Warum ist Europa ein Thema für uns Christen? Weil es das Kernland des Christentums ist. Weil das Christentum in Europa sich mit Philosophie und Kunst zu einer Kultur verbunden hat, ohne die die Welt heute nicht wäre.
Für uns Christen ist Europa gerade deshalb ein Thema, weil gerade hier der christliche Glaube am meisten in der Krise ist! Papst Johannes Paul hat uns 2003 ein Lehrschreiben geschenkt über die “Kirche in Europa" (“Ecclesia in Europa"), wo er sehr klar den Segen benennt, der von Europa ausgegangen ist. Dort werden aber auch die geistigen Krankheiten genannt, unter denen der alte Kontinent derzeit leidet und zugleich Medikamente dagegen benannt. Zwei solche Medikamente möchte ich hier herausgreifen: das neue Selbstbewußtsein und den größeren Mut.
Ein neues öffentliches Selbstbewußtsein
Europa wäre ohne das Evangelium nie zu dem Ausgangspunkt der Menschlichkeit und des Humanismus geworden, als das es heute gelten kann. Daß durch geschichtliche Instrumentalisierungen des Christentums viel Böses geschehen ist, von den Kreuzzügen über den Hexenwahn bis hin zu den Religionskriegen ist nicht zu leugnen. Nichts von all dem ist durch das Evangelium Christi gedeckt, es handelt sich um Verirrungen, die wir klar bekennen und ablehnen.
Die Folge war aber, daß seit dem 18. Jahrhundert in stets neuen Wellen Haß gegen den christlichen Glauben ausgebrochen ist. Der Haß äußerte sich intellektuell - und praktisch. Auf die französischen Atheisten der Aufklärung folgte die Katholikenverfolgung der Französischen Revolution, der Kulturkampf gegen die Kirche in fast allen europäischen Ländern, schließlich der Wahnsinn der nationalsozialistischen Ideologie und der marxistisch-kommunistischen Diktaturen.
All diese Ideologien standen unter dem Wort Voltaires: “Ecrasez l'infame! - Rottet die infame Kirche aus!" Hitler sagte “Wenn wir mit den Juden fertig geworden sind, räumen wir mit den Christen auf!" Wenn es heute einen ganzen Markt von Bestseller-Romanen und Schund-Thrillern gibt, wo der Kirche alles nur erdenkliche Intrigantentum und jede nur mögliche Perversität vorgeworfen wird, so ist das noch eine geradezu milde Ausblüte dieses Christentumhasses.
Man transportiert in diesem untergründigen Kirchenkampf immer noch die Botschaft: Human könne man nur sein, wenn man die Religion bekämpft! Und übersieht dabei, daß gerade der antichristliche Humanismus in den Horror des Nazi-Holocaust und den Terror des Staatskommunismus geführt haben. Nie hat sich die Menschheit grausamer gebärdet als im 20. Jahrhundert! Die Feinde des Christentums betreiben hier die Strategie: “Haltet den Dieb!", um von den Katastrophen abzulenken, die sie in ihrer antireligiösen Haltung über die Menschheit gebracht haben und bringen werden.
Aber man hat mit diesem ständigen Bombardement auch unser christliches Selbstbewußtsein beschädigt: Wenn man dauernd behauptet, die Kirche sei an allem Schuld, dann gilt leider: “Irgendetwas bleibt immer hängen!" Innerchristlich gibt es daher mangelndes Selbstbewußtsein. Ich habe oft bemerkt: Sobald jemand zum Glauben kommt, entwickelt er einen Minderwertigkeitskomplex, als müsse er sich entschuldigen, daß er jetzt an Gott glaubt, in die Kirche geht, die Feinde liebt und Christi Einladung zur hingebenden Liebe ernstnimmt!
Wir müssen klar sagen, daß das Christentum nicht nur nicht schuld ist an der Misere der Unmenschlichkeit, sondern im Gegenteil: ohne das Christentum gäbe es keine wahre Humanität, keine Menschenrechte, keine Grundwerte in der Gesellschaft! Wo das Christentum schwach ist, da entsolidarisiert sich eine Gesellschaft sehr schnell.
