Und eines Tages bleibt man als Paar allein zurück. Nach Jahren, in denen sich fast alles um die Kinder gedreht hat, haben diese das Haus verlassen - eine Situation, mit der viele Eltern schwer zurechtkommen.
Gespräch mit der Autorin eines Buches zum Thema “Leeres Nest".
Wie kann man dieses “Leeres-Nest-Syndrom" beschreiben?
Rosine Bramly: Es ist eine Art “Baby-Blues". Eltern erleben das, wenn die Kinder ausziehen, um irgendwo zu studieren oder weil sie sich selbständig machen. Plötzlich ist alles im Haus still, keine Unordnung mehr. Auf einmal stehen sich die Eltern gegenüber. Die Symptome ändern sich von Fall zu Fall. Entweder wird eine Hyperaktivität entwickelt (manche stürzen sich in humanitäre Aktionen, um ihren “Überschuß" an Liebe irgendwo einzubringen) oder man gerät in eine depressive Grundstimmung (plötzlich muß man für sich selbst leben und das scheint ganz und gar nicht interessant zu sein). “Die Welt gehört mir, aber mir allein", stellt einmal ein Mann nach dem Auszug der Kinder fest.
Leiden denn alle Eltern?
Bramly: Alle! Einige aber gestehen es sich nicht ein, sie rationalisieren das Geschehen, wollen es nicht sehen. Ich habe niemanden kennengelernt, dem die Erfahrung erspart blieb - außer vielleicht Paare, die keine enge Beziehung zu den Kindern hatten. Vater und Mutter drücken es im allgemeinen nicht auf dieselbe Art aus. Bei der Frau ist die Bindung - also auch der Einschnitt - viel intensiver. Aber auch Männer leiden. Einige gestehen, deprimiert, nicht ausgelastet zu sein. Die meisten allerdings sind bemüht, ihre Gefühle zu verbergen. Ich habe ein Paar kennengelernt, da kam der Vater von dem Tag an, als die Kinder auszogen, früher nach Hause. Während er in Lethargie verfiel, entwickelte seine Frau eine ungeahnte Aktivität und startete eine Reihe von Projekten in der Nachbarschaft.
Es heißt ja, die Kinder gehörten uns nicht. Wie aber bereitet man sich gut auf die Trennung von ihnen vor?
Bramly: Man darf einfach die Vorstellung, daß das Kind einmal weggehen wird, nicht verdrängen. Ein weiterer Fehler: Sein Leben nur auf die Kinder auszurichten ohne anderen Bezugspunkt. Das ist der sicherste Weg, um in einer tiefen Depression zu landen, sobald sie weggehen. Es ist gut, an seinem Eheleben zu arbeiten, das Gespräch mit dem Partner, persönliche Freundschaften und solche mit anderen Paaren zu pflegen. Die Kinder während der Ferien zu anderen Familienmitgliedern oder zu Aufenthalten ins Ausland zu schicken, ermöglicht es den Eltern, sich an das Loslassen zu gewöhnen. (...)
Wie kommt man nach dem Weggehen der Kinder wieder auf die Beine?
Bramly: Nach Jahren, in denen sich alles um Einkäufe, Wäschewaschen, Hausaufgaben, außerschulische Aktivitäten mit endlosen Wochenenden gedreht hat, muß man sich wieder die Zeit aneignen: Die Kinder sind nicht mehr im Zentrum der Wochenpläne. Jetzt ist Zeit, sein Leben zu organisieren, ohne auf sie zu warten. In das von einem Kind verlassene Zimmer zu kommen, bricht vielen das Herz: Es gibt einem einen Stich beim Anblick all der Gegenstände, seiner Lieblingssachen, seiner Poster. Ist der Auszug endgültig, sollte man den Haushalt unbedingt neu organisieren. “Ich habe in seinem Zimmer alles gelassen, wie es war", seufzen Mütter nostalgisch: Das spürt dann das Kind und hat den Eindruck, daß sein Weggehen nicht wirklich akzeptiert worden sei. Da rate ich, ohne Zögern etwas zu unternehmen.
