Vieles, was im Schwerpunkt geäußert worden ist, erscheint utopisch. Schön - ja, aber unmöglich unter den heutigen Bedingungen! Daher am Ende der Appell zum Aufbruch, denn den rechten Weg zu gehen, war zu allen Zeiten schwierig - aber an der Hand Gottes möglich und erfüllend.
Vor über 200 Jahren lebte ein Mann, von dem es hieß, sein Herz wäre größer gewesen als er selbst. Seine ganze Liebe galt den Kindern, galt der Mutter, sie galt dem Vater, der Familie. Er hatte die Ahnungen eines Propheten. Er sah mit dem Aufkommen der Industrialisierung und der technischen Beherrschung aller Lebensbereiche das Erkalten der Liebe in allen menschlichen Beziehungen und Verhältnissen einhergehen.
Darum schenkte er seine ganze erzieherische Liebe und Leidenschaft der Bildung, der seelischen und geistigen Hebung und Stärkung der Mutter. Von ihm stammt das berühmte Wort, das er immer wieder wiederholt: “Mutter, wenn ich dich liebe, dann liebe ich Gott."
Dieser Mann war Johann H. Pestalozzi. Er baute seine Pädagogik auf dieser Erkenntnis und Grundlage auf und eroberte sich so die ganze Kulturwelt. Er wußte, die Frau, die Mutter ist mit ihrem tiefsten mütterlichen Wesen ein Abbild des liebenden und allgütigen Gottes, von dem die Mystiker des Mittelalters sagen: “So wahr Gott unser Vater ist, so wahr ist Gott auch unsere Mutter." (Juliana von Norwich)
Von solchen Gefühlen wie Pestalozzi war auch der Philosoph H.G. Gadamer beseelt, der bei einem Interview zu seinem 90.Geburtstag auf die Frage “Was erwarten Sie von der Zukunft?" antwortete: “Meine persönliche Meinung ist seit langem die, daß ich nur noch an die Mütter glaube...Die Mütter glauben nicht an den Tod...Auch die Kinder glauben nicht an den Tod...Die Mütter tun unendlich viel in den ersten sechs Jahren ihrer Kinder für alle Zukunft der Menschheit. Wir haben nur noch diese Chance..."
Es ist auffallend, daß in den vergangenen 200 Jahren die Frage nach der Zukunft der Menschheit bei allen Sehern und Deutern der Geschichte (W.S. Solojow, P. Evdokimov, Fr.W. Foerster, G.v.Le Fort u.v.a.) immer dieselbe Antwort findet: Eine Erneuerung, eine Auferweckung in der Liebe der westlichen Kultur kann nur noch von der Frau, von der Mutter ausgehen, von den Segenskräften ihrer schöpferischen Tiefen.
Warum das? Weil die Frau dem schöpferischen Geheimnis Gottes näher steht als der Mann. In ihr sind jene Eigenschaften angelegt, die auch dem schöpferischen Geist Gottes, dem Heiligen Geist, zugeschrieben werden, von dem ein großer Theologe sagt, er sei “das Mutterherz in der Heiligsten Dreifaltigkeit". Und diese “mütterlichen Eigenschaften Gottes" sind die Liebe, die Güte, das Erbarmen, das Mitleiden, die Zärtlichkeit, das Mitgefühl, die Gabe des Tröstens, des Verzeihens, der Geduld, der Langmut u.s.w. - also alles Eigenschaften, die tief im Wesen der Frau angelegt sind, während sie der Mann oft mühsam erlernen und sich aneignen muß.
Die Hoffnungen, die immer wieder in die Frau gesetzt werden, sind gerade heute darum so groß, weil der Glaube an die erobernden und beherrschenden Kräfte der männlichen Energie bis in die Tiefe erschüttert sind. “Kein Zweifel, die grausamen Kriege, welche unseren Erdteil zerrissen und die heutige Lage weithin verschuldeten, sind das Werk einer einseitigen und übersteigerten Männlichkeit." (G.von Le Fort)
Nun aber drängt sich gebieterisch die Frage auf: Ist die Frau, ist die Mutter mit dieser Kulturaufgabe, mit diesem ihrem hohen Beitrag zu einer “Kultur der Liebe", von der Papst Johannes Paul II. immer wieder spricht, nicht heillos überfordert? Schafft sie überhaupt angesichts einer sterbenden Zivilisation ein solch gewaltiges Werk?
