Als Seelsorger ist man täglich damit konfrontiert: Mit dem Verlust der Lebensfreude bei so vielen Menschen, aber auch mit dem Verlust der inneren, der geistlichen Freude bei vielen Christen. Wo aber die Freude fehlt, geht die ansteckende Wirkung des Glaubens verloren.
Viele gläubige Menschen scheinen ganz vergessen zu haben, daß Christsein ohne Freude nur noch eine Karrikatur ist, daß Christsein ohne Freude viele Menschen, vor allem junge, davon abhält, Christen zu werden, ja, sich mit dem Christentum überhaupt zu beschäftigen. Neulich sagte mir eine Frau mittleren Alters (und sie spricht hier für viele):
“Ich habe in meiner Familie und Pfarrei die christliche Religion als etwas Freudloses, Bedrückendes empfunden und erlebt. Schon mit jungen Jahren kehrte ich daher der Kirche den Rücken zu. Mit etwa 30 Jahren wurde ich dann von einer Freundin zu einer Reise nach Assisi eingeladen. Zuerst wollte ich nicht, dann ging ich doch. Und das wurde für mich zu einem Erlebnis großer Beglückung. In Assisi lernte ich den Heiligen Franziskus kennen, und ich erkannte zum ersten Mal, daß zum authentischen Christsein wesentlich die Freude gehört, auch die Freude am Leben und ein beglückendes Ja zur Schöpfung."
Einer der größten Missionare des Mittelalters, vielleicht auch der faszinierendste und gewinnendste - der Heilige Franziskus -, war ein Missionar der Freude. Bis heute zieht dieser Heilige - im Fischernetz der Freude - ungezählte Menschen an Land, vor allem Jugendliche.
Jährlich pilgern Zehntausende nach Assisi, um dem strahlend-warmen Geheimnis dieses Heiligen ein wenig nahe zu sein. Viele der Kirche fernstehende Menschen finden bei Franziskus einen Anknüpfungspunkt für ihr tiefes Bedürfnis nach lebendiger Gotteserfahrung. Und viele werden da, an diesem Punkt, von der Gnade des Heiligen angezogen und hineingezogen in das schöne Geheimnis der Kirche, immer tiefer hinein in das grenzenlose und beglückende Geheimnis der dreieinigen Liebe Gottes.
Kaum ein Heiliger hat so um die tiefe, um die innere Einheit von Christsein und Freude gewußt wie Franziskus. Aber kaum einer hat auch so wie er um deren Gefährdung bei sich und bei seinen Brüdern gewußt. Als er einmal sah, wie einer seiner Gefährten ein mürrisches und trauriges Gesicht machte, sagte er - “in nicht gerade sanftem Ton!", wie der Biograph bemerkt - zu ihm: “Es ziemt sich nicht, daß ein Knecht Gottes sich den Menschen traurig und betrübt zeige, sondern er soll stets aufgeräumt sein." Dann schickt Franziskus diesen Bruder in seine Zelle zurück, damit er seine Traurigkeit vor Gott ausweine und sich von Ihm trösten lasse.
Erst als er den Frieden des Herzens und die Freude zurückgewonnen hatte, durfte er zu seinen Brüdern zurückkehren. Für Franziskus (im Grunde aber für alle Heiligen) stand immer fest: “Das sicherste Mittel gegen tausenderlei Nachstellungen und Listen des bösen Feindes ist die geistliche Freude." (Franziskus)
Die Freude ist eine Abstrahlung, ist ein Leuchten des inneren Friedens. Paulus nennt in Gal 5, 22 die Freude eine Frucht des Heiligen Geistes. Wo der Heilige Geist in einem Menschen wohnt, dort scheint sein tröstliches, sein frohmachendes Licht aus allen Fenstern der Seele. Ja, es leuchtet aus den Augen des Menschen. Paulus nennt die Freude (als Frucht des Heiligen Geistes) gleich nach der Liebe. Wo also der Heilige Geist ist, ist immer Liebe und Freude.
Liebe und Freude sind die zwei Flügel der Seele, mit denen sie zum Himmel aufsteigen kann. Liebe und Freude sind die Füße der Freudenboten (Jes 52, 7), mit denen sie seit 2000 Jahren die Frohbotschaft der Liebe Gottes zu den Menschen aller Völker tragen. Liebe und Freude sind die beiden starken Arme der Menschenfischer, mit denen sie ihre Netze ans Land ziehen.
Vor bald 30 Jahren sprach in einem Vortrag ein engagierter renommierter Psychotherapeut ein Wort, das kaum etwas von seiner dramatischen Aktualität eingebüßt hat: “In der Psychotherapie sehen wir die unbeschreibliche Sehnsucht des Menschen nach Religion, und wir sehen, wie niemand imstande ist, diese Sehnsucht zu erfüllen, weil da Barrikaden gegeben sind zwischen denen, die die Religion ausstrahlen sollen, und denen, bei denen sie nicht ankommt."
Was für eine schockierende Feststellung! Eine Religion, ein Glaube, der nicht strahlt, kommt nicht mehr an. Er ist erloschen, erloschen im Herzen und auf den Gesichtern. Erloschene Sterne leuchten nicht am Nachthimmel. Kein Auge kann sie sehen.
So ist es auch bei uns Christen. Wenn wir nicht mehr leuchten, nicht mehr strahlen, ist die Nacht für viele Menschen fast ohne jedes Licht. Und die Menschen haben doch ein Anrecht auf unser Licht. Wir sollen doch als “Lichter in der Welt leuchten", sagt Paulus (Phil 2, 15). Dann ist höchste Zeit, sich vom heiligen Franziskus ermahnen zu lassen: “Es ziemt sich nicht, daß sich ein Knecht Gottes den Menschen traurig und betrübt zeige. Er soll stets aufgeräumt sein."
Was heißt das? Es heißt vor allem: Sich eine große Mülltonne besorgen, in die man die Lasten, die einen so sehr bedrücken, hineinwerfen kann. Aufräumen heißt immer auch, sich von vielem trennen. Meistens können wir das nicht allein, wir brauchen dazu die Hilfe guter und auch verständiger Menschen. Solche Aufräumarbeit braucht auch viel Mut und Geduld. Aber wir kommen um diese Schwerarbeit nicht herum, solange wir uns Christen nennen wollen. Wunderbar drückt das unser Papst aus, wenn er sagt:
“Der Mensch muß aufsteigen lernen, er muß weit werden. Er muß am Fenster stehen. Er muß Ausschau halten. Und dann kann das Licht Gottes ihn anrühren, er kann ihn erkennen und von ihm her den wahren Über-Blick gewinnen."
Ein solcher Mensch, aufgeräumt und weit geworden in seinem Herzen, fähig geworden, das Licht der Liebe Gottes aufzunehmen, so ein Mensch wird zu einem Missionar der Menschenfreundlichkeit Gottes für alle, die mit ihm zusammenleben und ihm begegnen, für alle, zu denen ihn die Flügel der Liebe und der Freude noch tragen werden. “Denn es ist nicht nur unser Recht, es ist unsere Pflicht, uns zu freuen, weil der Herr die Freude geschenkt hat, und weil die Welt auf sie wartet." (Papst Benedikt XVI.)