Nach der Ermordung Charles de Foucaulds im Hoggar, in der Sahara, am 1. Dezember 1916 durch zwei fanatische Muslime schrieb der hochangesehene Führer der Tuareg, Moussa Ag Amastane, in einem Brief an Frau de Blic: “sowie ich vom Tod unseres Freundes, Ihres Bruders Charles, erfuhr, haben sich meine Augen geschlossen; alles ist dunkel für mich; ich habe geweint, und ich habe viele Tränen vergossen, und ich bin in großer Trauer."
Dieser große, stolze und zugleich menschliche Herrscher der Tuareg war kein Mann der Gefühle. Und doch war er zutiefst betroffen von dem Tod seines Freundes. Die Tuareg sind strenggläubige Muslime. Im Koran, in der Sure 5,51 heißt es ausdrücklich: “Ihr Gläubigen! Nehmt euch nicht die Juden und die Christen zu Freunden!" Wie also konnte Charles de Foucauld zum Freund der Tuareg werden? Mehr noch: In dem zitierten Brief wird der schlichte Eremit sogar “unser Marabout" genannt. Wie war das möglich?
Charles de Foucauld verstand sich als Mönch und Missionar, der den Menschen in der Sahara Christus und Seine Botschaft bringen wollte. Er wußte um die großen Hindernisse und Schwierigkeiten, die diesem Ziel entgegenwirkten. Im Schweigen der Wüste wollte er ein bescheidenes, aber vernehmbares Zeugnis für das Evangelium ablegen.
Sein Programm war klar und einfach: “Liebe, brüderliche, universale Liebe, die den letzten Bissen Brot mit jedem Armen, jedem Gast, jedem Unbekannten teilt." Schon sehr bald nannten ihn die Bewohner ihren “Bruder", seine Hütte die “Bruderschaft". Sein Verlangen war es, allen alles zu werden.
Für die Zukunft hatte er große Gedanken und Erwartungen, die er aber ganz in den Willen Gottes und Seiner Vorsehung legte: Er erhoffte kleine, einfache Einsiedeleien mit einigen armen Mönchen, die sich einfach ernährten und sich der Buße und Anbetung des Sakramentes widmeten, die nicht predigten, aber allen Gastfreundschaft gewährten, Muslimen und Christen, um so das Evangelium auszustrahlen.
Zum Pfingstfest, am 31. Mai 1903 bekam Bruder Charles in Beni Abbès den Besuch seines Bischofs Monsignore Guérin. Der Besuch des Bischofs der Sahara war für ihn ein wahres Pfingsten, ein Fest der Freude und des Trostes.
Im Gespräch forderte ihn der Bischof auf, sich noch stärker der Evangelisierung der islamischen Welt zu widmen. In seiner Antwort zeigt Bruder Charles einen realistischen Missionsgeist, der für seine Zeit revolutionär war: “Die Tätigkeit eines Verkündigers der Frohbotschaft in islamischen Ländern kann nicht darin bestehen, sich bloß der Kinder (Schulen, etc.) anzunehmen, vielmehr ist es nötig, sich um die Bekehrung der Erwachsenen zu kümmern. So machte es der heilige Paulus, so machten es die Apostel. Nur so wird die Aussaat des Evangeliums auch bei den Kindern Früchte tragen."
Die Evangelisierung der Erwachsenen sollte nach Bruder Charles mit viel Gebet und Geduld und in kleinen Schritten erfolgen: “durch liebevolle Gespräche, die sich nur auf Gott und die natürliche Religion beziehen." Wichtig erschien ihm dazu auch die Erziehung der Einwohner zur Arbeit.
Das Verständnis für die Arbeit könnte durch das Beispiel “guter und armer Mönche, die mit ihren Händen arbeiten, die das Leben Jesu von Nazareth leben", geweckt werden.
Für die Tuareg, denen er half, wo er nur konnte, war Bruder Charles bald der “Marabout", wie Muslime Einsiedler und Heilige nennen. Und Bruder Charles sah in den Tuareg “Waisen und verlassene Kinder", die weder ihren Vater im Himmel, noch ihren Erlöser und Heiland Jesus Christus kennengelernt hatten.
Bruder Charles war sich bewußt, daß zunächst das Mißtrauen abgebaut werden und eine gesunde Vertrauensbasis geschaffen werden muß, bevor man überhaupt miteinander über religiöse Themen sprechen kann. Das aber benötigt eine lange Zeit, viel Gebet und den Einsatz aller Kräfte.
Sein Leben wurde unausgesprochen zu einem anschaulichen Kommentar des Evangeliums. Die Übereinstimmung von seinem Wort und seinen Taten und auch seine Bereitschaft, jeden Menschen so, wie er eben ist, anzunehmen und zugleich ernstzunehmen, weckten und förderten bei den Tuareg das Vertrauen.
P. Josef Herget CM
Auszug aus: Die Großen der Kirche und der Islam - 3. Teil, Vinzentinische Nachrichten Nr. 97