Romano Guardini (1885-1968), einer der bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts, hat uns ein großes Werk hinterlassen. In den Schriften des italienisch-deutschen Theologen und Philosophen finden sich bemerkenswerte Passagen über Europa. Sie sind in einem kleinen Taschenbuch nun abgedruckt.
Für Guardini ist klar: Europa muß zusammenwachsen. Doch auf welchem Fundament soll dies geschehen? Auch hier ist seine Sprache unmißverständlich. Ihm geht es nicht primär um den wirtschaftlichen Nutzen oder strategische Vorteile eines vereinten Europa. Er sieht tiefer und versteht Europa vor allem als geistige Gestalt.
Eine Vereinigung des europäischen Kontinents verlangt allerdings einiges von den Staaten und ihren Menschen ab: “Daß Europa werde, setzt voraus, dass jede seiner Nationen ihre Geschichte umdenke; daß sie ihre Vergangenheit auf das Werden dieser großen Lebensgestalt hin verstehe. Welches Maß an Selbstüberwindung und Selbstvertiefung aber bedeutet das!"
Und was wäre einem solchen Europa aufgetragen? Die wesentlichste Aufgabe Europas sieht Guardini in der Kritik am Fortschrittsglauben und weltlichem Machtanspruch.
Entgegen Asien, Afrika und Amerika könne Europa auf einen ununterbrochenen Fortgang der neuesten Entwicklungen zurückschauen: Europa “hat Zeit gehabt, Illusionen zu verlieren. Ich irre wohl nicht, wenn ich denke, dem eigentlichen Europa sei der absolute Optimismus, der Glaube an den allgemeinen und notwendigen Fortschritt fremd. Die Werte der Vergangenheit sind in ihm noch so lebendig, daß es zu empfinden mag, was auf dem Spiel steht. Es hat schon so viel Unwiederbringliches untergehen sehen, ... daß es fähig ist, nicht nur die schöpferischen Möglichkeiten, sondern auch das Risiko, ja die Tragik der menschlichen Existenz zu empfinden."
Eine Warnung sollte für Europa das antike Griechenland sein: Ihm ist es nicht gelungen, zu einer nationalen Gemeinschaft zusammenzuwachsen. Stattdessen haben dann die Römer “eine Art Einheit, eine Einheit in der Unfreiheit geschaffen". Deshalb ist es laut Guardini Europa aufgetragen, seine eigenen Wurzeln zum Ausgangspunkt der Einheit zu machen: Europa ist “entscheidend von der Gestalt Christi bestimmt" (52).
Was er wohl zur Grundlage einer europäischen Verfassung sagen würde oder gar zum EU-Beitritt der Türkei, ist nicht schwer zu erraten. Hier liegen Zeugnisse eines Denkers vor, der eine europäische Vision hatte; und dem es um mehr als um Profit und politische Korrektheit ging.
Guardinis Überzeugung kann als Auftrag an uns alle aufgefaßt werden, wenn er schon vor Jahrzehnten schrieb: “Wenn sich Europa ganz von Christus löste - dann, und soweit das geschähe, würde es aufhören zu sein. ... Europa wird christlich, oder es wird überhaupt nicht mehr sein."
Bernhard Eckerstorfer OSB
Damit Europa werde ... Wirklichkeit und Aufgabe eines zusammenwachsenden Kontinents. Von Romano Guardini. Verlagsgemeinschaft Topos plus, Kevelaer 2003. 93 Seiten.
Diese und andere Bücher können bezogen werden bei: Christoph Hurnaus, Waltherstr. 21, 4020 Linz, Tel/Fax: 0732 788 117; Email: hurnaus@aon.at