In der Tat: alle, die in solcher Weise von der Sendung der Frau geschrieben und geträumt haben, sind schließlich angesichts der realen Wirklichkeit an der Frau mehr oder weniger verzweifelt. Die Frau vermochte der Übermacht einer kalten, entseelten Maschinenwelt nicht standhalten. Und ihre Aufgabe ist auch heute nicht leichter geworden, im Gegenteil. Fast alles muß den Ansprüchen einer allmächtigen Wirtschaft geopfert werden, wenn der Mensch überhaupt noch mithalten, ja, überleben will.
Nun - auch diese unsere Zeit geht vorüber, auch sie hat ein Ende! Wir müssen an das Morgen denken, an eine neue Zeit, an eine Zeit, in der Gott wieder anerkannt und geliebt werden wird. “Wir dürfen vor zeitbedingten Krisen nicht resignieren", schreibt der Papst in “Novo millenio ineunte". Und er hat es uns beispielhaft vorgelebt! Wir müssen an unsere Kinder denken, an die Kinder von morgen und an die Kinder, die ein neues Jahrhundert, ein neues Jahrtausend zu gestalten haben. Ein solches, auf die große Zukunft gerichtetes und von der Liebe Gottes gesegnetes Denken und Wollen wird uns mit großer Hoffnung erfüllen, es wird uns froh und stark machen und den Mut geben, heute damit anzufangen.
Als die Christen vor bald 2000 Jahren einer heidnischen Welt gegenüberstanden, die in ihren Verirrungen und in ihrer Verunreinigung der unsrigen so ähnlich war, haben sie auch nicht gezaudert, sondern in der weltbesiegenden Kraft ihres österlichen Glaubens haben sie das Werk an die Hand genommen, jeder und jede an seinem Ort. Und es waren gerade die Frauen, die mit dem Glanz der Herrlichkeit des Herrn auf ihrem Antlitz (2 Kor 8, 23) in die müden, kranken Seelen blitzten und sie zu neuem Leben erweckten.
“Nichts hat so sehr dazu beigetragen, nach dem Zusammenbruch der antiken Welt die Menschen aus der sittlichen Auflösung herauszuretten und sie im Geistigen zu sammeln, als der Anblick weiblicher Reinheit, die mit heroischer Konsequenz und Sicherheit einer ganzen Welt von Verderbnis widerstand." (Fr.W. Foerster)
Es ist eine große Versuchung, wenn Menschen angesichts der (scheinbaren!) Übermacht des Bösen in der Welt von heute in den Seufzer ausbrechen: “Ach, was kann ich da als einzelner schon ausrichten!" - und dann die Hände in den Schoß legen. Solche Resignation ist immer vom Bösen. Wirkliche Erneuerungsbewegungen, geschichtliche Wendezeiten gehen fast immer von einzelnen Menschen aus und haben meist ihre verborgene und langsame Entwicklung. Und sie sind nicht das Werk des menschlichen Willens allein, sie sind vor allem Gnade, Ruf und Berufung aus dem Ewigen. Und hier liegt die weltüberwindende Kraft.
War nicht auch Maria, die Mutter Gottes, so eine verborgene Gestalt der Wende? Nicht bloß eine von vielen, sondern die Gestalt der Wende! Es ist heute weltweit ein wunderbares Erwachen für das Geheimnis der Gottesmutter zu beobachten. Als eine neue “Morgenröte des Heils" steigt Maria aus dunklen Bergen auf, in die sie nun lange verdrängt war. Es geht heute ein tiefes Fühlen durch die Schöpfung, daß die Frau, die Gott das Leben geschenkt hat und mit der Er sich für immer in wunderbarer Einheit verbinden wollte, in ihrer Verherrlichung an den Dimensionen des Ewigen und der Heilsgeschichte Anteil nimmt.
Wir spüren wieder etwas von dem Unsagbaren, von der tiefen, sehnsuchtsvollen Verbundenheit zwischen der Gottesmutter und der ganzen Schöpfung, von ihrer universalen Mutterschaft, von ihrer Muttersorge um jedes einzelne Menschenkind. Wir erkennen in Maria wieder das Bild und die Gestalt der Göttlichen Weisheit (vgl. Sir 24,12), die bei der Schöpfung “als geliebtes Kind" bei Gott war und deren Freude es ist, bei den Menschen zu sein (Spr 8, 30-31).
