Heute wird viel über den Umbruch in Gesellschaft und Kirche geredet und geschrieben. Zumeist werden dabei gesellschaftliche oder religiöse Entwicklungen beklagt, angeprangert oder Forderungen an Politik, Medien, Kirchenhierarchie erhoben, die alles lösen sollen.
Der deutsche Benediktiner Elmar Salmann, Professor für Systematische Theologie und Mystik in Rom, geht in dieser Sammlung bereits veröffentlichter Aufsätze und Interviews einen anderen Weg: Er beobachtet scheinbar von weit her und doch einfühlsam die Vorgänge in der Welt, der Kirche, den Herzen seiner Mitmenschen. Tragik und Schmerz unserer “Zwischenzeit" werden dabei ebenso wahrgenommen wie die schwierige Rolle, aber auch die große Chance des christlichen Glaubens heute.
Tragisch ist es zweifellos, daß der “Transmissionsriemen zwischen Mysterium, Gebet und Alltag gerissen" ist und man sich schon “fast daran gewöhnt hat, mit dem Glauben nichts mehr anfangen zu können". Tragisch vor allem auch, weil der Abbruch des Glaubens in den letzten Jahrzehnten die Kernschichten der Kirche betrifft. Kaum einer fragt danach, wie es einem Pfarrer geht, der die Zeichen der Zeit beachtet und unermüdlich für seine Gemeinde geschuftet hat - und in den letzten 30 Jahren einen großen Teil seiner “Klientel" verlor.
Wenn wir Kirchentreuen so leichtfertig sagen, das Christentum ist in unserer Zeit zur Minderheit verkommen, dann macht uns Salmann klar, daß wir selbst davon betroffen sind, selbst das uns aufgetragene Erbe verfallen ließen und uns in der falschen Alternative von blinder Restauration und hemmungsloser Anpassung ins Abseits stellten.
Deshalb sollten wir erst einmal demütig sein, um wieder richtig starkmütig werden zu können. “Wie, wenn man sich eingestünde, wie wenig die Durchschnittsgemeinde von den zentralen Mysterien des christlichen Glaubens heute bewahrt?" Zur demütigen Selbsterkenntnis gehört freilich anzuerkennen, daß es das reine Christentum nie gab, nicht in der Urkirche, nicht im Mittelalter, nicht im 19. Jahrhundert. Zu allen Zeiten gilt, was uns in dieser Zwischenzeit besonders aufgeht: “Niemand vermag den unermeßlichen und abgründigen Reichtum des Glaubens erschöpfend oder auch nur geziemend darzustellen und zu leben; stets füllen wir seine strömenden Fluten auf unsere kleinen Flaschen ab."
Hier sind wir mit dem Autor bereits dahin gelangt, unsere Lage als verheißungsvoll zu erkennen. Die Kirche hätte es nicht mehr nötig, an ohnehin schon längst verlorenen Besitzständen aggressiv-weinerlich festzuhalten und unerfüllbare Ansprüche zu wecken.
Dabei könnte sie ihre wahre Sendung neu entdecken. Für den einzelnen wäre da unumgänglich “der Mut zur Einsamkeit, der Mut von weit her zu kommen, Minorität, unverstanden zu sein, alleinig vor seinem Gott". Jesus lebte doch selbst “im ortlosen Zwischen", warum sollte da seinen Jüngern heute ihre Zwischenzeit als gottlos erscheinen?
Dieses in erhabener, bildreicher Sprache verfaßte, stellenweise schwer zu lesende Buch gewinnt an Überzeugungskraft auch durch seine treffende Gesellschafts- und Kulturkritik, die selbst fromme Christen betrifft und betroffen machen sollte: “Wir leben in einer solchen Schadensersatz-, Rechtfertigungs-, Rechtsmittelgesellschaft, die ständig klagt, ohne daß sie wirklich litte, die keine Beeinträchtigung des Lebensspaßes mehr hinnimmt." Uns fehlt der Durchblick, die Menschen verzweifeln, “weil jederzeit alles möglich und nichts ganz wirklich ist". Die politische Korrektheit impft uns ein “chronisch schlechtes Gewissen" gegenüber allen Katastrophen und Benachteiligungen ein, die sich irgendwo zutragen; jeder ist plötzlich mitschuld, gefangen in den selbstgestrickten Netzen einer überzüchteten Informationsgesellschaft.
Salmann versteht es vorzüglich, den bedrängten und belächelten Christen zu zeigen, wie lächerlich und gefährlich die Dogmen und Zwänge der westlichen Zivilisation sind und wie befreiend demgegenüber ein Leben sein kann, das um eine Sinndeutung und ein Ziel jenseits dieser Welt weiß. In unserer überförderten und überforderten Gesellschaft wird alles ständig aufgewertet und gesteigert, zur scheinbaren Erfüllung gebracht. “Vielleicht sind wir von daher alle so überspannt, aufgeregt, unruhig, immer unterwegs, ohne je anzukommen.
Der Mensch kann, ja darf sich gemäß der heute unhinterfragten Ideologie nicht in sein Schicksal fügen, seine Begrenzungen und Beschränkungen nicht mehr annehmen. Die Menschenrechte beginnen schon beim störungsfreien Urlaub, der genauso einklagbar ist wie die Gesundheit. Angesichts dieser Situation fragt der Benediktinermönch: “Aber was ist dann mit all dem Erlittenen? Müssen und dürfen wir es nicht auch hinnehmen, erdulden, vor- und nachsichtig gestalten?"
Auch die Kirche kommt nicht ungeschoren davon: “Sie lamentiert über die Konsum- und Freizeit-, die kapitalistische Geldgesellschaft, in der sie doch selbst fast völlig aufgeht." Dem gegenüber müsse sie sich ihrer reichen Tradition neu bewußt werden, die Heiligen und Mystiker als Leitfiguren für die Zukunft in der ungewissen Postmoderne entdecken, das Kreuz Christi bewußt annehmen und zugleich den humorvollen Blick auf Welt, Kirche und sich selbst einüben sowie ein bedeutungsvolles Schweigen den nach plakativen Antworten lechzenden Zeitgenossen entgegenhalten.
Bernhard A. Eckerstorfer OSB
Zwischenzeit. Postmoderne Gedanken zum Christsein heute. Von Elmar Salmann, Schnell-Verlag 2004, 208 Seiten.
Diese und andere Bücher können bezogen werden bei: Christoph Hurnaus, Waltherstr. 21, 4020 Linz, Tel/Fax: 0732 788 117; Email: hurnaus@aon.at