VISION 20002/2005
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Freude an Kindern

Artikel drucken Die beste Antwort auf die Kultur des Todes (Von Christof Gaspari)

Schon wieder das Thema Lebensschutz, mag sich mancher Leser denken, der unsere Zeitschrift schon längere Zeit bezieht. Es stimmt: Dieses Thema haben wir fast jedes Jahr einmal aufgegriffen - und mit gutem Grund. Denn hier geht es um Grundfragen der Existenz. An der Beantwortung dieser Frage entscheidet sich die Zukunft der Menschheit.

Zugegeben: Die Situation ist alles andere als erfreulich. Zwar hat sich herumgesprochen, daß Europas Völker von Überalterung, ja geradezu vom Aussterben bedroht sind. Diese Tatsache, die vor allem auf die dramatisch rückläufigen Geburtenzahlen zurückzuführen ist, wird jedoch mit einer erstaunlichen Schicksalsergebenheit hingenommen. Statt über sinnvolle Maßnahmen zu reden, wie man die Freude an Kindern reaktivieren könnte, werden überall Mechanismen entwickelt, wie man mit dem Überhang an Alten halbwegs zurechtkommen könnte.

Dabei schreckt man auch nicht davor zurück, Philosophen vordenken zu lassen, die Kriterien für lebens- bzw. nicht lebenswertes Leben entwickeln. Und in Ländern mit Vorreiterfunktion werden bereits Erfahrungen mit der Euthanasie gesammelt: Holland und Belgien, in denen solche Unmenschlichkeit bereits geschieht, werden dabei nicht etwa aus der EU wegen Mißachtung der Menschenrechte ausgeschlossen, ja sie werden nicht einmal gemahnt oder gerügt.

In seinem neuen Buch erinnert uns der greise Papst an die Ungeheuerlichkeit der Situation, mit der die meisten von uns sich arrangiert haben (siehe Kasten). Schon 1983 sprachen sich laut Umfrage 58% der Österreicher für die Beibehaltung der Fristenregelung aus. (profil 33/94) Selbst in der Kirche gab es Tendenzen, sich mit dieser Unrechtssituation anzufreunden.

Nun, 30 Jahre Erfahrungen mit der gesetzlich tolerierten Abtreibung reichen, um hier entschlossen eine Wende einzuleiten. Das bedeutet allerdings nicht Radikalisierung im Kampf gegen Abtreibung und Euthanasie, sondern den beharrlichen Hinweis darauf, daß eine “friedliche Koexistenz" mit der Vernichtungsmaschinerie unserer Tage unhaltbar ist. Denn sie zerstört nicht nur das Leben der ungeborenen Kinder, sondern auf subtile, aber nicht weniger konsequente Weise auch jenes der am Geschehen Beteiligten (Seite 8).

Eine Gesellschaft, die auf einer Lüge aufbaut, ist dazu verurteilt, die Wahrheit in immer mehr Bereichen zu beugen, um diese Lüge abzusichern. Nur ein Beispiel dafür: Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat entschieden, daß man in unmittelbarer Nähe einer Abtreibungsstätte weder Passanten auf das Thema Abtreibung ansprechen, noch durch Plakate wie “Abtreibung tötet ungeborene Kinder" auf das Geschehen aufmerksam machen dürfe. Dem “Recht" auf Abtreibung wird also das Recht auf freie Meinungsäußerung geopfert. Sonja Wehsely, Wiener Stadträtin für Frauenfrage, erwägt eine ähnliche Regelung für Wien.

Die Lüge ist das Vehikel der Kultur des Todes. Sie arbeitet mit Teilwahrheiten, dem Umdeuten von Begriffen und sie appelliert an Gefühle unter Ausschaltung der Reflexion (Mitleid, scheinbare Zuwendung zum Leidenden, Appelle an Barmherzigkeit werden mobilisiert, extreme Einzelfälle als typisch dargestellt).

Wer genauer hinschaut, erkennt jedoch, daß sich alles nach der Logik der Mächtigen richtet: der Geborenen, die Schwierigkeiten aus dem Weg gehen wollen, der Gesunden, die sich nicht vorstellen können, daß ein Leben mit Leiden wertvoll ist, der Reichen, die sich ein langes Leben ohne Leiden einrichten möchten, der Forscher, die sich Ruhm erhoffen, der Konzerne, die von Wachstumsmärkten der Zukunft beim Produkt “Menschenmaterial" träumen... So wird das Undenkbare von gestern, zum Gewöhnungsbedürftigen von heute und zum Selbstverständlichen von morgen... Der weitgehend unbemerkte Marsch der Demokratie in die totalitäre Kultur des Todes findet statt.

