VISION 20002/2005
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Zeugen sein für die Wahrheit

Artikel drucken Im Lebensschutz geht es um jeden einzelnen Menschen (Von Jutta Lang)

Immer schneller tickt die Uhr der Zeit. Wohin man auch sieht, öffnen sich neue Fronten. Um die Fristenregelung ist es schon lange still geworden. Nur hie und da, wenn jemand muckst, hört man ein leises, aber energisches “Psst. Nicht daran rütteln."

Doch im Schatten der Abtreibung schleicht sich durch Europa auch die Euthanasie ins Land. Eine radikale Rasterfahndung und Selektion behinderter Babys. Kinder nach Maß. Menschen als Ersatzteillager. Wie lange werden wir dem Druck noch Stand halten?

Und dann ein Blick ins eigene Land: Am Bundesparteitag der SPÖ wird gefordert, die Abtreibung eines Kindes - wie eine Krankheit - im Gesundheitsrecht zu regeln, bis zur Geburt und kostenlos. Ein Blick nach Salzburg zeigt, daß man bereits mit der Umsetzung dieses “Rechts" auf Abtreibung, das den Köpfen über lange Zeit hinweg eingehämmert worden ist, begonnen hat.

Nicht daß andere Bundesländer der Würde der Ungeborenen mehr Respekt entgegenbrächten, aber in Salzburg zeichnen sich die erschreckenden Konturen der Abtreibungsideologie mit besonderer Klarheit ab: Abtreibung muß für alle zugänglich sein, wenn möglich von Steuergeldern finanziert, Abtreibung ist eine Dienstleistung des Staates. Und die Welt von morgen?

Auch hier glimmt das Licht der Hoffnung nur schwach, denn durch die Maschinerie der Medien und der modernen Sexualerziehung wird schon bei der Jugend beständig Holz ins Feuer einer “Kultur" des Todes nachgelegt. Und wenn wir unseren Blick Trost suchend in die Richtung anderer Länder wenden, in denen wir bessere Zustände vermuten, durchfährt uns ein neuerlicher Schrecken: So konnte man etwa in Polen unlängst bei einer Parlamentsabstimmung die Legalisierung der Abtreibung nur um Haaresbreite verhindern. Wie lange noch, wenn der Trend so weiter geht?

Was sollen wir angesichts dieser Tatsachen tun? Wegschauen? Bei unseren Straßeneinsätzen habe ich in Gesprächen schon oft die Antwort gehört: “Das Thema interessiert mich nicht. Ich bin ja schon geboren." Natürlich. Zumindest bis Alter und Krankheit auch das eigene Leben wieder “unwert" machen, ist Gleichgültigkeit eine mögliche Antwort auf das Unglück der Mitmenschen. Aber sie darf nicht unsere Antwort sein, weil die Liebe einen Anspruch an uns hat.

Oder sollen wir aufgeben? “Du glaubst doch nicht wirklich, daß es in dieser Welt noch etwas zu retten gibt?", hat man mir mitunter verständnislos entgegengehalten. Von außen betrachtet klingt dieser Einwurf plausibel. Nach über 10 Jahren meiner Mitarbeit bei Jugend für das Leben muß ich zugeben, daß sich die Situation im Grunde verschlimmert hat. Was ich zu erzählen habe, hat wenig mit einer Triumphgeschichte zu tun. Und trotzdem glaube ich, daß dieser Geschichte ein gutes Ende sicher ist: Denn als Christen haben wir keinen Grund, die Hoffnung zu verlieren.

Was könnte uns mehr Zuversicht geben als das Wissen, daß wir auf Seiten dessen stehen, der in Seinen Händen die Welt trägt? Weder Wegschauen noch Aufgeben sind Antworten auf die besorgniserregende Situation. Denn Gott erhebt an uns den Anspruch, Mitarbeiter Seiner Liebe und Zeugen für die Wahrheit zu sein.

