Großer medialer Aufruhr Anfang Juli: Der Wiener Erzbischof hatte es gewagt, die neodarwinistische Sicht der Evolution anzugreifen. Die Gestalt der Welt als Ergebnis des Waltens von blindem Zufall und Notwendigkeit anzusehen, bedeute Abdankung der menschlichen Vernunft, stellte er in der New York Times fest. Sein Artikel wurde beißend kritisiert (siehe in dieser Ausgabe: "Unsachliche Kritik an Schönborns Äußerungen"), seine Äußerungen aber kaum je wiedergegeben. Wir drucken sie im folgenden ab, weil sie die Sicht der Kirche gut wiedergeben.
Nach zwei Wochen haben sich die Debatten im Sand verlaufen: Die Schüler lernen weiterhin, der Mensch sei ein zufällig entstandener Abkömmling des Affen. Daß dieser materialistische Evolutionismus auch wissenschaftlich unhaltbar ist, zeigt die Zusammenstellung auf den Seiten 26-27 (siehe in dieser Ausgabe: "Mehr Ideologie als Wissenschaft", "Eigentlich längst widerlegt").
Seit Papst Johannes Paul II. 1996 erklärt hat, dass die Evolution (ein Begriff, den er nicht definierte) “mehr" sei als nur eine “Hypothese", haben die Verteidiger des neo-darwinistischen Dogmas eine angebliche Akzeptanz oder Zustimmung der römisch-katholischen Kirche ins Treffen geführt, wenn sie ihre Theorie als mit dem christlichen Glauben in gewisser Weise vereinbar darstellen. Aber das stimmt nicht.
Die katholische Kirche überläßt der Wissenschaft viele Details über die Geschichte des Lebens auf der Erde, aber sie verkündet zugleich, daß der menschliche Verstand im Licht der Vernunft leicht und klar Ziel und Plan in der natürlichen Welt, einschließlich der Welt des Lebendigen, erkennen kann. Die Evolution im Sinn einer gemeinsamen Abstammung (aller Lebewesen) kann wahr sein, aber die Evolution im neodarwinistischen Sinn - ein zielloser, ungeplanter Vorgang zufälliger Veränderung und natürlicher Selektion - ist es nicht.
Jedes Denksystem, das die überwältigende Evidenz für einen Plan in der Biologie leugnet oder wegzuerklären versucht, ist Ideologie, nicht Wissenschaft.
Betrachten wir die tatsächliche Lehre unseres verehrten Johannes Paul II.: Während seine eher unbestimmte und weniger bedeutende Botschaft von 1996 über die Evolution immer und überall zitiert wird, gibt es fast niemanden, der seine Feststellungen bei einer Generalaudienz 1985 diskutiert, die seine kraftvolle Lehre über die Natur repräsentieren: “Alle Beobachtungen über die Entwicklung des Lebens führen zu einer ähnlichen Konklusion. Die Evolution des Lebendigen, dessen Entwicklungsstufen die Wissenschaft zu bestimmen und dessen Mechanismen sie zu erkennen sucht, hat ein inneres Ziel, das Bewunderung hervorruft. Dieses Ziel, das die Lebewesen in eine Richtung führt, für die sie nicht Verantwortung tragen, zwingt, einen Geist vorauszusetzen, der Schöpfer dieses Ziels ist."
Und weiter sagte er: “All diesen Hinweisen auf die Existenz Gottes, des Schöpfers, setzen einige die Kraft des Zufalls oder die Mechanismen der Materie entgegen. Aber angesichts eines Universums, in dem eine solch komplexe Organisation seiner Elemente und eine so wunderbare Zielgerichtetheit in seinem Leben vorhanden ist, von Zufall zu sprechen, würde gleichbedeutend damit sein, die Suche nach einer Erklärung der Welt, wie sie uns erscheint, aufzugeben. In der Tat würde dies gleichbedeutend sein damit, Wirkungen ohne Ursache anzunehmen. Es würde die Abdankung des menschlichen Verstands bedeuten, der auf diese Weise sich dem Denken und der Suche nach einer Lösung für die Probleme verweigern würde." Zu beachten ist, daß in diesem Zitat das Wort “Ziel" ein philosophischer Begriff ist, der mit letzter Ursache, Zweck oder Plan gleichbedeutend ist.
