Überschwemmt von Ideologien, Heilslehren und religiösen Angeboten, verliert man heute leicht den Überblick: Was ist wirklich lebensträchtig? Jesus Christus gibt uns eine wichtige Orientierungshilfe: An den Früchten erkennt man den Baum (Mt 7,18). Der folgende Beitrag versucht, aufgrund persönlicher Erfahrungen die auch heute allgemeine Gültigkeit dieser Regel zu zeigen: Überzeugungen und Taten hängen eng zusammen.
Zuerst einige Erlebnisse: Vor etwa zwei Jahren hielt ich in einer kleinen Kärntner Gemeinde einen Firmunterricht ab. Dabei ging es um das Thema Glauben und Handeln. Die Fragen waren: Warum engagieren sich viele Christen in Werken der Nächstenliebe, der “caritas"? Warum gibt es diese Nächstenliebe überhaupt?
Um die Antworten gleichsam aus den Firmlingen selbst hervorzuholen, fragte ich einen von ihnen, ob es auch in anderen Religionen so etwas wie Nächstenhilfe, Nächstenliebe, eben caritas in unserem Sinn, gäbe. Die schlagfertige Antwort lautete: “Nein, sonst würden sie nicht uns brauchen."
Schau an, so prägnant hatte ich es noch nie gehört. Um dem noch weiter auf die Spur zu kommen, habe ich meinen Gesprächspartner gefragt, welche Religionen er denn noch kenne. Die Antwort war einigermaßen überraschend: “Satanismus". Ob er denn glaube, daß es dort Unterstützung für Bedürftige und opferbereite Nächstenliebe gäbe? Nach kurzem Nachdenken (“dumme Frage!") verneinte er - völlig wahrheitsgemäß.
Auf diese - nur scheinbare - Trivialität wollte ich freilich hinaus: Sie läßt anhand eines Extremfalles die innerste Verbindung von Einstellung und Handeln erkennen. Wie sollte auch, wie im Falle des Satanismus, eine bewußte Entscheidung zum Bösen Gutes hervorbringen?
Aber: Gilt dieser Zusammenhang auch in anderen Fällen?
Ein zweites Erlebnis: Während eines längeren Aufenthaltes in Bosnien habe ich etliche Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen kennengelernt, die in mehr oder weniger humanitärer Mission im Land waren. Dabei beobachtete ich, daß die Hilfe normalerweise umso konkreter jemandem genützt hat, je ausdrücklicher eine Organisation im christlichen Glauben gründete, oder wenigstens je stärker die einzelnen Mitarbeiter aus einem christlich geprägten Ethos heraus handelten.
Dabei waren es oft kleinere Initiativen, die sehr wirkungsvoll Hilfe leisteten (z. B. die jetzige Salzburger Landesrätin Doraja Eberle, eine bekennende Katholikin, mit ihrer Aktion “Bauern helfen Bauern").
Bei etlichen der zahlreichen weltlichen (privaten, staatlichen oder staatlich subventionierten) Organisationen war nicht klar, was sie eigentlich konkret für die Leute tun. Manche werden eben auch nichts gemacht haben. (Verschiedene internationale Organisationen mit humanitärem Anschein sind ohnehin nicht an karitativer Hilfe, sondern an Bevölkerungskontrolle und Abtreibung interessiert.) Christliche Gruppen sind demgegenüber oft über Schulen, Hausbesuche, Pfarreinrichtungen u. dgl. sehr nahe am Hilfsbedürftigen und können dadurch direkt helfen. Aber eben: Warum sind diese mit soviel Interesse nahe am Menschen und andere nicht?
Schließlich ist mir unlängst ein aufschlußreicher Zeitungsartikel untergekommen. Darin hieß es sinngemäß, daß es “nicht gestattet" sei, Religionen miteinander zu vergleichen. Man dürfe etwa deren Leistungen für den Menschen im karitativen Bereich, nicht gegeneinander abwägen. Es sei “unfair", Religionen zu “bewerten" (oder so ähnlich). Aber - warum eigentlich?
