Der Islam ist mit 1,3 Milliarden Anhängern die zweitgrößte Religion der Welt. Mehr als ein Fünftel der Menschheit folgt dem Islam. Aufgrund der hohen Geburtenraten und durch Bekehrungen ist er auch die am schnellsten wachsende Religion der Welt. Der Islam muß in seiner politischen und religiösen Bedeutung viel ernster genommen werden, als man dies bisher im Westen meinte.
Was in den Köpfen der Muslime und ihrer Führer vor sich geht, was sie glauben, wie sie denken, das ist den meisten Menschen der westlichen Welt unbekannt. Heute besteht eine der Versuchungen darin, das Christentum auf eine rein menschliche Weisheit zu reduzieren, gleichsam als Lehre des guten Anstands, und damit auch die Gleichheit aller Religionen zu propagieren. So wird gefragt, ob denn die christliche Mission unter Nicht-Christen überhaupt noch aktuell und möglich sei?
Im Hinblick auf Christentum und Islam wird häufig die Meinung vertreten, die beiden Religionen seien einander sehr ähnlich und unterschieden sich nur in unwesentlichen Details. Häufig kann man hören: “Wir glauben letztlich alle an den gleichen Gott." Wegen des christlich-islamischen Dialogs erscheinen dann Unterschiede vernachlässigbar. Doch mit einer solchen Einstellung wird man weder dem Glauben der Christen noch dem der Muslime gerecht.
Denn Christus beauftragt alle seine Jünger und sendet die Kirche jeder Generation, zur Verkündigung der Frohen Botschaft in die Welt hinein, und jede Ortskirche, jede Diözese verrät ihren Auftrag, wenn sie in ihrem Leben das Prinzip der Mission - die Verkündigung der Frohen Botschaft an Nichtchristen - verkümmern läßt.
Denn kaum ein Mensch, der aus dem Islam kommt, hat Jesus Christus wirklich kennengelernt. Muslime wissen nicht, daß Er ihr Heiland und Erlöser ist. Sie kennen weder Sein Leben noch Seine Botschaft. Das, was Muslime im allgemeinen über die Lehre des Christentums und über Jesus Christus hören und was sie vom Leben der Christen zu sehen bekommen, stammt: erstens aus der Lehre des Korans, ausgelegt durch islamische Lehrer an islamischen Schulen oder von Imamen in Moscheen, zweitens von der eigenen Familie, den Nachbarn und den Medien, drittens von den Christen selbst.
In den islamischen Ländern leben die Christen aber zumeist als Minderheit in großer Furcht und weigern sich geradezu, Muslimen gegenüber ihren Glauben zu bezeugen. Vielfach werden sie bis heute gedemütigt und von islamisch fundamentalistischen Gruppen verfolgt. Darum leben sie in aller Stille und halten zu den Muslimen so viel Abstand wie möglich.
Dennoch ist es Gottes Wille auch heute, daß allen Menschen, auch den Muslimen, das Evangelium verkündet werde, damit alle die großen Taten Gottes erfahren und glauben, was Er in und durch Jesus Christus für alle Menschen getan hat. Es ist katholische Lehre, daß Gott das Heil aller Menschen will!
Allerdings gibt es seit Jahrhunderten unter Christen das Schlagwort von der Unbekehrbarkeit der Muslime. Das christliche Zeugnis sei dem Muslim gegenüber ein Wort für taube Ohren, alle Bemühungen um ihn vergeblich. Manchmal kann man hören: “Es ist eine Zeitverschwendung, den Muslimen das Evangelium zu verkünden; ihr werdet sie niemals bekehren!"
Das ist richtig: Wir werden in der Tat niemals einen Muslim bekehren; denn Bekehrung ist Gnade und darum einzig das Werk Gottes! Niemand sollte sich einbilden, allein aufgrund geschickter Argumentation oder Methoden jemanden zum Glauben führen zu können. Es ist der Herr selbst, der die Berufenen an sich zieht.
Wie können nun aber Muslime mit der Frohen Botschaft in Berührung kommen? Meine Erfahrung hat mich folgendes gelehrt: Muslime, besonders Türken, sprechen gerne und häufig über religiöse Fragen. Wenn es sich dabei um das Christentum handelt, neigen sie dazu, sich selbstsicher und wissend zu geben; sie sind überzeugt, der Koran enthalte alles, auch das wahre Christentum. Jede Abweichung ist für sie nur Beweis dafür, daß die Christen das Evangelium (“Incil") gefälscht haben.
