Nach 2000 Jahren Christentum ein solcher Abfall vom Glauben wie heute, wie ist das möglich? Die Botschaft Jesu Christi also doch nur ein Irrlicht? Keineswegs. Sie fordert allerdings jeden aufs Neue zu einer Entscheidung heraus. Denn Glaube läßt sich nicht vererben.
Ein Hauptgrund für den Abfall ist einerseits die mächtig gewordene Ideologie des europäischen Atheismus mit ihrem Gotteshaß, der in der Gestalt des Nationalsozialismus und des Kommunismus die Welt verwüstet hat. Auf der anderen Seite aber: Christ-Sein ist nicht vererbbar und läßt sich nicht anerziehen wie die Muttersprache, sondern beginnt mit jedem neuen Menschen - ganz neu! Auch die besten Eltern können ihr Kind nicht einfach „katholisch“ erziehen, weder streng noch lax, so daß das Kind katholisch werden müßte! Jeder Mensch kennt irgendwie „automatisch“ seine Umgebung und die Kultur, in der er aufwächst. Aber beim Glauben ist es nicht so: Er ist immer die eigene Letztentscheidung, der eigene Sieg über und gegen alle Verführungen weg von Gott!
Eltern, Pfarrer, Religionslehrer, wer auch immer, sie können immer nur das tun, was der Apostel Andreas mit seinem Bruder Petrus gemacht hat: Zuerst erzählte er ihm von Jesus, und dann heißt es im Evangelium lapidar: „Und er führte ihn zu Jesus!“ (Joh 1,42)! Und Petrus sah, hörte, was Jesus ihm sagte und wie Er ihm einen neuen Namen gab. Sicher gilt auch von ihm wie von Maria: Er dachte über alles nach! So begann seine Entwicklung, die des gläubigen Juden Simon zum Glauben des Jüngers „Petrus“ an Jesus!
Einige Stationen seiner Entwicklung kennen wir: Angesichts eines völlig unerklärlich guten Fischfanges fiel er vor Jesus auf den Boden und sagte: „Herr geh weg von mir, ich bin ein sündiger Mensch!“ (Lk 5,8-9). Später in einer anderen Situation noch deutlicher: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ (Mt 16,16). Und deswegen bestand Petrus auch die Situation, als Jesus seine Apostel fast einzuladen schien, Ihn zu verlassen: „Wollt auch ihr gehen?“, fragte Er sie, und Petrus war es, der für alle antwortete: „Herr, zu wem sollten wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt, daß du der Heilige Gottes bist“.(Joh 6,68f). Zwar verleugnete derselbe Petrus später Jesus, aber es war dann doch wieder er, der mit Johannes zum Grab lief und als erster hineinging. Nicht nur von Johannes, wohl auch von Petrus gilt: Er „sah und glaubte“ (Joh 20,8)!
All das erlebten die vielen Generationen der späteren Christenheit nicht. Und doch, die Glaubensgeschichte jedes Menschen kennt solche und ähnliche Stationen! Letztlich wiederholt sich diese Geschichte so oder so ähnlich immer wieder neu: Begegnung, Kennenlernen, Zweifel, Bekenntnis, Versuchung, Verrat und Tränen der Reue, Neubeginn und neue Begegnung!
Ein neuer Mensch wird geboren und, wenn ihm die Gnade christlicher Eltern zuteil wird, bringen sie ihn zur Taufe und „führen ihn zu Jesus“. Wie das? Indem sie schon dem kleinen Kind vom Gott Abrahams reden, ihm die vielen, schönen und spannenden Gottesgeschichten des AT erzählen und immer auch schon die Geschichte von Jesus - vor allem diese! Ohne daß die Eltern es merken, füllen sie so den „Tempel Gottes“, der zu sein das Kind bestimmt ist, mit der „Herrlichkeit des Herrn“ (vgl. Ez 42,4), lenken seinen kindlichen Blick auf den „göttlichen Glanz“ auf dem Antlitz Jesu (2 Kor 4,6), und ermöglichen dadurch den Glauben, den sie auch bei ihrem Kind nicht „machen“ können, der immer Gnade und immer freie Entscheidung jedes einzelnen Menschen ist und bleibt!
Und sonst? Zu dem „zu Jesus führen“ gehört natürlich das Gebet und nicht zuletzt das Zeugnis des eigenen, christlichen Lebens! Das war, das ist, das wird bis ans Ende der Welt die „christliche Erziehung“ sein, mehr nicht, aber auch nicht weniger, weder „streng“ noch „lax“, sondern immer getragen von der Ehrfurcht gegenüber dem Geheimnis der anderen Person, die man zu Jesus und zum Glauben an Ihn führen möchte! Dabei ist es von größter Wichtigkeit zu sehen und anzuerkennen: Auch das eigene Kind ist eine „andere Person“, die eingehüllt ist in das Geheimnis Gottes, in dem jeder Mensch lebt und ist, ganz persönlich umworben von Gottes Liebe, gerufen zu einer Glaubens- und noch mehr Liebesgeschichte mit Gott, die, wenn es nach Gott geht, niemals enden wird!
Ja, es ist schon wahr, so allgemeingültig das Gesagte ist, es ist natürlich eingebettet in die jeweilige Zeit, in die Kultur! Im jeweiligen Zeitgeist begegnet der Mensch den Einflüssen Gottes und denen des Teufels, die zwar keineswegs gleichrangig einander gegenüberstehen, nicht auf Augenhöhe, aber die einfach da sind! Jeder Mensch lebt in und mit ihnen, wächst heran und muß sich bewähren, den „guten Kampf kämpfen“. Es gibt nicht nur den Existenz-, sondern, viel wichtiger, den geistlichen Kampf.
