VISION 20005/2014
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Freundschaft: Säule, die die Ehe trägt

Artikel drucken Über die vielen Gründe, auch heute eine Ehe zu schließen (Von P. Johannes Lechner csj)

Wir haben heute bezüglich der Ehe eine paradoxe Situation: Einerseits heiraten immer weniger Leute, die Ehe scheint als Lebenskonzept nicht mehr attraktiv. Andererseits fordert man die Ehe für alle. Stellt sich die Frage: Warum heiraten?

Darauf gibt es eine Fülle von Antworten: Weil eine offene „Ehe“ eine ist, die nie geschlossen worden ist; weil Liebe sich in der Treue vollendet;
weil lebenslange Bindung nicht unfrei macht und einengt, sondern die Möglichkeit zum Reifen bietet;
weil Reife zufrieden und glücklich macht und daher Stabilität schafft in einer vergänglichen Welt;
weil die Ergänzung von Mann und Frau uns ganz werden lässt;
weil ein großes, nicht mehr revidierbares Ja den Menschen auf das Absolute verweist, auf den Absoluten, auf Gott, der zu uns sein absolutes Ja spricht – ohne Abstriche;
weil Kinder immer noch das größte und schönste Geschenk und der Auftrag mit der größten, besten Zukunft sind;
weil die Ehe eine große Schule der Liebe ist, die sich im Dienen erhebt, in der Treue erprobt und in der Vergebung vollendet;
weil das Sakrament der Ehe deine Liebe christusförmig macht;
weil das Projekt Familie dem ursprünglichen Plan Gottes entspricht, der uns nach Seinem Bild geschaffen und die Spur der trinitarischen Gemeinschaft in uns gelegt hat.
Unsere irdische Existenz ist vergleichbar mit einer Pilgerreise, die die Form des Exodus annimmt. Wir sind unterwegs, noch nicht vollendet, noch nicht angekommen. Wir stehen in einem großen Prozess der Menschwerdung: ein Herausgehen aus sich selbst. Wir werden herausgeführt aus der Sklaverei des eigenen, narzisstischen Ich. Um diese Herausforderung kommen wir nicht herum. Ohne diesen Exodus ist keine Liebe möglich. Wer nicht über sich selbst hinausgeht, kann nicht lieben.
Dieser Exodus hat zwei Eigenschaften, die für das menschliche Leben und für eine gute Ehe notwendig sind. Das erste Merkmal ist das Abenteuer. Der Exodus ist ein Abenteuer. Wir sehen das am Exodus der Israeliten: 40 Jahre Abenteuer. Und auch wir können ohne Abenteuer nicht leben.
Und zweitens brauchen wir Intimität, innere Vertrautheit, verbunden sein mit der Innerlichkeit eines anderen. Meine eigene Innerlichkeit muss Raum finden können in der Innerlichkeit eines anderen. Es geht um eine Begegnung von Herz zu Herz. Das geschieht schon in der Freundschaft, aber in einer besonderen, ganzheitlichen Wei­se in der Ehe. Sie ist eine Freundschaft, die den Eros einschließt, die leibliche Hingabe, die Lust, die Agape. Die Liebe hat ja eine Vielfalt von Dimensionen, sehr viele Sprachen… Wir alle haben großen Durst nach Intimität.
Im allgemeinen hat der Mann eher den Hang, Abenteurer zu sein, während die Frau stärker die Sehnsucht nach Intimität empfindet – obwohl beides für beide wichtig ist. Und die Ehe ist so ein Abenteuer mit einer wunderbaren, leib-seelischen, geistigen, emotionalen Intimität. Die ganze Dimension des Menschen ist hier eingeschlossen. Das ist das Große an der Ehe: ganzheitlich die Liebe auszudrücken.
Genau dasselbe gilt für unser Leben mit Gott. Unser Exodus ist ein Abenteuer mit einer ganz großen Intimität mit Gott. Sie ist unser Lebensquell. Ohne Intimität mit Gott können wir nicht überleben, da gehen wir ein wie eine Pflanze ohne Wasser und ohne Licht.
