"Als ich nach Rom kam, hegte ich einen Groll gegen Johannes Paul II. Ich hielt ihn für einen Verräter an der Sache Jesu," schreibt der Reporter Andreas Englisch am Anfang seines Buches. Und am Ende: “Ich glaube, daß der Papst und der Handwerkersohn aus Nazareth eines gemeinsam haben: Die Menschen haben ihnen geglaubt. Sie haben ihnen abgenommen, daß sie für ihren Herrn und Gott alles, was sie haben, auch geben".
Dazwischen gibt es eine Fülle farbiger Insider-G'schichterln, witzig, einfühlsam, informativ, nachdenklich, schnoddrig, berührend... Kein Wunder bei einem Auslandskorrespondenten in Rom, der sich seit 18 Jahren “für den Papst interessieren muß, weil er Teil des Jobs wurde".
Voll Selbstironie schildert Andreas Englisch seinen Werdegang vom Neuling zum Repräsentanten im internationalen “Pool" des Vatikan, seinen Aufstieg in den exklusiven Kreis der flugbegleitenden Journalisten, die professionellen Rangeleien: “Ich habe auch schon Fernsehkameras und Blitzlichtanlagen auf den Schädel bekommen". Er beschreibt, wie der Job vor allem aus Warten besteht, weil in aller Welt die Journalisten von den Sicherheitsleuten um Stunden früher an den Ort des Geschehens geschleust werden müssen. “Wenn die Messe um 11 Uhr beginnt und der Bus um 5:45 abfährt, hat man zwei Möglichkeiten: Entweder man sitzt um 5:44 Uhr im Bus oder man versäumt die Messe. So einfach ist das."
Besonders ansprechend sind die persönlichen Eindrücke des Autors vom Papst: “Johannes Paul II. begrüßte mich so zurückhaltend, als käme gleich noch ein anderer, der richtige Papst, und als sei er nur Karol Wojtyla aus Wadowice. Im Gegensatz zu den meisten seiner Vorgänger wurde er nicht als Fürst geboren."
Auf einem Soldatenfriedhof bei Warschau im Juni 1999 vernachlässigte der Pool-Journalist seinen Job. Er ging weg, als der Papst weinte. Da sah Andreas Englisch zum ersten Mal in Johannes Paul II. mehr als seinen Job: “Was ist, wenn dieser Mann eben doch ein Werkzeug Gottes ist?" Immer wieder schildert er, wie ihn der Glaube dieses Mannes berührt - im säuselnden Wind am Sinai, in Havanna...
Die Rand-Erlebnisse des Autors geben dem Buch Farbe: Ein junger Priester entführt ihn vom Empfang mit Entenleber und Wodka zu den verwahrlosten Jugendlichen in die Kloaken Bukarests; Don Mario arrangiert für ihn in einer Fahrradfabrik Havannas ein Treffen mit der Untergrundkirche Kubas; in Damaskus verstrickt ihn “der Professor" der Hisbollah mit dem israelischen Geheimdienst. Alle Geschichten gehen dank der Blauäugigkeit des Subjekts gut aus, erlauben dem Leser aber spannende Blicke hinter die Kulissen.
Englischs Exkurse in die Religionsgeschichte sind locker und flüssig geschrieben. Sie bereiten unaufdringlich den Hintergrund des Geschehens auf - von der Reformation 1517 zur “Gemeinsamen Erklärung", von der Kirchenteilung 1054 zur ersten Mitfeier eines Papstes in einem orthodoxen Gottesdienst, von der Shoa zum Gebet mit Rabbinern an der Klagemauer, vom Krieg zum Besuch des Groß-Scheichs Tantawi der Al-Azhar Universität.
Der Autor berichtet als einziger Zeuge des Gesprächs zwischen Tantawi und Johannes Paul II. über eine grundsätzliche Einigung: “Böses zu tun, zur Gewalt aufzurufen und Streit und Zusammenstöße im Namen der Religion zu provozieren, ist eine schwere Beleidigung Gottes".
Leider habe ich diese Übereinstimmung in den offiziellen “abschließenden Worten zum Höflichkeitsbesuch" des Vatikan vom 24. Februar 2000 im Internet nicht wieder gefunden. Dennoch hat mir das Buch im Rückblick auf das Weltbild meiner Jugend bewußt gemacht, welche gigantischen Umwälzungen dieser Papst im Anschluß an das Konzil unumkehrbar bewirkt hat!
Helmut Hubeny
Johannes Paul II., Das Geheimnis des Karol Wojtyla. Von Andreas Englisch, Ullstein, München, 2004; gebunden 23,70, Taschenbuch € 9,20
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