Der Kapuziner Marco d'Aviano, eine der bedeutendsten religiösen und politischen Persönlichkeiten des 17. Jahrhunderts, ist bekannt für seine entscheidende Rolle bei der Befreiung Wiens von den Türken. Er darf jedoch vor allem als der große Seel-Sorger des innerlich zerrissenen und von außen bedrohten Europas jener Zeit gelten.
Europa eine Seele zu geben, die Seele des gemeinsamen christlichen Erbes, das war das Anliegen seiner Gebete und seines rastlosen Wirkens als Prediger, als charismatischer Heiler und als politischer Inspirator.
Er wurde am 17. November 1631 in Aviano, Friaul, als zweites von zehn Kindern der wohlhabenden Familie Christophori geboren. Seine Kindheit ist überschattet von Berichten über die Greuel der schon weit über ein Jahrhundert währenden Türkenkriege. Die Eltern schickten den Knaben ins Jesuitenkolleg nach Görz. Mit 17 Jahren verläßt er heimlich das Kolleg, um in den Kampf gegen die Türken zu ziehen. Doch kommt er mit diesem Traum nur bis Capo d'Istria, wo ihn, hungrig und erschöpft, die Kapuziner aufnehmen und nach Hause schicken.
Bald (1648) wird er selbst Kapuziner. Nach einem strengen Noviziat legt er die Ordensgelübde ab und wird nach einigen Jahren Theologiestudiums zum Priester geweiht. Neun Jahre lang bleibt der überaus gebetseifrige, gutmütige, doch etwas ungeschickt wirkende “Simplex-Pater" ohne besondere Aufgabe, bis der Ordensgeneral im Rahmen einer Visitation die außerordentliche geistige und spirituelle Begabung des jungen Paters entdeckt.
1664, also mit 33 Jahren, erhielt Marco die Erlaubnis zu predigen und entfaltete von da an ein charismatisches Predigertalent. Die langen Jahre des Reifens im Schweigen, Dienen und Beten trugen ihre Früchte.
Im Gegensatz zur zeitgenössischen Mode der Barockpredigt sprach er einfach, auf das Wesentliche konzentriert und zugleich aus innerster Überzeugung, ganz ausgerichtet auf Lebensbesserung und -vertiefung seiner Zuhörer. Gleich ob auf dem Land oder in den Metropolen Venedig oder Padua, überall strömten Scharen von zutiefst ergriffenen Zuhörern zusammen.
1676 ereignete sich im adeligen Damenstift San Prosdocimo in Padua nach Gebet und Segen von Padre Marco die plötzliche wunderbare Heilung der Schwester Vincenza Francesconi, die seit 13 Jahren gelähmt und ans Bett gefesselt war. Dieser Heilung folgten von da an zahllose weitere, auch an bekannten Persönlichkeiten, wie dem Herzog Karl von Lothringen. Die Heilungen sind gut bezeugt, zahlreiche beeidete Aussagen finden sich in den Archiven.
Der kirchlichen Behörde war der Wunderheiler zunächst suspekt, weshalb man ihn in entlegene Klöster versetzte. Dennoch wurde er - zu seinem eigenen Leidwesen - immer wieder gerufen, ja förmlich belagert. Ihm selber genügte die körperliche Heilung nicht. Er wollte auch und noch mehr die Heilung der Seele, also ganzheitliche Heilung aus der Mitte des Herzens. So wurde er zum “Apostel der Liebesreue", der Umkehr und Lebensbesserung aus Liebe zu Gott.
In dieser Mission durchzog er Italien und bald auch Tirol, Österreich, die Schweiz, die deutschen Lande und die Niederlande. Die Wirkung seiner Predigten war gewaltig: 30.000 bis 50.000 tief ergriffene Zuhörer waren keine Seltenheit; immer wieder kam es zu wunderbaren Heilungen und nachhaltigen Bekehrungen.
“Hab Glauben! Hab Glauben! Bitte oft um Vergebung deiner Sünden,
und dann erbitte von Gott jegliche Gnade! Er gibt sie dir, denn er hat dich lieb!"
(Marco d'Aviano)
Mit Kaiser Leopold verband ihn eine tiefe Freundschaft, wie zahlreiche erhaltene Briefe beider bezeugen.
Als Vertrauter des Kaisers und Päpstlicher Legat war Marco d'Aviano entscheidend an der Befreiung Wiens im Jahre 1683 beteiligt. Nach dem Urteil des Historikers Ludwig Pastor war die Türkenbelagerung Wiens eine der denkwürdigsten Belagerungen der Geschichte.