Es geht wirklich nicht ohne ihn und zwar wegen der Erbsünde. Der Weltkatechismus beschreibt die Gründe für die Notwendigkeit dieses Kämpfens so: „Die menschliche Natur ist der Verstandesschwäche, dem Leiden und der Herrschaft des Todes unterworfen und zur Sünde geneigt … Indem die Taufe das Gnadenleben Christi spendet, tilgt sie die Erbsünde und richtet den Menschen wieder auf Gott aus, aber die Folgen für die Natur, die geschwächt und zum Bösen geneigt ist, verbleiben im Menschen und verpflichten ihn zum geistlichen Kampf.“
Wer für den täglichen Gebrauch mehr wissen will, kann die Regeln, die Techniken, die in diesem Kampf wichtig sind, bei großen Heiligen, etwa bei Franz von Sales nachlesen. Die Grund_regel: Es bedarf der geistigen Wachheit, die im Licht Christi und mit Hilfe des Lehramtes der Kirche die verführerischen Zeitirrtümer durchschaut.
Dabei sollte man wissen: Die Irrtümer treten immer glanzvoll und mit großartigen Verheißungen auf, die uns angeblich irgendwie „gottähnlich“ machen! Der Teufel ist ein Meister der Lüge, der schon die gescheitesten Leute erfolgreich belogen hat, und er findet immer eine „Schlange“, die geschickt für ihn redet und für ihn lügt! Daß er sich traut, uns so unsagbar dumme Lügen wie die des Rassismus oder heute der Gen_der-Ideologie zuzumuten, zeigt, für wie dumm er uns Menschen hält und wie siegessicher er sich mit seinen Lügen ist. Dazu hat er allen Grund, solange wir meinen, seinen Fallen allein mit eigener Schläue und eigener Kraft entgehen zu können!
Sicher ist: Jeder Mensch betritt mit seiner Geburt diesen Kampfplatz, aber keiner steht als Verlierer von vornherein fest! Im Gegenteil: Jeder, der will, ist Favorit und wird als Sieger vom Platz gehen - durch den Tod hindurch zu Gott!
All das Gesagte gilt immer und überall für alle Menschen, wer sie auch sein mögen. Und doch, es gibt Zeiten, Länder oder auch nur Lebensabschnitte, in denen spitzt sich die Situation zu. Da bedarf es besonderer Wachsamkeit von Sei_ten der Christen. Also, wie immer die „besonderen Gefahren“ früher waren, wie schauen sie heute aus, was macht uns das Christsein schwer, was lenkt uns ab, was führt in die Irre?
Meine erste Antwort lautet: „Man“ redet den Menschen Gott aus und damit beraubt man sie der Quelle ihres Glücklichseins, ihrer Geborgenheit, ihrer Hoffnung! Darum ist es das schlechthin „Zeitgemäße“, wenn Papst Benedikt und mit ihm viele, viele Verkünder des Glaubens vor allem und immer wieder von Gott reden! Den Menschen Gott zu verschweigen oder vorzuenthalten, ist so, wie wenn man Fischen das Wasser nimmt und Vögeln die Luft. Darum ist es auch für die Kirche schlimm, wenn es ihren Feinden gelingt, sie in die Rolle einer bloßen Moralinstanz oder eines sozialen Vereins zu drängen! Ihre Aufgabe ist es, Gott, den lebendigen Gott zu verkünden!
Weil die Gottvergessenheit so schlimm ist, ist auch die Verteidigung der Schöpfungsordnung (also auch der Umweltschutz) so wichtig, vor allem, weil wir in der Schönheit der Schöpfung eine „Spur“ Gottes erkennen können! Im Buch Hiob kann man lesen, wie z.B. Tiere zur Erkenntnis Gottes beitragen (Job 40,15ff) und das gilt genauso für Blumen, Kristalle, Berge und Seen!
Tatsächlich ist es so: Die heutigen Irrlehren betreffen, abgesehen vom Gotteshaß, im Unterschied zu denen früherer Zeiten vorrangig die Schöpfung mit allen Konsequenzen des Unglücks für die Menschen: Sie machen aus der Gottesgabe der Liebe eine frustrierende Wellness-Technik, aus der Gottesgabe unserer Geschlechtlichkeit als Mann und Frau ein im Lächerlichen endendes Selbstverstümmelungsprogramm, aus der Familie ein Angebot mit Ablaufdatum zur Deckung selbstbestimmter Be_dürf_nisse, aus dem Menschen selbst ein Etwas, von dem man nicht mehr weiß, wozu es eigentlich da ist: um für den Staat das Bruttosozialprodukt zu vermehren und zur Belohnung dafür Lust nach eigener Wahl genießen zu können?
Die Ungeborenen sind schon ein Wegwerfprodukt, die Alten sind dabei, es zu werden, die Behinderten werden, wie gehabt, folgen. Und dann wird ohnehin niemand mehr wissen, wie man das Lebensrecht auch aller anderen, auch der Gesunden, noch als wirkliches Recht begründen könnte!
Das, so scheint mir, sind die großen, heutigen Gefahren, die Häresie, die von der Leugnung Gottes längst fortgeschritten ist zur Leugnung Seines Werkes, Seiner Schöpfung, die wir selbst sind - wir alle!
In diese Finsternis hinein leuchtet die Sonne der Offenbarung, deren Monde wir Christen sind: Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde, die beide „voll sind von Deiner Herrlichkeit“!
Der Autor ist Weihbischof der Erzdiözese Salzburg.