Der Islam lehrt nämlich, daß Gott zu verschiedenen Zeiten den verschiedenen Völkern jeweils in ihrer eigenen Sprache eine heilige Schrift habe zukommen lassen: die “Taurat" (Thora) dem Moses, den “Zebur" (Psalter) dem David, das “Incil" (Evangelium) Jesus, den “Koran" dem Mohammed.
Ursprünglich sei der Inhalt aller heiligen Bücher im wesentlichen der gleiche gewesen, wenn auch die neuere Schrift jeweils die ältere ersetzt habe. Damit gibt sich der Islam als legitimer Nachfolger des Juden- und Christentums aus, der angebliche Verfälschungen in diesen beiden Religionen ein für allemal korrigiert. Im Gespräch betonen Muslime, daß sie alle heiligen Bücher anerkennen. Fragt man allerdings, ob sie auch das Evangelium lesen, erhält man in der Regel die Antwort: “Wir glauben an alle heiligen Bücher in ihrer unverfälschten Urform. Außer dem Koran sind diese jedoch verfälscht worden und nicht mehr vorhanden."
Auf diesem Hintergrund kann ein Gespräch mit Muslimen über den Glauben eigentlich nur im Kreis gehen: sehr anstrengend und ergebnislos. Nach jahrelangen Bemühungen hatte ich den Entschluß gefaßt, mit solchen Gesprächen aufzuhören.
Da ich Türkisch spreche, war ich allerdings weiterhin bereit, Gastarbeitern in Wien als Dolmetsch und Berater zu helfen, aber Gespräche mit Muslimen über Fragen der Religionen lehnte ich ab. Ich hatte zu viele negative Erfahrungen gesammelt.
Einem jungen Türken, der häufig meine Hilfe in Anspruch nahm und mich hartnäckig mit religiösen Fragen plagte, widerstand ich ein volles Jahr.
Dann aber geschah etwas, das mir einen neuen Weg des Gesprächs zeigte: Eines Abends - die Pforte unseres Hauses war schon abgesperrt - läutete er stürmisch an der Pforte, er müsse mich dringend sprechen. Ich kam ins Sprechzimmer. Und da stand der junge Mann ganz verstört und bat mich fast flehentlich, ihn nicht wegzuschicken, sondern ihm eine wichtige Frage zu beantworten. Mit der rechten Hand zeigte er auf das Kreuz an der Wand und fragte: “Bitte, sage mir, warum betest du Ihn an?" Jetzt wußte ich, daß ich mich nicht drücken konnte. Und so begann ein langes, intensives Gespräch.
Zunächst ersuchte ich ihn, mir von seinem Glauben zu erzählen. Er wußte über das Leben Mohammeds Bescheid und konnte dessen Ehrentitel aufzählen. Er sagte mir auch, daß Mohammed keine Wunder gewirkt habe. Der Koran, sei das einzige Wunder, das ihn als Propheten auszeichne.
Dann begann er über die Titeln und Ehrennamen zu sprechen, die Jesus im Koran gegeben werden: Jesus wird dort als Prophet bezeichnet. Eine besondere Auszeichnung ist der Titel “Muqarrab", wörtlich ein “Nahegebrachter", einer, den die göttliche Barmherzigkeit nahe an Gott gebracht hat. “Muqarrab" heißen auch die höchsten Engel (4,170).
Ich machte meinen Gesprächspartner aufmerksam, daß Jesus und Mohammed nach dem Koran demnach auf gleicher Ebene stehen. Und obwohl es ausdrücklich heißt, Jesus sei nur ein Gesandter Gottes, falle auf, daß von Jesus Dinge gesagt werden, die nicht einmal bei Mohammed eine Parallele hätten!
Mit Eifer erzählte er mir dann, daß die Geburt Jesu nach dem Koran außergewöhnlich sei: Er sei eine Neuschöpfung Gottes, ohne Zutun eines Mannes von der Jungfrau Maria empfangen und geboren. Auf meine Frage hin: “Aber wer ist dann Jesus, wenn Er eine Neuschöpfung Gottes ist, empfangen und geboren aus der Jungfrau Maria ohne Zutun eines Mannes - wer ist dieser Jesus?"
Mit nassen Augen rief darauf der junge Türke erstmals staunend aus: “Hasreti Isa, ne büyüksün!" (“Geheiligter Jesus, wie bist du groß!")