Nach den Aussagen vieler Heiliger wird Maria am Ende der Zeit als das große Heilszeichen der Welt erscheinen, als das kosmische “Sursum corda!": Empor eure Herzen, Christus kommt!
In einer solchen Zeit leben wir, dürfen wir leben, und darum wird niemand getäuscht werden, der seinen Blick mit kindlicher Erwartung zur Mutter des Sohnes Gottes erhebt, um von ihr zu lernen, wie man dem wahren Gott in rechter Weise dient. Denn Maria ist “die Frau nach dem Herzen Gottes", sie ist das ewig schöne Bild, das Gott von der Frau hat und nach deren Bild sich alle Frauen bilden sollen, damit auch sie vor Gott schön und fruchtbar seien. “Denn in ihr ist alle Lieblichkeit des Weges und der Wahrheit, in ihr ist alle Hoffnung des Lebens und der Tugend." (Sir 24, 18)
Und darum geht es doch, um dieses rechte Sein und Tun vor Gott, wenn wir an die Zukunft denken, an die Kulturgestaltung von Morgen, die Vermenschlichung und Verchristlichung der Welt, an der die Frau, die Mutter einen so herausragenden Anteil hat.
Nun - wie findet die Frau heute zurück zu den Segensquellen ihres tiefsten mütterlichen Wesens, damit sie an dem großen Werk mittun kann? Darauf gibt das kirchliche “Dokument über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt" eine wunderbare Antwort.
Damit die Frau (und auch der Mann!) zu ihrem Bild, zur Quelle ihres eigenen Wesens zurückfinden kann, soll sie sich - wie Maria - jener Weisheit öffnen, die von oben kommt: Dem Quell des Lebens, dem Heiligen Geist, der jene “Seite Gottes" in die Schöpfung trägt, die auch der gesegnete Anteil der Frau ist: nämlich die wunderwirkende, belebende und erhebende Kraft der Liebe. Darum spricht das Dokument von einer Bekehrung der Frau und des Mannes auf Gott hin. Es heißt im Schlußwort:
“Eine solche Bekehrung kann es nicht ohne ein demütiges Gebet geben, um von Gott jenen klaren Blick zu erhalten, der sowohl die eigene Sünde als auch die heilende Gnade erkennt. In besonderer Weise muß man die Jungfrau Maria anrufen, die Frau nach dem Herzen Gottes, ,gesegnet mehr als alle anderen Frauen' (vgl. Lk 1, 42) und dazu auserwählt, den Menschen, Männern und Frauen, den Weg der Liebe zu offenbaren.
Nur so kann die Straße des Friedens und des Staunens wiedergefunden werden, welche die biblische Tradition in den Versen des Hohenliedes bezeugt, in denen die Leiber und die Herzen in denselben Jubel ausbrechen."
Daß dieses Große letztlich nur erbeten werden kann, wußte auch eine Gertrud von Le Fort, die vor einem halben Jahrhundert in “Die Krone der Frau" schrieb:
“Wird es der Frau gegeben sein, dieses sogenannte ,männliche Zeitalter' in ein menschliches, das heißt in ein christliches zu wandeln? Gewiß ist nur: die Frau kann diesem auf den rein irdischen Erfolg bedachten Zeitalter eine reine, höhere und liebevollere Welt entgegensetzen...
Nähere Anweisungen vermag niemand zu geben. Das eigentlich Schöpferische, das zu neuer Liebe Entfachende, kann niemals auskalkuliert und organisiert, es kann nur erbeten und empfangen werden... Es gibt für die Frau kein anderes Mittel, das, was sie für die Welt ersehnt, heraufzuführen als es selbst zu verkörpern. Ob dies nun im stillen Kreise der Familie geschieht oder in der Öffentlichkeit, das ist zuletzt nicht ganz so wesentlich, wie unsere Zeit meint."
Lassen Sie mich schließen mit einem Gebet unseres unvergesslichen Papstes Johannes Paul II. aus dem Gebetbüchlein Meine Gebete für euch (Herder-Verlag), das die Überschrift trägt: Mutter der Kultur der Liebe.
O Maria, aufgenommen in den Himmel,
erweise dich allen als Mutter der Hoffnung!
Erweise dich allen als Königin der Kultur der Liebe!
Maria, Mutter der göttlichen Liebe,
sei für uns alle
Grund unserer wahren
und tiefen Freude. Amen