschrieben hat, sei in die Krise geraten, also die Einführung in die kulturellen Traditionen, die Vermittlung von Normen, Verantwortung, Moral).
Mir scheint, daß wir inzwischen am Ziel dieses Weges zur vaterlosen Gesellschaft angelangt sind. Wir sprechen in der heutigen Pädagogik von der inneren und äußeren Abwesenheit der Väter. Das Problem: Was geschieht dann mit der Pubertät? Der pubertäre Protest hat keine Adresse mehr. Es gibt nichts mehr, wogegen man in unserer Gesellschaft wirksam protestieren könnte, keinen standhaltenden Widerstand mehr - außer von einer einzigen Institution: der Katholischen, nicht der Evangelischen Kirche.
Diese These, was die Evangelische Kirche betrifft, stützt eine Information aus dem Jahr 1992. Damals waren Gründe für Kirchenaustritte aus der evangelischen Landeskirche Bayern: erstens der Papst, zweitens der Zölibat, drittens der Umgang mit Eugen Drewermann! Psychologisch ist das verständlich: Wenn der Kirchenaustritt ein Protest gegen “die da oben" ist, dann kann man das nur mit den üblichen klischeehaften, katholischen Protest-Themen. Ist man aber bedauerlicherweise nicht katholisch, so tritt man ersatzweise aus der Evangelische Kirche aus, begründet es aber mit den üblichen katholischen Themen - so jedenfalls meine Hypothese.
In dieser Gesellschaft können alle nicht gelebten “Vaterkisten" - wie es in der heutigen Jugendsprache heißt - beliebig an der Katholischen Kirche abgelassen werden. Daß an der Spitze dieser Kirche auch noch Männer stehen und ganz an der Spitze ein - Heiliger! - Vater, das läßt jedem Psychoanalytiker das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Alle nicht gelebten Proteste, allen Ärger kann man am Heiligen Vater loswerden.
Diese These wird gestützt durch folgende Beobachtung: Etwa vier Prozent der Äußerungen des jetzigen Heiligen Vaters betreffen das Thema Sexualität. Aber über 50 Prozent der Medienberichterstattung über päpstliche Äußerungen betreffen das Thema Sexualität. Das ist ein pubertäres Phänomen.
Pubertäre Jünglinge nämlich blättern Illustrierte durch, bis Sex kommt. Jetzt müssen Sie sich erwachsene Journalisten vorstellen: Sie blättern päpstliche Enzykliken durch, bis Sex kommt. Das ist doch ein Phänomen! So kann unsere Gesellschaft ihre nicht gelebte Pubertät am Papst loswerden. So entartet das Reden über die Katholische Kirche rasch in ein dämliches Sexualitätsgeschwätz. Reden Sie in der Öffentlichkeit über den Papst, so sind Sie spätestens beim dritten Satz bei “Kondom" - jedenfalls in Deutschland. Und das ist pubertär.
Erschwerend kommt hinzu, daß der jetzige Papst zu vielen Fragen originelle Dinge gesagt hat, etwa im Bereich der Katholischen Soziallehre. Im Bereich der Sexualmoral hat er nichts Originelles gesagt. Das hatten Paul VI. und Johannes XXIII. genauso gesagt. Nichts Neues also. Nun soll der Journalist normalerweise etwas Neues berichten. Aber hier geht es nicht um Neuigkeit, sondern es wird ein Ritus bedient. Damit man sich liberal fühlt, muß man gegen den Papst sein.
Insofern ist die Katholische Kirche für die Stabilisierung dieser Gesellschaft ganz wichtig. In der neuen Unübersichtlichkeit - wie Jürgen Habermas dies einmal genannt hat -, in der man nicht mehr weiß, wofür man ist, weiß man wenigstens wogegen man ist: gegen die Katholische Kirche. (...)
Auch der Blasphemie-Bedarf dieser Gesellschaft wird im Grunde genommen nur noch auf Kosten der Katholischen Kirche abgedeckt. Wir hatten im Jahr 1996 Nacktaufnahmen auf dem Hauptaltar des Kölner Domes. Wenn man heute einen Skandal machen will - etwa am Theater - so bekommt man das ja kaum noch hin. Wenn jemand nackt auf der Bühne auftritt, ist das ja kein Skandal mehr. Wie macht man also einen Skandal?Da ist keine andere Institution möglich als die Katholische Kirche. Daher gibt es eine enorme Aggressivität auf die Katholische Kirche.
Diese Aggressivität interagiert mit dem innerkirchlichen Kontext. Die Katholiken haben das Problem: Sie können nicht gegen die Katholische Kirche protestieren. Aber weil man eben auch so seine Aggressionen hat, geht es innerhalb der Kirche um das Kirchenbild der jeweils anderen Fraktion, also konservativ-progressiv.
Interessant ist, daß es da eigentlich keinerlei ökumenischen Fortschritt gibt. Zwischen den Konfessionen hat sich da einiges gebessert. Da sind viele Vorurteile gefallen. Aber mit der gleichen Aggressivität, die früher zwischen den Konfessionen geherrscht hat, reden heute Progressive über Konservative und Konservative über Progressive. Wir tragen da den konfessionellen Konflikt weiter. Die Vorstellung der Lösung bei den Progressiven lautet: Wenn doch die Konservativen endlich progressiv werden! Dann sei das Problem gelöst. Und viele Konservative sehen das genau umgekehrt.
Der Autor ist Facharzt für Psychiatrie, Theologe, Chefarzt in Köln, sein Beitrag ein Auszug aus seinem Vortrag “Der blockierte Riese" am 14.11.99 in Linz (Kassette zu beziehen: Christlicher Medienversand, Waltherstr. 21, 4020 Linz, Tel/Fax: 0732 788117.
Empfohlen sei auch das Buch von Lütz: Der blockierte Riese.
Diese und andere Bücher können bezogen werden bei: Christoph Hurnaus, Waltherstr. 21, 4020 Linz, Tel/Fax: 0732 788 117; Email: hurnaus@aon.at