Damit setzt sich heute nur jene Auseinandersetzung fort, die die Geschichte der Menschheit seit Anbeginn geprägt hat. Es geht eben um Tod und Leben, um Segen oder Fluch (Dt 30,19). Und der Ausweg ist klar vorgezeichnet: “Liebe den Herrn, deinen Gott, hör auf Seine Stimme, und halte dich an Ihm fest; denn Er ist dein Leben." (Dt 30,20)

Ist nicht auch den Christen diese Sichtweise abhanden gekommen? Haben wir uns nicht angewöhnt, alle Probleme so anzugehen und abzuhandeln, als käme es nur auf menschliche Klugheit an. Überall werden Diskussionen auf rein weltlicher Ebene geführt. Argumenten werden Gegenargumente entgegengehalten (siehe S. 10) - und das hat auch seine Berechtigung. Aber es genügt offensichtlich nicht, die Situation zu verändern. Insbesondere reicht es nicht, gegen die Kultur des Todes nur zu argumentieren - so wichtig dies auch ist. Dadurch entsteht keine Dynamik.

Gibt es also einen Ausweg? Ja: “pro life" zu sein, für das Leben einzutreten, für die Schönheit des Lebens. Es geht um die Freude am Leben.

Darum die Frage an Sie, liebe Leser: Haben Sie Freude am Leben? Eine tragfähige, tiefe Freude, die man auch in Ihrer Gegenwart spürt? Oder geht es Ihnen so wie mir, daß die Alltagssorgen, das Klagen, der Streß, die Unzufriedenheit mit sich und der Umwelt laufend Schatten auf diese nur in der Tiefe schlummernde Freude werfen? Und was können Sie ins Treffen führen, wenn jemand resigniert feststellt: “In so eine Welt zahlt es sich nicht aus, Kinder zu setzen!"?

Sicher kann man solche Aussagen verstehen. Es wird uns ja dauernd suggeriert, im Leben komme es auf beste äußere Bedingungen an: Gesundheit, Schönheit, Reichtum, Erfolg, Karriere. “Reich und schön" ist das Motto. Verfolgt man aber in den Klatschspalten die Geschichte der Reichen und Schönen, wird deutlich, daß das perfekte Rundherum zwar viele Annehmlichkeiten verschafft, dem Leben aber nicht unbedingt Sinn und damit tragende Freude vermittelt.

Hingegen zeigt das Zeugnis von Menschen wie David Stern (Portrait der letzten Nummer von VISION), daß ein erfülltes Leben sehr wohl unter schwierigsten äußeren Bedingungen möglich ist: ein bis zum Hals Querschnittgelähmter macht via Internet anderen Mut. Allerdings ist es sein Glaube, der ihn dazu befähigt.

Und davon werden jene, die “pro life" sind eben Zeugnis geben müssen: daß sie dem begegnet sind, der das Leben selbst ist. Daß sie in den Schwierigkeiten des Alltags bestehen, weil sie von Jesus Christus, der das Leben ist, die Kraft dazu bekommen; daß sie Freude am Leben haben, weil sie wissen, daß es ein Geschenk ist, dessen unermeßlicher Wert erst nach dem Tod in Fülle erfahren, jetzt aber schon vorgekostet werden kann: in liebevollen Begegnungen, im Staunen über die Wunder der Schöpfung, im offenen Blick für die Liebenswürdigkeit der Mitmenschen, in der Erfüllung, die man erlebt, wenn man anderen hilft, in der ansteckenden Freude der Kinder...

Und damit sind wir bei einem zentralen Punkt der notwendigen Erneuerung: der Freude an den Kindern. Eine überalterte, durchorganisierte, den Menschen beruflich total mit Beschlag belegende Gesellschaft hat oft kein Auge mehr für den großen Wert des Kindes. Tatsächlich passen ja Kinder auch gar nicht mehr so recht in unsere Konsum- und Produktionsmaschinerie.