Im Juli 1683 hatte der Großwesir Kara Mustafa die Stadt mit einem Heer von gut 150.000 Mann eingeschlossen, dem der Kaiser kaum 40.000 entgegenzustellen hatte. Mit Mühe gelang eine Allianz mit Bayern, Lothringen, Sachsen, Venedig und mit dem Polenkönig Sobieski.
Die belagerte Stadt “lag in den letzten Zügen" (so in einem zeitgenössischen Brief) - und die Verbündeten waren heillos zerstritten.
Es gelang Padre Marco fast in letzter Minute, eine Einigung herbeizuführen: Der Kaiser war abwesend. Also sollte König Jan Sobieski von Polen als Ranghöchster vor Ort das offizielle Oberkommando innehaben. Mit Gottesdiensten und Predigten, durch die Wirkung seiner Persönlichkeit und durch seine betende Nähe bei der Schlacht stärkte Marco den Mut und die Entschlossenheit des zahlenmäßig weit unterlegenen Christenheeres.
Am 8. September fand auf dem Tullnerfeld ein feierlicher Gottesdienst für das Entsatzheer statt, über den König Sobieski seiner Gemahlin berichtet: “Wir haben den gestrigen Tag im Gebet zugebracht. P. Markus von Aviano hat uns seinen Segen gegeben ... Wir haben die Kommunion aus seiner Hand empfangen ... Er hat uns eine außerordentliche Ermahnungsrede gehalten. Er fragte uns, ob wir Vertrauen auf Gott hätten, und auf unsere einstimmige Antwort ... ließ er uns mit sich mehrere Male wiederholen: Jesus, Maria! Jesus, Maria! Er las die Messe mit hoher Salbung. Er ist wahrhaftig ein Mann Gottes, dabei ist er weder unwissend noch scheinheilig."
P.Markus ging von Abteilung zu Abteilung, allen Vertrauen und Zuversicht vermittelnd. Alle, auch die Protestanten, zeigten sich über sein Kommen so ermutigt, daß sie die Gebete mitsprachen.
Am Morgen des 12. September feierte P. Markus von Aviano auf dem Kahlenberg die hl. Messe, bei der König Sobieski und sein Sohn ministrierten. Die Worte und noch mehr der unbedingte Glaube, der von seiner Persönlichkeit ausging, haben den Mut und die Entschlossenheit des zahlenmäßig weit unterlegenen Heeres enorm gestärkt.
Und so begann am 12. September 1683 die denkwürdige Schlacht, die vielleicht für die Zukunft ganz Europas entscheidend war und den Türken den Nimbus der Unbesiegbarkeit nahm, denn es gelang, die gewaltige Streitmacht der Türken zu besiegen und Wien zu befreien.
o Gott, den Frieden mit uns selbst und den Frieden mit allen unseren Nächsten"
(Marco d'Aviano Gebet vor der Schlacht)
In den folgenden Jahren drängte er auf eine gänzliche Vertreibung der Türken aus den besetzten Nachbarländern. So erfolgte 1686 die Eroberung Budas und 1688 die Eroberung Belgrads, wenn auch zunächst nur vorübergehend, wobei Marco durch sein persönliches Eingreifen 800 türkische Gefangene vor dem Massaker bewahren konnte. Mit Zähigkeit, Ausdauer und manchmal mit Erbitterung bekämpfte er die immer neuen Zwistigkeiten und Mißstände im Christenheer, besonders Korruption und Übergriffe auf die Zivilbevölkerung.
Der rastlose Einsatz zehrte an seinen Kräften. Marco d'Aviano starb am 13. August 1699 im Kapuzinerkloster in Wien, im Beisein des Kaiserpaares. Er ist in der Kapuzinerkirche am Neuen Markt begraben.
Der Seligsprechungsprozeß war - mit langen Unterbrechungen - seit 1912 im Gange und wurde im Jahre 2002 abgeschlossen. Vor einem Jahr am 27. April hat Papst Johannes Paul II. Marco d'Avaino in Rom seliggesprochen.
Was hat dieser Mann des 17. Jahrhunderts uns Menschen des 21. Jahrhunderts zu sagen?
“Gebt Europa eine Seele" -
* indem ihr auf dem festen Grund des christlichen Glaubens die Maßstäbe sucht, die Frieden und Gerechtigkeit ermöglichen: nicht den Kult des Erfolgreichen, sondern den Vorrang des Menschen als Geschöpf und Abbild Gottes;
* indem ihr ganzheitliche Heilung sucht - nicht nur “Wellness", sondern Heil-Sein des ganzen Menschen von innen heraus durch den Frieden mit Gott und mit sich selbst;
* indem ihr - ohne andere Kulturen gering zu schätzen - mit mehr Festigkeit zu Eurer Identität als Europäer steht, die im Christentum ihre Wurzeln hat!