Für uns gilt: Kämpfen wir gegen die infamen Verleumdungen des Christentums! Freilich mit geistlichen Waffen, den Waffen des milden Jesus. Klarheit muß aber sein. Es kann nicht sein, daß die Verspottung des Gottessohnes und Erlösers Jesu Christi durch Film, Buch und Karikatur als schicke Mode hingenommen wird, nur weil wir Christen nicht mit Fanatismus und Terror auf solche Blasphemien reagieren!
Nochmals: Seit der Aufklärung wird die Kirche verfolgt und angeschwärzt, seit mehr als 200 Jahren! Nehmen wir diese unterschwellige Antichristlichkeit ruhig wahr, atmen wir durch und hören wir auf, uns Scham und Minderwertigkeit über unseren Glauben einreden zu lassen. Hören wir auch auf, unseren Glauben in das Private zu verschieben. Wir brauchen nicht sosehr politische Christen-Parteien, wohl aber hundertprozentig christliche Politiker, die im öffentlichen Leben aus der Kraft der Gnade und im Blick auf das Evangelium Politik machen.
Mut zur Verkündigung
Europa wird nur zusammenwachsen, wenn es seine Seele findet. Die Seele Europas war durch Jahrhunderte der Glaube an Christus. Auf hohem Niveau mit der Philosophie unserer Zeit verkündet Papst Benedikt XVI. in seiner ersten Enzyklika, was wir Christen unter Liebe verstehen. Diese Verkündigung muß alle Bereiche betreffen: Johannes Paul II. mahnt uns Christen in Europa: Wir brauchen eine “erneute Verkündigung" unter den lauen Getauften, denn “viele Getaufte leben so, als ob Christus nicht existierte: man wiederholt, insbesondere durch die kirchlichen Bräuche, die Gesten und Zeichen des Glaubens, aber es entspricht ihnen keine tatsächliche Annahme des Glaubensinhaltes und kein Festhalten an Jesus. An die Stelle der großen Gewißheiten des Glaubens ist bei vielen ein vages und wenig verbindliches religiöses Gefühl getreten!"
Ich frage: Merken wir nicht, daß die jungen Leute von dem öden Materialismus total angewidert sind? Daß ihnen das: “Tu alles, was Du willst!" schon langweilig geworden ist? Warum wagen wir es nicht - wie der Papst uns das vorzeigt - sie mit den Herausforderungen des Evangeliums zu konfrontieren?
Aber die Mission unter den laugewordenen Christen ist zu wenig! Wir brauchen auch eine mutige Verkündigung an die Noch-Nicht-Christen! Durch die Anti-Kind-Mentalität im postchristlichen Europa sind wir ein genetisch aussterbender Kontinent. Überall wird daher die Zuwanderung, als Heilmittel angepriesen. Viele von diesen Zuwanderern sind nicht christlichen Glaubens, ein Großteil von ihnen Moslems.
Europa braucht daher nicht nur ein inneres Erstarken des christlichen Selbstbewußtseins, sondern wir Christen brauchen auch den Mut, zu einer echten Glaubensverkündigung “ad gentes" (an die Heiden), an die noch nicht Getauften. Es wird leider übersehen, daß viele von den Einwanderern suchende Menschen sind. Johannes Paul II. schreibt, daß es “breite soziale und kulturelle Schichten gibt, in denen eine regelrechte Mission ad gentes notwendig wird."
Doch das bleiben alles Appelle, die im Nichts verhallen, wenn nicht jeder einzelne von uns in Zukunft seinen Glauben ernstnimmt! Jeder Christ kann etwas für Europa tun, für diese Wiege der Kultur, der Menschlichkeit, der Kunst, der Solidarität, der Gleichberechtigung von Mann und Frau, der Lebenshoffnung und Zukunftsfreude: wenn er endlich aufhört, ein lauer Christ zu sein!
Wir müssen für Europa eine neue Offenheit für Christus erbitten, eine neue konstantinische Wende, die allerdings in unser aller Herzen beginnen muß. Johannes Paul II. schließt sein Schreiben über die Kirche in Europa daher mit der innigen Bitte an die Gottesmutter: “Maria, Mutter der Hoffnung, gehe mit uns! Lehre uns, den lebendigen Gott zu verkünden; und hilf uns, Jesus den einzigen Retter zu bezeugen."
Der Autor ist Dekan der Päpstlich-Theologischen Hochschule in Heiligenkreuz.