Diesen Beobachtungen entnehme ich zweierlei: Einerseits können offenbar nicht alle Weltanschauungen, Ideologien und Religionen von ihren eigenen Voraussetzungen her Menschenrechte, Nächstenliebe, ein gedeihliches Zusammenleben von Menschen und den Einsatz für den Notleidenden begründen. Diese - an sich simple - Einsicht gerät heutzutage leicht aus dem Blick, weil wir immer noch in einer nachchristlichen Kultur vom Restbestand an christlichen Werten zehren (deren Wurzeln wir aber immer mehr abschneiden).
Dazu drei kurze Beispiele, die für das gegenwärtige Zeitgefühl beispielhaft sind: Wer erstens allen Ernstes glaubt, daß der Mensch das zufällige Produkt einer sinnlosen Evolution sei und somit letztlich nur ein besonders komplizierter Zellhaufen, der wird ihn früher oder später auch so behandeln. Er wird ihn im vor- oder auch nachgeburtlichen Stadium für Experimente und angeblich menschenfreundliche Forschungen mißbrauchen, ihn sonstwie in lebenswertes und lebensunwertes Leben einteilen oder einfach töten, wenn es ihm paßt.
Wer zweitens, wie im Hinduismus, vorbehaltlos daran glaubt, daß der Mensch sein “Karma" aus “vorherigen Leben" durch Leiden selbst abzuarbeiten hat, der wird sich konsequenterweise auch nicht um einen Schwerkranken kümmern können, wenn er ihn in der Gosse liegen sieht. Diese Zuwendung zum Verlassenen und Todkranken passiert folgerichtig offenkundig dort nicht, wo der Hinduismus herrscht. Dafür bedurftte es in Indien einer albanischen Ordensfrau, die für Kranke und Sterbende Heime errichtete und ihnen eine menschenwürdige Behandlung ermöglichte. (Gegen diesen Verstoß gegen das Karma-System gibt es bis heute viel Widerstand.)
Wer schließlich drittens ernsthaft an die Botschaft des Koran glaubt, in dem es heißt: “O ihr, die ihr glaubt, nehmt euch nicht die Juden und Christen zu Freunden." (Sure 5, 51) und: “Und wenn ihr die Ungläubigen trefft, dann herunter mit dem Haupt, bis ihr ein Gemetzel unter ihnen angerichtet habt." (Sure 47, 4), der wird sein persönliches Verhalten und - als Kultur - sein Gesellschaftssystem danach ausrichten. Daher ist die Unterdrückung und Verfolgung von Juden und Christen, besonders der Konvertiten, in den meisten islamischen Ländern auch keine politische Laune, sondern ein unaufgebbarer Teil eines religiös-politischen Systems...
All das macht deutlich, wie sehr religiöse und ideologische Überzeugungen Auswirkungen auf die private und gesellschaftliche Praxis haben müssen.
Aus den eingangs erwähnten Beispielen gelangt man noch zu einer anderen Schlußfolgerung: Nicht nur die Ideologien und Religionen haben ihre Konsequenzen, auch das Handeln einer Einzelperson geht nur so weit, wie die Überzeugung reicht. Was jemand tut und läßt, ist ein untrügliches Zeichen seiner Einstellungen. Es zeigt an, was für ihn wirklich von Bedeutung ist. Reden kann man über vieles. Im Handeln zeigt sich aber die Wirklichkeit der Person. Entweder der Mensch entfaltet sich im sittlichen Tun oder er verkümmert.
Ein Aspekt ist dabei besonders zu beachten: Es geht nicht nur darum, was jemand tut, sondern auch darum, wie er es tut. Ein besonders sprechendes Beispiel ist der professionelle Dienst am Kranken. Ich kenne nicht wenige Ärzte, Schwestern und Pfleger, die in ihrem sorgfältigen und engagierten Tun zeigen, was ihnen wirklich von Bedeutung ist.
Warum wohl bevorzugen überdies viele alte und pflegebedürftige Menschen ein Ordensspital oder ein geistliches Pflegeheim gegenüber weltlichen Einrichtungen? Wenn auch in einer geistlichen Einrichtung menschliche Schwächen und Fehler vorkommen, so ist doch offenbar die Chance höher, auf Menschen zu treffen, denen der Kranke aus Überzeugung ein persönliches Anliegen ist. Eigentlich ist das eine Binsenwahrheit, denn: Wer im Kranken dem Herrn selbst dienen will (Mt 25, 36), muß sich zwangsläufig anders verhalten, als jemand, der - siehe oben - den Kranken als Produkt einer zufälligen Evolution oder als kurzfristige Verkörperung einer Seele im Rad der Wiedergeburten betrachtet.
