Viele begnügen sich damit, einfach nur katholisch zu sein. Nicht jeder sei schließlich zum Mystiker oder zum Theologen berufen. Man bemühe sich, ein anständiges Leben zu führen. Das sei das wichtigste. Viel mehr sei übertrieben oder eben für eine religiöse Elite bestimmt. Eine Antwort auf diese Haltung.
Wer solches sagt, den treibt vielleicht eine falsche Bescheidenheit an… Tatsächlich geht es nicht darum, für etwas Elitäres zu werben. Man kann vom Wort Gottes begeistert sein, ohne ein Theologiediplom erworben zu haben. Und man kann ein Mann des Gebetes sein, ohne außergewöhnliche Gnadengaben zu empfangen. Es wäre also wichtig, sich einmal selbst infrage zu stellen.
Ja, ich gestehe: Ich sorge mich manchmal wegen unserer katholischen Lauheit. Etwas mehr Überzeugung in Sachen Zugehörigkeit zu Christus und zur Kirche, etwas mehr Eifer, um unseren Glauben, unser Gebet, unser Zeugnis zu intensivieren - ist das zuviel verlangt? Mir fallen da die Worte Jesu an die Samariterin ein: „Wenn du wüßtest, worin die Gabe Gottes besteht!“ (Joh 4,10)
Keine Frage, man darf nicht verallgemeinern: Ich staune, wieviele Menschen und wieviele Gemeinschaften heute von Gott her leben und die Frohe Botschaft ausstrahlen. Umso mehr fällt einem dann der Kontrast auf, wenn man in ein Milieu kommt, wo man nur aus Gewohnheit katholisch ist, oder in eine Pfarre, die sich entvölkert.
Ich möchte die Aufmerksamkeit auf zwei allzu weit verbreitete Fehlhaltungen lenken. Sie entsprechen zwei komplementären Seiten des Glaubens, zwei Aspekten, die man nicht voneinander trennen darf, die man aber sinnvoller Weise auseinanderhalten soll: Es gibt den sogenannten objektiven Glauben: was ich glaube, den Inhalt des Glaubens - anders ausgedrückt, die Offenbarung. Und es gibt das, was man subjektiven Glauben nennen kann: den Glaubensakt selbst, das Leben aus dem Glauben, die persönliche Beziehung zum Herrn.
Ein erster Mangel im Glauben hat seinen Ursprung im Nichtwissen. Oft sind weite Bereiche der Offenbarung einfach unbekannt oder mißverstanden oder richtiggehend ausgeblendet. Nach dem 2. Vatikanischen Konzil wollte Papst Paul VI. diesem Manko entgegenwirken. In den Mittwoch-Audienzen, an denen tausende Pilger teilnahmen, bot er eine systematische Katechese. Sie mündete 1975 in das große „Credo des Gottesvolkes“ - ein fundamentaler Text.
Johannes Paul II. setzte diese wöchentlichen Begegnungen fort. Erinnert sei insbesondere an seine erhellende Lehre über die Liebe von Mann und Frau sowie die Ehe, die er monatelang zu Beginn seines Pontifikats darbot. Benedikt XVI. setzt diese Tradition nun fort.
Die Enzykliken der Päpste und die Bischofssynoden bieten ebenfalls eine wertvolle Vertiefung und Aktualisierung der christlichen Lehre. Man muß sich auf sie beziehen, wenn man am Glauben und am Leben der Kirche teilnehmen will. Aber wie viele Katholiken lesen solche Texte denn überhaupt? Wieviele Predigten geben ihren Inhalt wieder? Wieviele Gebetsgruppen oder Bewegungen lassen sich von ihnen inspirieren? Und dabei weht gerade in ihnen der authentische Konzilsgeist. Ein ganz einfaches Mittel, sich von ihm inspirieren zu lassen, ist die Lektüre des Weltkatechismus.
Das zweite Manko: daß der Glaube nicht genug das Herz bewegt: „Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch“ (Joh 15,4), sagt Jesus den Jüngern. Diese Beziehung zu Jesus Christus kann (eigentlich sollte ich muß sagen) ein Leben lang wachsen, ob man nun einfaches Pfarrmitglied oder der Papst selbst ist.
Im Glauben zu wachsen, ist in jedermanns Reichweite. Es ge_nügt, sich dafür zu entscheiden, täglich das Wort Gottes zu lesen, und dem Gebet ausreichend viel Zeit zu widmen. Außerdem jede Woche (wenn nicht möglich wenigstens jeden Monat) sich mit Geschwistern im Glauben zu treffen. Und einmal im Jahr an Exerzitien teilzunehmen.
Das ist das Existenzminimum. Ohne all das sind die Christen lau und die Welt wird kalt.
Alain Bandelier
Auszug aus Famille Chretienne Nr 1702 (2010)