VISION 20001/2005
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Der Hl. Bernhard von Clairvaux

Artikel drucken Botschaft an uns (Von Bernhard Eckerstorfer OSB)

Als Abt Bernhard am 20. August 1153 in Clairvaux im Kreis seiner 700 Mönche starb, verlor das abendländische Mönchtum eine seiner genialisten Gestalten. 68 Klöster waren direkt von Clairvaux aus gegründet worden, andere von dortigen Mönchen neu belebt oder in den Verband aufgenommen, der beim Tode Bernhards 168 Abteien zählte. Eigentlich müßten die Zisterzienser Claraevallenser oder Bernhardiner heißen, meint deshalb der Bernhard-Kenner Jean Leclercq.

Bernhards Einfluß ging aber weit über seinen Orden hinaus. Er war eine so außergewöhnliche Persönlichkeit, daß man schon zu seinen Lebzeiten ausgeschmückte Heiligenviten über ihn verfaßte. Er galt als Bestsellerautor des 12. Jahrhunderts, dessen erste Hälfte noch heute Historiker als Bernhardinisches Zeitalter bezeichnen. Auch der aufkeimenden Neuzeit hatte es der weiße Mönch aus der Champagne angetan: Erasmus von Rotterdam zählte Bernhards Hoheliedauslegungen zu den besten zehn Werken der Weltliteratur.

Aufgrund seiner Predigtkunst wurde er doctor mellifluus genannt (“honigfließender Lehrer"), weshalb er oft mit einem Bienenkorb dargestellt ist. Er war ein gesuchter Berater von Königen, Bischöfen und Päpsten, wollte aber selbst sein Kloster nicht gegen die ihm angebotenen Bistümer Mailand, Genua, Reims, Langres oder Troyes eintauschen. Sieht man genauer hin, verbirgt sich hinter all diesem Ruhm ein erhabenes und gebrochenes Lebenszeugnis sowie ein Meisterwerk, das uns heute noch viel zu sagen hat.

1091 auf dem Familienschloß als drittes von sieben Kindern geboren, war Bernhard für eine kirchliche Karriere vorgesehen und erhielt dementsprechend eine klassische lateinische Ausbildung. In seiner Jugend verlor er die Mutter und wollte sich tief getroffen fortan nur noch Gott widmen. Dies dürfte ihn aber kaum davon abgehalten haben, zwischen seinem 18. und 22. Lebensjahr mit anderen jungen Adeligen herumzuziehen. “Er ist hin- und hergerissen zwischen dem, was die Seinen für ihn wünschen, und einem Ruf, der von weiter her kommt" (J. Leclercq).

Was Bernhard zunächst in seiner engsten Umgebung auslöste, kann heute nur verwundern: Er gewinnt sämtliche Geschwister für das Klosterleben. Sein ältester Bruder Guido und seine Schwester Humbeline waren sogar schon verheiratet gewesen. Der Anziehungs- und Überzeugungskraft Bernhards kann sich auch sein Umkreis nicht entziehen. 30 Verwandte und Freunde folgen ihm in ein Landhaus der Familie, wo sie sich einer sechsmonatigen Einübung ins klösterliche Leben verschreiben. 1113 tritt die Gruppe geschlossen ins burgundische Reformkloster Cîteau ein (von daher kommt der Name Zisterzienser).

1115 sandte man den nur 25jährigen zur Gründung des Tochterklosters Clairvaux aus, dessen Abt er 38 Jahre lang sein sollte. Bald weitete sich sein Einfluß auf die kirchliche und herrschaftliche Welt Frankreichs aus. In den über 500 erhaltenen Briefen begegnet uns Bernhard als mutiger Kämpfer. Sein Gerechtigkeitssinn ist ebenso ausgeprägt wie sein Humor. Bereitwillig nimmt er sich der Probleme anderer an und nützt seine vielen Kontakte zum Wohlergehen gerade auch einfacher Menschen. Mehrmals bedrängt er etwa einen Bischof, sich eines unschuldig Verurteilten anzunehmen. Entschieden, liebenswürdig und entwaffnend verschweigt er Unrecht und Mißstände nicht. Er spricht eine deutliche Sprache auch zu Höhergestellten. In einem Mahnbrief antwortet er beispielsweise auf eine Zurechtweisung, “daß ich einfacher Mönch kein Recht habe, über die Bischöfe zu urteilen? Dann aber schließ mir die Augen, damit ich nicht sehe, was zu kritisieren Du mir untersagst".

Im Zuge des Papstschismas 1130 betritt Bernhard die Weltbühne. Während beide Päpste versuchten sich durchzusetzen, war der reisefreudige Mönch aus dem “hellen Tal" für viele eine Art von Ersatzautorität geworden; ihm trauten sie zu, die kirchliche Lähmung zu überwinden.

Nachdem die Kirchenspaltung überwunden war, wurde es keineswegs still um den Abt. Immer öfter rief man ihn zu Streitigkeiten oder erbat seine theologische Expertise. Wiederholt klagt er in seinen Schriften, zu nichts mehr Zeit zu haben. Er sehnt sich nach einem stillen Klosterleben.