Heute ist es dem öffentlichen Bewußtsein offenbar entschwunden, daß die Krankenpflege in Hospitälern eine christliche Erfindung ist. Wir zehren heute noch von diesem Erbe. Zu ihm sollten wir uns bekennen.
Was bedeutet das Gesagte für unsere heutige Praxis? Mindestens drei Dinge werden von uns verlangt:
* Zum einen muß man immer wieder daraufhinweisen: Theoretische Einstellungen bestimmen das praktische Tun - früher oder später. In der Öffentlichkeit propagierte Meinungen sind deshalb daraufhin zu untersuchen, was ihre Anwendung im Handeln bedeuten würde.
Ein Literat, dessen Werk hauptsächlich aus Hohn und Spott besteht, zerstört die sittliche Einsicht und untergräbt die Motivation zum Guten. Ein Philosophieprofessor, der - rein theoretisch - die Erkennbarkeit und die Verpflichtung des Guten ablehnt, reißt die Mauer nieder, die den Menschen vor dem Menschen schützen soll. Ein angesehener Arzt, der sich von der überlieferten Moral mit ihrer absoluten Verpflichtung, das menschliche Leben zu schützen, verabschiedet, wird sich zum Herrn über Leben und Tod aufwerfen und Geschäfte mit Experimenten am ungeborenen Menschen (“Zellhaufen", “Stammzellen") machen. Dem muß entgegengetreten werden.
* Ein zweites: Auch die Frage in die Gegenrichtung ist zu stellen: Wo finden wir die guten Früchte? Wer hat sie warum hervorgebracht? Wo hat sich jemand aufgrund welcher Vorentscheidungen bewährt? Die am Schreibtisch ersonnenen Ideologien sind frei erfunden und haben sich im konkreten Menschenleben noch nie bewährt - und können es auch nicht. Zu den frei erfundenen Ideologien gehören auch die Modetheologien des 20. Jahrhunderts. Welche von ihnen hat schon heroische Nächstenliebe, Aufblühen der Orden, Heiligung der Laien, Bereitschaft zum Martyrium, missionarischen Impuls hervorgebracht?
Man kann es ja in der Praxis beobachten, welche Früchte Ideologien, Pseudotheologien oder falsche Kulte hervorbringen, wenn man sie nur gewähren läßt. (Eine Anmerkung ist zu machen: Viele Menschen handeln oft besser, als es ihre Weltanschauung vorschreiben oder zulassen würde. Sie können die Konsequenzen ihrer Überzeugungen doch nicht in die Praxis umsetzen. Ihre Einstellung ist dann eben eine andere als die, die sie nach außen hin vertreten.)
* Und drittens, für den persönlichen Bereich des Christen gilt: Wer sich für einen Christen hält, muß selbstverständlich in seinem Handeln zeigen, daß er zuerst das Reich Gottes sucht. Das schlägt sich in der Zeiteinteilung nieder, in den konkreten Tätigkeiten, im Finanzgebaren, in der Wortwahl u. dgl. Keiner kann sagen, er versuche sein Leben an Gott auszurichten, wenn er sich keine Zeit für Gebet, Studium des Glaubens in der Hl. Schrift und den kirchlichen Lehrdokumenten sowie für das karitative Handeln nimmt. Dabei wirkt letzteres wiederum auf den Glauben zurück und stärkt die Gottesbeziehung.
Um gute Früchte zu bringen, ist es unerläßlich, dauernd an der eigenen Einstellung zu arbeiten und das innere Leben in Gebet und Betrachtung zu pflegen, den Glauben zu erneuern und zur dauernden Umkehr bereit zu sein. Denn ohne Pflege des “inneren Baumes" wird es keine guten Früchte nach außen geben, nicht in der Theologie, nicht in den Werken der caritas, nicht im bürgerlichen Umgang, nicht in der Gesellschaft und nicht in der Politik. Und an den Früchten erkennt man den Baum.