Meine Tätigkeit bei Jugend für das Leben hat mir immer neu vor Augen geführt, was Nächstenliebe bedeuten kann. Nach außen hin mag es wohl lieblos erscheinen, daß wir nicht müde werden, ein Dorn im Auge der Gesellschaft zu sein, daß wir ein leidiges Thema immer wieder aufwärmen und somit den wohligen Frieden stören. Spricht es nicht vielleicht doch von Hartherzigkeit, wenn wir öffentlich, auf Straßen und in Schulen mit Klarheit für die Wahrheit eintreten, wo doch so viele durch Abtreibung geschädigte Frauen und Familien mit größter Mühe versuchen, ihre Erfahrungen zu verdrängen? Aber Liebe ohne Wahrheit ist geheuchelt, und Friede ohne Wahrheit trügt. Wer wirklich liebt, kann nicht schweigen, wenn er seine Mitmenschen ins Unglück stürzen sieht.

Einmal kam eine junge Frau an unserem Infostand in der Fußgängerzone vorbei. Als sie unsere Plakatwand mit Bildern der vorgeburtlichen Entwicklung sah, brach sie in Tränen aus. Und doch bedankte sie sich erleichtert nach einem langen Gespräch. Einige Monate zuvor hatte sie abgetrieben und bis zu dahin mit niemandem darüber gesprochen. Obwohl die Begegnung für sie schmerzlich war, wurde ihr vielleicht gerade dadurch ein wohl langwieriger Heilungsweg eröffnet. Die Wahrheit kann befreien.

Als ich an einem anderen Tag eine Frau ansprach, die unsere Plakatwand nachdenklich betrachtete, sagte diese mir traurig: “Mir blutet das Herz. Ich habe abgetrieben." Im Gespräch betonte sie trotz allem die Wichtigkeit unserer Arbeit, und meinte schließlich: “Ich würde es nicht noch einmal tun. Danke, daß ihr dasteht."

Bei unseren Einsätzen in Schulen (siehe S. 7) durfte ich oft erleben, wie hellhörig Jugendliche für ein authentisches Zeugnis sind. Wenn jemand meint, man könne jungen Menschen die kompromißlose und manchmal harte Wahrheit nicht zumuten, so kann ich das Gegenteil bezeugen: Jugendliche verstehen diese Thematik oft besser als Erwachsene, die vielleicht schon ein Leben damit verbracht haben, sich Ausreden zurechtzulegen. Jugendlichen leuchtet es im Grunde ein, daß das Töten eines Kindes Probleme nicht lösen kann. Darum darf und muß man ihnen diese Wahrheit zumuten.

Und aus demselben Grund war es, glaube ich, auch nicht lieblos, daß wir im Dezember durch eine Briefsendung die harte Wahrheit von der Abtreibung, sowie die frohe Botschaft vom Leben allen Salzburger Haushalten zugemutet haben. Mit Freude sehe ich, daß Lebensschützer, wenn es auch wenige sind, nicht nachlassen, der Wahrheit aus Liebe Ausdruck zu verleihen. Besonderen Mut haben die Mitarbeiter der Salzburger Landeskliniken bewiesen, indem sie öffentlich bekennen: “Eine Landeshauptfrau, die Kindertötung im LKH zuläßt, ja selbst anordnet, ist nicht mehr unsere Landeshauptfrau." Und wie ermutigend ist Erzbischof Kothgassers klares Hirtenwort zur Fastenzeit!

Würden wir nur auf die großen Geschehnisse schauen, so müßten wir uns tatsächlich eingestehen: Unser Einsatz war umsonst. Aber im Lebensschutz gilt ein anderes Maß. Hier geht es zum einen um jeden einzelnen Menschen, der gerettet wird. Zum anderen geht es darum, als “prophetische" Stimme niemals das Schweigen siegen zu lassen. So wie wir heute an unsere Großeltern herantreten, werden vielleicht eines Tages unsere Enkel uns zur Rede stellen und fragen: “Wie konntet ihr das zulassen?"

Entgegen allem Anschein dürfen wir Christen überzeugt sein, daß die Wahrheit siegen wird. Doch bis dahin gilt es, den Menschen unsere Liebe zu beweisen: nicht indem wir um des Friedens willen schweigend ihre Ideologie bestätigen, sondern indem wir mutig und treu als klare Zeugen auftreten, als Zeugen für die Wahrheit.

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