Doch er selbst kann offenbar nicht davon lassen, seinen Einfluß geltend zu machen und für den Glauben zu kämpfen. So läßt er sich von Papst Eugen III., einem Schüler und früheren Mönch in Clairvaux,
überzeugen, den zweiten Kreuzzug zu predigen. Vor dem französischen König Ludwig VII. hält er eine so flammende Predigt, daß dieser ein großes Heer gegen die Sarazenen aufbietet.

Für den Papst, Bernhard und einen guten Teil der Christenheit schien es unverzichtbar, das Jahrhunderte alte Recht der Wallfahrt zu den heiligen Stätten zu verteidigen. Dabei ging es keineswegs darum, mit dem Schwert die Muslime zu bekehren, sondern die eigenen Ritter zur Selbstbekehrung zu bringen.

Nicht zuletzt bewegten Bernhard auch verwandtschaftliche Gründe. In der Grafschaft Edessa, in Antiochia und Tripolis wie im Königreich Jerusalem saßen seine “Sippen", Onkel und Vettern, die es zu unterstützen galt.

Die vernichtende Niederlage dieses Kreuzzuges war Bernhards schwerste Enttäuschung, von der er sich nie mehr ganz erholte. Selbst sein Orden folgte ihm nicht mehr, als er 1150 neuerlich zum Kampf aufrufen wollte. Er erlag seinen körperlichen Leiden, die ihn 40 Jahre beeinträchtigt hatten, namentlich eine chronische Gastritis, die als Krebsleiden zum Tod führte.

Das Kloster Clairvaux überdauerte auch nicht die Zeiten. In der Französischen Revolution wurde es aufgelöst und zerstört. “Unverwüstlicher als die Steine erwiesen sich die Abhandlungen, Briefe, Predigten und Bibelkommentare Bernhards. Der Heilige hatte Kranke geheilt, Besessene befreit, Tote erweckt. Das waren die Wunder der Vergangenheit. Mit dem Wunder seiner Schriften wirkt er noch in die Gegenwart hinein." Diese Worte stammen vom Wilheringer Zisterzienser Gerhard B. Winkler, dem wir eine kommentierte Ausgabe sämtlicher Werke des Kirchenlehrers verdanken.

Die zehn Bände sprechen frisch in unsere Zeit: Er fordert seine Zeitgenossen auf, entschieden von der Welt und deren Verlockungen Abstand zu nehmen. Die von ihm beaufsichtigten Gemeinschaften führte er heraus aus der wirtschaftlichen Verflechtung mit der Welt, zu der es im Mittelalter gekommen war. Sein Wunsch, sich von den sozialen und ökonomischen Abhängigkeiten seiner Zeit zu lösen, entspricht dem heutigen Verlangen, möglichst unabhängig, ja Selbstversorger zu sein, “auszusteigen", um sich für das Wesentliche frei zu halten. Bei Bernhard gibt es jedoch die Selbstfindung in Form vertiefter Selbsterkenntnis nur über die treue Suche nach Gotteserkenntnis!

Deshalb schreibt er eine kompromißlose Anbindung an Gott vor. Seine Mönche müssen täglich stundenlang beten und unermüdlich die Heilige Schrift lesen und Bibel und Liturgie sind es auch, mit denen er einen guten Teil des Tages verbringt. Sie bilden die Hauptquellen seiner Werke.

Bernhard verbindet Alltag und Mysterium auf erstaunlich innige Weise. Man könne die Offenbarung erst verstehen, wenn man gelernt hat, im Buch der eigenen Erfahrung zu lesen. Deshalb war Bernhard ein scharfer Beobachter seiner selbst und der Umgebung. Für ihn führt der Weg zur Erkenntnis Gottes über die Sinne; sie ereignet sich hier und heute, in den scheinbar nebensächlichen Alltagserfahrungen.

Zur mystischen Schau durch die Dinge hindurch ist freilich ein einfaches, asketisches Leben nötig. Um das Wesentliche nicht aus den Augen zu verlieren und die Innerlichkeit zu fördern, müssen möglichst alle Ablenkungen ausgeschaltet werden. Daher sieht Bernhard vor, das Essen, die Architektur, den Gesang und die liturgischen Gewänder in aller Schlichtheit zu belassen. Die bäuerliche Handarbeit erhält von ihm wieder ihren gebührenden Platz im Leben der Mönche, damit sie den Kontakt zur Schöpfung nicht verlieren und sich in Demut üben. Das Irdische ist nur Widerschein Gottes; wir dürfen nicht darin aufgehen. Wir müssen leer werden und uns mit Seiner Liebe erfüllen lassen.

Bernhard war beileibe kein Antiintellektueller, gilt er doch bis heute als einer der herausragenden Mönchstheologen. Aber er wußte um die Gefahr, daß man vor lauter Lesen und Reden über Gott nicht zur Begegnung mit Ihm kommt. Daher spricht er oft von der Lehrmeisterin Natur: “In den Wäldern lernt man mehr als aus den Büchern; Bäume und Felsen werden Euch mehr beibringen als das, was man anderswo zu hören bekommt. Ihr werdet es selbst sehen, daß man aus den Steinen Honig und aus den härtesten Felsen Öl gewinnen kann."

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