Dann erzählte er weiter, daß zum Unterschied zu Mohammed Jesus Wunder gewirkt hat: Der Koran berichte, daß Jesus einem Blindgeborenen das Augenlicht schenkt. Aber heißt es nicht auch im Koran “Allah ist das Licht vom Himmel und der Erde" (24,35)? Wer ist dann Jesus, daß Er dem Blinden Licht schenken kann? Und wieder der Ausruf des jungen Mannes: “Geheiligter Jesus, du bist groß!"
Voll Staunen erzählte er dann, daß Jesus sogar Tote erweckt habe. Mein Hinweis: Bei der Auferweckung von Toten gibt Jesus Leben, Leben aber gibt nur Gott. Wer ist doch dieser Jesus? Unser Gespräch wurde mehr und mehr zu einem einzigen großen Staunen über Jesus, und dem Jungen liefen Tränen über die Wangen.
Dann fiel ihm noch ein, daß der Koran eine seltsame Geschichte erzählt: Jesus habe Tonerde genommen einen Vogel geformt, ihn angehaucht und er wurde ein lebendiges Wesen, das davonflog. (Vgl.: Sure 5,110) Mein Einwand: Gott allein sei doch der Schöpfer des Himmels und der Erde. Der Koran werde nicht müde, das zu verkünden. Und doch würden solche Taten von Jesus - und nur von Jesus - erzählt. Und selbst wenn man hinzufügt, daß Er all das nur mit Erlaubnis Gottes tun durfte, bleibt doch die Frage: Warum gerade nur Jesus? Wer ist dieser Jesus?
“Bemerkst du, daß der Koran keine Antwort auf diese Frage hat? Bei dieser Frage endet der Koran. Hier beginnt erst das Evangelium. Denn das Evangelium ist Frage und Antwort."
Der junge Türke war nun bereit, auf das Evangelium zu hören. Wie oft wird da vom Staunen und Fragen der Menschen berichtet: “Wer ist doch dieser, daß ihm Wind und Wellen gehorchen?" “Für wen halten die Leute den Menschensohn? ... Und ihr, für wen haltet ihr mich?" - “Du bist der Sohn des lebendigen Gottes!"
Jetzt war der junge Mann begierig, so viel wie möglich von Jesus zu hören; er hatte Jesus lieben und ihm vertrauen gelernt.
Das Gespräch dauerte viele Stunden. Als wir uns trennten, war es draußen bereits heller Morgen. Ich ließ allein die Sprache des Evangeliums zu Wort kommen, sie ist die beste Verkündigung, öffnet das Herz des Hörenden und macht ihn bereit, die Botschaft anzunehmen.
Bei diesem intensiven, nächtlichen Glaubensgespräch gewann ich die Erkenntnis, wie notwendig für die Muslime das Glaubenszeugnis der Christen ist. Allerdings sollte man nicht vorschnell ein religiöses Gespräch anstreben, sondern zuerst den Boden für ein fruchtbares Gespräch bereiten. Erst das gelebte Zeugnis des christlichen Glaubens vermag den zutiefst mißtrauischen und von vielen Vorurteilen belasteten Muslim für ein echtes Gespräch zu öffnen.
Von da an hatte ich wieder die Kraft und den Willen, mich mit Muslimen abzugeben. Es war mir erneut bewußt geworden, daß wir Christen die Pflicht haben, den suchenden und fragenden Menschen Antwort zu geben, denn sie haben ein Recht zu erfahren, “aus welcher Hoffnung wir leben"!
In der Folgezeit durfte ich, gemeinsam mit meinem Mitbruder, viele positive Erfahrungen mit suchenden und nach der Wahrheit fragenden Menschen machen. Das führte 1996 zur Gründung des Institutes St. Justinus.
Seine Tätigkeiten sind vor allem religiöse Unterweisungen und Informationen, Apostolatsschulung für freiwillige Mitarbeiter, sowie katholischen Glaubensunterricht in verschiedenen Sprachen für Taufbewerber und Katechumene.
Vor etwa acht Jahren entstanden zwei türkisch-katholische Gemeinden von Neugetauften in Graz und Linz. Eine katholische Gemeinde von Persern ist im Entstehen. In Linz, Wien und Graz gibt es kleine Zentren, in denen katholischer Glaubensunterricht in verschiedenen Sprachen abgehalten wird und Gebetstreffen, Bibelrunden, Pfarrkaffee u. vieles andere stattfinden. Zur Zeit betreuen wir über hundert Katechumene.
P. Joseph Herget