Wer als Christ das geistige Klima im Westen Europas von der Mitte der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts ab beobachtete, mußte zunehmend beunruhigt sein: Mit Randalen in den Hörsälen der Universitäten stampfte die junge Nachkriegsgeneration einen neuen Trend aus dem Boden: “Der Muff von tausend Jahren unter den Talaren" (der Professoren), sollte gelüftet, die Familie abgeschafft, der Mensch zur Sexualität befreit und die Kinder antiautoritär von jeglicher Bevormundung erlöst werden.
Der sich selbst verwirklichende Mensch ohne Gott wurde auf den Märkten ausgerufen. Die evangelisch-lutherische Kirchenleitung, der ich damals als EKD-Synode angehörte, paßte sich dem Zeitgeist an. Eine neue Rechtsreform in Deutschland weichte haltgebende Paragraphen (wie z.B. den § 218, Abtreibung, §175, Homosexualität und das Zerrüttungsprinzip bei der Ehescheidung) auf. Das christliche Menschenbild wurde durch einen atheistischen Liberalismus ersetzt.
Als Fachfrau konnte ich voraussagen, daß diese unrealistische Ideologie viel Unglück sowie demographischen und wirtschaftlichen Niedergang der Gesellschaft hervorrufen würde. Aber mit dieser Prognose, mit den daraus resultierenden Warnungen stand ich in meiner Öffentlichkeitsarbeit allein auf weiter Flur.
Selbst die katholische Kirche schien angeschlagen. Die westliche Welt verlachte Paul VI. wegen seiner Enzyklika “Humanae vitae", die den Katholiken die Antibaby-Pille als Verhütungsmittel verbot. Von dieser weltweiten Ablehnung schwer beeinträchtigt verstarb er 1978.
Aber im selben Jahr übernahm der Pole Karol Wojtyla das Pontifikat. Wie ein sprudelnder Brunnen veröffentlichte er in den achtziger Jahren Lehrschreiben auf Lehrschreiben, in denen er die katholische Sicht mit dem Evangelium begründete und für den Geist der christlichen Liebe votierte.
Erst eine skurrile Pressenotiz, die mich in einer lächerlichen Weise überhöhte, lenkte meine Aufmerksamkeit darauf: In einer linke Postille ließ sich lesen, man könne Westeuropa als erobert betrachten. Allein zwei Personen seien noch resistent: In Rom der Papst und in Deutschland die Publizistin Christa Meves.
Nun erst begann ich die Verlautbarungen des neuen Papstes zu lesen und entdeckte: Ich besaß einen großen geistmächtigen klarsichtigen Mitstreiter! Er vertrat das christliche Menschenbild ohne Abstriche. Und dieses stimmte mit einer konstruktiven Pädagogik überein, wie sie sich als Gegenkonzept gegen die modern gewordene Ideologie entwickeln ließ, im Einsatz für die Familie und eine bekömmliche Sexualmoral.
So erkannte ich, wie unbedingt christliche Gemeinden besonders in wirren Zeiten eines vom Heiligen Geist inspirierten irdischen Oberhauptes bedürfen, das ihnen Christentum durch Wort und Tat glaubhaft und unangefochten vermittelt.
Als ich bei diesem Papst einige Jahre lang in die Lehre gegangen war, wußte ich ohne Zweifel, wo mein Platz künftig sein würde: Zu Füßen dieses Gott brennend liebenden, uns Glauben vorlebenden und Christus erklärenden Heiligen Vaters. 1987 wurde ich in die katholische Kirche aufgenommen. Seitdem bin ich eine von meiner Verantwortung entlastete, diesem wahrhaftigen Papst tief dankbare, glückliche Katholikin geworden.
Karol Wojtyla hat einem gefährlichen Feind des Abendlandes durch seinen klar artikulierten christlichen Geist Widerstand entgegengesetzt. Er hat unermüdlich Samen in jenen Acker gesät, auf dem das sättigende Lebensbrot der Menschheit, die Liebe, im Alltag neu zum Leben gebracht werden kann; er hat mir durch sein ungetrübtes Standhalten die Kraft geschenkt, der ideologischen Dampfwalze mit einer vom christlichen Menschenbild getragenen Psychologie und Anthropologie zu begegnen; denn das christliche Menschenbild hat sich aufgrund der Erfahrungen mit dem ideologischen Irrweg als wahr, als lebbar und als zukunftsträchtig erwiesen.
Und was für eine Gnade, daß der uns deutschen Katholiken so nahe Kardinal Ratzinger nun als Benedikt XVI. der Fels in der hochschäumenden Brandung sein wird!
Christa Meves