Im Grunde genommen ist unsere große Sehnsucht nach Intimität das Zeichen für unsere Sehnsucht nach Intimität mit dem Herrn. Das innere Gebet ist jener Ort, wo wir diese innere Vertrautheit, diese Intimität mit Gott leben, von Herz zu Herz. Und mit dem Herrn zu leben, ist wahrhaft ein großes Abenteuer. Wer mit dem Herrn unterwegs ist, erlebt Abenteuer – einfach herrlich.
Wer die Bibel von Anfang bis zum Ende durchliest, wird feststellen, dass die Beziehung Gottes zu Seinem Volk am häufigsten mit der Ehe verglichen wird. Kein anderer Vergleich wird so oft gezogen. Weiters stellt man fest, dass die Liebe mit der Beziehung von Mann und Frau, mit der Ehe, beginnt, denn die Schöpfungsberichte fließen zusammen in den Moment, wo Adam die Eva entdeckt. „Das endlich ist Fleisch von meinem Fleisch…“ Hier haben wir es mit der ersten Liebeserklärung zu tun.
Und wie hört die Bibel auf? „Der Geist und die Braut sagen: komm! Und wer da hört, der sage: Komm!“ Die Bibel hört mit der Hochzeit des Lammes auf. Die ganze Bibel, von der Genesis bis zur Offenbarung, ist umrahmt vom Geheimnis der Hochzeit, vom Geheimnis der Ehe, vom Geheimnis dieser Beziehungsfähigkeit des Menschen: Und die menschliche Beziehungsfähigkeit von Mann und Frau ist das Zeichen und das Werkzeug für jene große Beziehung, die wir mit dem Schöpfer eingehen und die zur absoluten Vereinigung werden wird. Sie wird unsere ewige Hochzeit sein, die Hochzeit des Lammes, des gekreuzigten und auferstandenen Christus, eine Liebe, die ewig und hingebungsvoll, die ohne Bedingung ist und die wir alle ersehnen.
Daher ist die Frage von Ehe, Sexualität, von Beziehung, Eros, Freundschaft im Leben des Menschen eigentlich immer die zentrale Frage. Wir sind geschaffen, um Intimität und ein Abenteuer zu leben.
Meiner Beobachtung nach ist das Wichtigste einer glücklichen, dauerhaften Ehe ein gute Freundschaft. Sie ist das tragende Element. (…)
Freundschaft ist die vollkommenste Weise zu lieben, weil sie unserer geistigen Natur und unserer Innerlichkeit am meisten entspricht. Die Freundschaftsliebe ist vor allem eine geistige Liebe, jenseits von Leidenschaft und Eros. Die Leidenschaft vermag nicht, über die eigenen Interessen hinauszugehen. Man genießt den anderen für sich selbst. In der geistigen Liebe wird der Freund um seiner selbst willen geliebt. Sie ist Exodus und Ekstase, im Sinn des über sich selbst Hinausgehens, um auf den anderen ausgerichtet zu sein. Die geistige Liebe enthält auch eine geistige Kenntnis des anderen und macht nicht wie die Leidenschaft blind sondern sehend.  Sie öffnet die Augen für die Herzensqualitäten des anderen, für ein affektives Erkennen, das allein in die Innerlichkeit des anderen vorzudringen vermag.
Im strengen Sinn kennt man einen Menschen erst als Freund. Alle andere Erkenntnis – sei sie noch so objektiv – bleibt äußerlich. Diese geistige Liebe führt zu einer Erwählung des anderen, die sich durchaus der Unvollkommenheit und Fehler des Freundes bewusst ist. Ein Freund wird im Freund nie zuerst die Mängel und Schwächen sehen, sondern immer primär das Gute in ihm. Diese innere Erwählung bringt die Sympathie zum Reifen und macht die Freundschaft fest.
(…) Die Freundschaft ist jener Ort, wo der Mensch ganz er selber sein darf und sich als solcher vertrauensvoll öffnet auf ein Du, im Geben und Nehmen. Der Freund übersteigt uns, ist eben anders als wir und doch uns ähnlich. Es macht Freude, den anderen zu entdecken, seine Geschichte, seine Fähigkeiten, seine Reichtümer, sein Inneres. Freundschaft ist Eindringen in das Innere des Menschseins, nicht mit der ungestümen Vehemenz des Eros, sondern mit der lichten Kraft des Geistes und des Herzens.
Auszüge aus einem Vortrag beim Jungfamilientreffen 2014 in Pöllau.

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