Anfangs sind die Kinder ja so froh fortzukommen, daß sie wirklich auf Distanz gehen. Sie wollen sich selbst beweisen, daß sie ohne uns auskommen, rufen drei Monate lang nicht an. Für Eltern ist das ganz schwer zu ertragen. Ist es da nicht besser, selbst eine Urlaubswoche mit dem Ehegatten oder bei einer guten Freundin vorzusehen, um auf andere Gedanken zu kommen? Das Kind soll nicht den Eindruck haben, unser Leben stehe nach seinem Auszug still. Das würde die Flugversuche des jungen Vogels nur erschweren.
Wie kann man sein Gleichgewicht wieder finden, wenn man sehr Mutter gewesen ist?
Bramly: Nicht einfach. Diese Frauen halten meist sehr engen Kontakt. Sie steigen alle paar Tage in den Zug, um ihr Kind zu sehen, sich um seine Wäsche zu kümmern oder es mit Leckerbissen zu versorgen. Um aus dieser schwierigen Situation herauszufinden, brauchen sie eine Herausforderung, die jener ähnelt, als sie noch Kinder hatten. Ich habe eine Frau kennengelernt, die einen Imbiß aufgezogen hat, weil sie eine hervorragende Köchin war. Sie wollte jetzt andere ernähren.
Was kann man tun, damit der Abschied gut über die Bühne geht?
Bramly: Ideal ist ein vorbereiteter Abschied. Alle sind mit den Plänen des Kindes einverstanden. Man hat im voraus darüber gesprochen, der junge Mensch hat klare Vorstellungen wie es studienmäßig oder beruflich weitergehen soll. Das verhindert allerdings nicht, daß es einen manchmal bei Gedanken an den Abschied des Kleinen drückt - selbst wenn es sich nicht um ein Einzelkind handelt. Am schwierigsten ist es beim ersten Kind. Ein Wendepunkt! Eltern meinen dann, sie machten es besonders gut, wenn sie alles in die Hand nehmen: bei der Auswahl der Tapete, der Sitzbank und der Vorhänge. Sie dürfen sich nicht wundern, wenn das auf diese Weise entmündigte Kind sie bei Änderungen nicht am laufenden hält...
Wie hält man mit den Kindern Kontakt?
Bramly: Nur selten wird das Kind nicht von selbst zurückkommen. Je mehr man dem Kind das Weggehen erleichtert, umso lieber wird es wiederkommen. Allerdings muß man ihnen dazu die Initiative überlassen. Mädchen halten meist enger Kontakt mit den Eltern - fast täglich, vor allem mit der Mutter und per Telephon. Sie rufen eher an, wegen Kleinigkeiten, einfach um zu tratschen, um zu zeigen, daß es sie gibt und daß sie ihre Eltern immer noch gern haben. Mit Burschen ist es anders. Bei einigen wirkt das Weggehen wie ein endgültiger Abschied, so wenig hört man von ihnen im Gefolge. Bei Burschen ist die Periode der Ablösung meist sehr unterkühlt. Das ist die Art, wie sie die Nabelschnur durchschneiden. Ist der große Junge dann zum Mann herangewachsen, wird die Beziehung wieder geknüpft.
Viele Frauen fürchten sich davor, nun allein mit ihrem Mann zu sein...
Bramly: Viele Frauen haben Angst vor dieser emotionalen Intimität - aber auch viele Männer. Einander ohne den Paravant der Kinder zu begegnen, ängstigt viele. Ich kenne Frauen, die sich nach dem Weggehen der Kinder scheiden ließen, aus Angst vor der Situation, daß man sich als Paar nichts mehr zu sagen hatte. Daher ist es so wichtig, die Paarbeziehung zu pflegen. Man hat sein Leben ja mit seinem Partner aufgebaut, nicht mit den Kindern. Jetzt wenn Sie füreinander Zeit haben, gehen Sie doch Hand in Hand, sagen Sie einander, daß Sie sich lieben, entdecken Sie, wie jung Ihr Herz und Ihr Geist doch sind!
Das Gespräch mit Rosine Bramly, der Autorin von "Mais pourquoi tu veux déjà quitter ta
mère?" ("Warum willst Du denn Deine Mutter schon verlassen?" Verlag Ramsay) führte Florence Brière-Loth in Famille Chrétinne Nr. 1392.