Allerdings spricht das nicht gegen die Kinder, sondern gegen die Art, wie wir das Leben organisieren. Der Mensch verliert da aus den Augen, worauf es im Leben ankommt. Denn Kinder sind Lehrmeister des Lebens: Wie lebensbejahend sind sie doch! Ihre Grundstimmung ist durch Fröhlichkeit und Kontaktfreudigkeit gekennzeichnet, solange ihnen diese Eigenschaften nicht durch Frustration abtrainiert werden. Und wie ansteckend dies sein kann, erlebt man jedesmal, wenn Erwachsene sich über einen (auch fremden) Säugling beugen.

Kinder können unbeschwert lachen und herzlich sein, sie äußern spontan ihre Gefühle, Zuneigung und Schmerz, Zorn und Freude. Sie sind offen für ihre Umgebung und - jedenfalls als kleine - auf menschliche Nähe aus, ja sie hungern geradezu nach ihr. Nie im Leben wird jemand so selbstverständlich angenommen und ohne Hintergedanken geliebt, wie Eltern und Großeltern von ihren Kindern und Enkeln. Einer Gesellschaft, in der abgetrieben wird und schon die Kleinen in die Krippe wandern, entgehen all diese wunderbaren Erfahrungen.

Und noch etwas: Kinder haben ein unerschütterliches Vertrauen zu ihren Eltern, sichern sich nie gegen sie ab - es sei denn sie machen schlechte Erfahrungen. Ich habe auch immer gefunden, daß meine Kinder Meister im Verzeihen waren, daß sie mit ungerechter Behandlung durch ihre Umgebung viel besser als Erwachsene zurechtgekommen sind. Kinder haben eine Art Grundgüte. Daher sagt uns der Herr wohl: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder...

Daher verändern Kinder mit größter Selbstverständlichkeit das Klima in ihrer Umgebung. Erst kürzlich habe ich dies beim Abschluß der Familienakademie in Salzburg erlebt, eine Feier, bei der es vor Kindern gewimmelt hat - ganz ungewöhnlich für unsere Tage. Wie lebendig - wenn auch unruhig und manchmal laut - ging es in dieser Gemeinschaft mit vielen Kindern zu!

Auch in unserer Familie machen wir wieder einmal die Erfahrung, wieviel Freude ein Baby in die Gemeinschaft bringt. Das kleine Mäxchen - er ist jetzt sechs Monate alt (Seite 1) - ist die Freude der ganzen Familie, die sich sonntags bei meiner Mutter versammelt. Selbst die fünf- bis zwölfjährigen Cousins sind verliebt in das Bürschchen und die Tanten reißen sich darum, den Kleinen im Arm zu halten.

Fazit: Wir leben zwar in einer von Schatten des Todes geprägten Welt. Aber diese in allen Generationen in unterschiedlicher Weise gegebene Tatsache kann Christen nicht davon abhalten, aus Freude an Gott, “pro life" zu sein, um andere mit dieser Freude anzustecken. Und tatsächlich erleben wir heute ja, daß eine wachsende Zahl junger, christlicher Familien wieder den Mut hat, auch eine größere Kinderschar großzuziehen. Ihnen sei an dieser Stelle besonders gedankt.

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Eine legale Vernichtung

 

Wenn der Mensch allein, ohne Gott, entscheiden kann, was gut und was böse ist, dann kann er auch verfügen, daß eine Gruppe von Menschen zu vernichten ist. Entscheidungen dieser Art wurden im Dritten Reich gefällt von Menschen, die - nachdem sie auf demokratischen Wegen zur Macht gekommen waren - sich dieser Macht bedienten, um die perversen Programme der nationalsozialistischen Ideologie zu verwirklichen, die sich an rassistischen Vorurteilen orientierten.

 

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An diesem Punkt kann man es nicht unterlassen, ein Problem anzusprechen, das heute außerordentlich aktuell und schmerzlich ist. Nach dem Sturz der nationalsozialistischen und kommunistischen Regime, die auf den Ideologien des Bösen aufgebaut waren, haben in ihren Ländern die eben erwähnten Formen der Vernichtung de facto aufgehört. Was jedoch fortdauert, ist die legale Vernichtung gezeugter, aber noch ungeborener menschlicher Wesen. Und diesmal handelt es sich um eine Vernichtung, die sogar von demokratisch gewählten Parlamenten beschlossen ist, in denen man sich auf den zivilen Fortschritt der Gesellschaften und der gesamten Menschheit beruft.

 

Papst Johannes Paul II.

 

Auszug aus dem “Erinnerung und Identität - Gespräche an der Wende zwischen den Jahrtausenden", das vor kurzem im Verlag “Weltbild" (14,90 Euro) erschienen ist.

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