Wenn das Thema Kirche angesprochen wird und die Frage auftaucht: Was müßte sich denn eigentlich ändern?, bekommt man Antworten, die so regelmäßig wiederkehren, daß viele sie gar nicht mehr so richtig infrage stellen. Erst bei genauerem Überlegen wird klar, daß vieles alles andere als selbstverständlich ist.
In der Kirche muß man endlich offen über auch heikle Fragen diskutieren können. Man kann bestimmte Themen wie Sexualität, Rolle der Frauen, Beteiligung der Laien in der Kirche nicht länger unter den Teppich kehren und alle Diskussionen abwürgen.
Wer könnte ernsthaft etwas gegen das Aussprechen von Fragen, auch wenn sie heikel sind, haben? In der Kirche muß man alles fragen dürfen. Nur - wer hat solche Gespräche jemals verboten? Und: Wer kann ehrlich behaupten, die “heißen Eisen" (Zölibat, Weihe der Frauen, Wiederverheiratung Geschiedener...) würden totgeschwiegen? Sie sind doch Dauerbrenner in den Medien, auch in vielen kirchlichen. Es gibt kaum ein Interview mit einem Bischof oder einem Theologen, in dem nicht irgendeines dieser Themen zur Sprache käme. Immer wieder dieselben Fragen.
Was fehlt, ist die Bereitschaft, die Antworten der Kirche endlich ernstzunehmen. In den letzten Jahrzehnten wurden alle einschlägigen Fragen beantwortet - und die Antworten gut begründet. Die immer wieder neu erhobene Forderung nach Dialog wird so zum Ritual, zu einem Vorwand, den eigenen Dissens zur Lehre der Kirche immer wieder zu artikulieren - und das seit Jahrzehnten.
Die Kirche kann nicht weiterhin alles hinter verschlossenen Türen beschließen und die Laien vor vollendete Tatsachen stellen.
Die bis tief in die Kirche hinein reichende Ablehnung der kirchlichen Lehre, die sowohl Laien im kirchlichen Dienst wie auch manche Geistliche an den Tag legen, sorgt von selbst dafür, daß kaum etwas heimlich im stillen Kämmerlein beschlossen werden kann. Abgesehen davon muß immer wieder in Erinnerung gerufen werden, daß die Kirche nun einmal keine parlamentarische Demokratie ist - und selbst in dieser wird vieles im kleinen Kreis und nicht im Plenum beschlossen. Es gehört nun einmal zum Wesen der Kirche, daß sie hierarchisch geordnet ist. Dem Papst und den Bischöfen, dem Lehramt, ist vom Herrn die Aufgabe übertragen worden, Seine Botschaft unversehrt durch die Zeit zu tragen. Die Sicherheit, durch das Lehramt in der Wahrheit gehalten zu sein, ist ein unschätzbares Geschenk an die Gläubigen. Auf diese Weise bleiben sie davor bewahrt, sich ihren Privatglauben als kleinen Götzen zu zimmern.
Man muß Mißstände aufdecken und anprangern. Die Kirche neigt dazu, alles unter den Teppich zu kehren.
An dieser Aussage ist - wie an den anderen auch - einiges wahr. Um der Harmonie willen darf man nicht alles tolerieren. Der Mißstand im St. Pöltener Priesterseminar mußte unbedingt abgestellt werden. Wir dürfen uns nicht häuslich neben der Sünde einrichten und wegschauen. Es geht ja um das Heil der Beteiligten, jener, die für die Mißstände verantwortlich sind, und jener, die unter ihnen leiden. Der Herr selbst fordert uns auf, fünf nicht gerade sein zu lassen: “Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen. Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei Männer mit, denn jede Sache muß durch die Aussagen von zwei oder drei Zeugen entschieden werden. Hört er aber auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde. Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner" (Mt 18,15-17).
An die Öffentlichkeit zu gehen, sollte also erst der letzte Schritt sein. Und selbst dann sind profil und News nicht die besten Adressen. Es ist die Gemeinschaft der Gläubigen. Und noch etwas: Es geht vor allem darum, den Bruder zurückzugewinnen. Kritik hat also vor allem ein positives Anliegen. Und der Anlaß für Kritik sollte sein, daß jemand gesündigt hat. Nicht jeder Dissens berechtigt, ihn öffentlich auszutragen.
Der Heilige Geist wirkt in allen Christen.
Ja, Gott sei Dank dafür. Und das, was der Geist in jedem einzelnen wirkt, ist von größter Bedeutung für die Kirche. Das ist unbestritten. Nur ist nicht jede Intuition schon Gabe des Heiligen Geistes. Man erkennt Sein Wirken, an den Früchten (siehe auch die Seiten 24-25). Diese Früchte zählt der Apostel Paulus auf: “Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung... (Gal 5,22) Das Wirken des Heiligen Geistes drängt jedenfalls zur Einheit in der Kirche. Sie ist ja das große Zeugnis, durch das die Welt erkennen kann, daß der Vater den Sohn gesandt hat. (vgl. Joh 17,21)
Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Heute darf sich jeder eine Meinung bilden. Mündige Christen bilden sich ihr Urteil selbst.
Mündigkeit ist ein juristischer Begriff: Mit dem Erwachsensein wird der Bürger als selbständig handlungsfähig angesehen und für seine Handlungen verantwortlich gemacht. Mündig ist man also vor dem Gesetz. Aber wie sieht es mit der Mündigkeit in der Kirche aus? Sicher: Wir kommen zum Teil aus einer Zeit des Klerikalismus. Er hat der Würde des Laien nicht ausreichend Rechnung getragen. Diese Fehlhaltung wurde im Zweiten Vatikanischen Konzil abgebaut. Die letzten Päpste sind nicht müde geworden, auf die Bedeutung der Laien für Glaube und Kirche hinzuweisen. Viele Erneuerungsbewegungen haben diese Appelle aufgegriffen. Laien stehen heute an der vordersten Front der Evangelisierung, sie vertiefen ihren Glauben durch Studium oder Lesen der Heiligen Schrift. Sie sind aufgerufen, zu brennenden Fragen der Gesellschaft in Politik, Wirtschaft und Familie Stellung zu beziehen, Zeugnis von ihrem Glauben zu geben. Weil der Christ aber Gott gegenüber keineswegs mündig ist, wird er auch dankbar für Gottes Wegweisungen sein - gerade in einer so verwirrenden Zeit wie der unseren. Diesen Dienst der Wegweisung hat Jesus Christus den Aposteln und deren Nachfolger anvertraut. Im Vertrauen auf das Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche dürfen wir deren Lehren in den wesentlichen Fragen vertrauensvoll annehmen. Wir sind der Last enthoben, uns in allem und jedem selbst ein Urteil bilden zu müssen.
CG