Ein Jahr später hat Johannes Paul II. bei einer anderen Generalaudienz festgestellt: “Es ist klar, daß die Glaubenswahrheit über die Schöpfung den Theorien der materialistischen Philosophie radikal entgegengesetzt ist. Diese Theorien sehen den Kosmos als das Ergebnis einer Evolution der Materie, die ausschließlich auf Zufall und Notwendigkeit zurückzuführen ist."
Der zuverlässige “Katechismus der Katholischen Kirche" stellt ebenfalls fest: “Gewiß kann schon der menschliche Verstand eine Antwort auf die Frage nach den Ursprüngen finden. Das Dasein eines Schöpfergottes läßt sich dank dem Licht der menschlichen Vernunft mit Gewißheit erkennen." Und er fügt hinzu: “Wir glauben, daß Gott die Welt nach seiner Weisheit erschaffen hat. Sie ist nicht das Ergebnis irgendeiner Notwendigkeit, eines blinden Schicksals oder des Zufalls."
In einer unglückseligen neuen Wendung dieser alten Kontroverse haben Neodarwinisten kürzlich versucht, Papst Benedikt XVI. als zufriedenen Evolutionisten darzustellen. Sie zitierten einen Satz über gemeinsame Abstammung aus einem 2004 veröffentlichten Dokument der Internationalen Theologenkommission, verweisen darauf, daß Benedikt zu diesem Zeitpunkt Vorsitzender der Kommission war und schlußfolgern, daß die katholische Kirche mit dem Begriff der Evolution wie ihn viele Biologen verwenden - also gleich bedeutend mit Neodarwinismus - kein Problem hat.
Das Dokument der Kommission unterstreicht jedoch die ständige Lehre der katholischen Kirche über die Wirklichkeit eines Plans in der Natur. Im Hinblick auf den weit verbreiteten Mißbrauch der Botschaft Johannes Pauls II. über die Evolution aus dem Jahr 1996 warnt die Kommission, daß “die Botschaft nicht als umfassende Bestätigung aller Evolutionstheorien - einschließlich jener neodarwinistischer Provenienz, die ausdrücklich jede kausale Rolle der göttlichen Vorsehung bei der Entwicklung des Lebens im Universum leugnen - aufgefaßt werden kann." Weiter stellt die Kommission fest, daß “ein zielloser evolutionärer Prozeß - der sich außerhalb der Grenzen der göttlichen Vorsehung abspielt - einfach nicht existieren kann."
In der Predigt bei seiner Amtseinführung vor wenigen Wochen hat Benedikt XVI. ausgerufen: “Wir sind nicht das zufällige und sinnlose Produkt der Evolution. Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht."
Die Geschichte hindurch hat die Kirche die von Jesus Christus geoffenbarten Wahrheiten des Glaubens verteidigt. Aber in der Moderne ist die katholische Kirche in der seltsamen Position, daß sie auch die Vernunft verteidigen muß. Im 19. Jahrhundert lehrte das Erste Vatikanische Konzil eine gerade vom “Tod Gottes" faszinierte Welt, daß die Menschheit allein durch den Gebrauch der Vernunft die Wirklichkeit der unverursachten Erstursache, des Ersten Bewegers, des Gottes der Philosophen erkennen kann.
Jetzt, am Beginn des 21. Jahrhunderts, wird die katholische Kirche angesichts von wissenschaftlichen Ansprüchen wie dem Neodarwinismus und der “Multiversum-Hypothese" in der Kosmologie (die aufgestellt wurden, um dem überwältigenden Beweis für Zweck und Plan auszuweichen, der in der modernen Wissenschaft zu finden ist) neuerlich die menschliche Vernunft verteidigen und verkünden, daß der in der Natur offensichtlich vorhandene immanente Plan wirklich ist. Wissenschaftliche Theorien, die den Versuch machen, das Aufscheinen des Plans als ein Ergebnis von Zufall und Notwendigkeit wegzuerklären, sind nicht wissenschaftlich, sondern - wie Johannes Paul II. festgestellt hat - eine Abdankung der menschlichen Vernunft.
Wortlaut des Gastkommentars von Kardinal Christoph Schönborn in der “New York Times" vom 7. Juli 2005, dokumentiert in kath.net vom 11.7.05