Erstaunlicherweise sind vom “Damascener", dem hl. Johannes von Damaskus weder das Geburtsjahr noch das Jahr seines Todes exakt bekannt. Jedenfalls wurde Johannes ungefähr 20 Jahre nach dem Tod Mohammeds - also um 650 - in Damaskus geboren. Seine Geburtsstadt sowie ganz Syrien waren bereits 635 durch den zweiten Kalifen Umar ibn-al-Khattab für den Islam erobert worden und ein Jahr später zum Sitz des Kalifen, des weltlichen und geistlichen Oberhauptes des Islam, bestimmt worden.
Der Kalif Umar, der zweite Nachfolger Mohammeds, wird als der eigentliche Begründer des islamischen Weltreiches angesehen. Unter ihm gelang es den muslimischen Truppen 638 Jerusalem und Palästina, den Irak und einen Teil Persiens einzunehmen sowie 642 Ägypten zu erobern. Umar besaß einen Weitblick, der ihm große Autorität verlieh. Er behielt zunächst die jüdischen und christlichen Staatsbeamten, Ärzte und Wissenschaftler in seinen Diensten. Allerdings wurden sie sofort entfernt, sobald man sie durch muslimische Fachkräfte ersetzen konnte.
So war auch der Vater des hl. Johannes, Sargun ibn Mansur, obwohl Christ, Finanzminister am Kalifenhof. Als Vater legte er Wert darauf, daß sein Sohn Johannes und sein Adoptivsohn Kosmas eine gründliche Ausbildung in allen Fächern und Künsten erhielten, wie es sich für einen zukünftigen hohen Staatsbeamten geziemte.
Als Johannes zum Mann herangereift war, wurde er zunächst Mitarbeiter und später Nachfolger seines Vaters. Gegen Ende des Jahrhunderts änderte sich aber die Lage für Juden und Christen im Kalifenreich. Ab 700 begann eine stärkere Arabisierung. Eine stärkere Islamisierung des Verwaltungsapparates wurde durchgesetzt. Der neue Herrscher, der Kalif Abd al-Malik (685-705), entzog den Christen seine Huld.
Weil Johannes nicht bereit war zum Islam zu konvertieren, war er gezwungen, um das Jahr 715 - im Alter von ungefähr 65 Jahren - sein Amt aufzugeben. Um dem wachsenden Druck auszuweichen, zog er sich mit seinem Adoptivbruder nach Jerusalem zurück; dort traten beide als Mönche in das weltberühmte Kloster Mar Saba ein. Etwas später wurde Johannes vom Patriarchen von Jerusalem zum Priester geweiht.
Von nun an mußte Johannes sich in wachsendem Maße der Belange des kirchlichen Lebens annehmen, vor allem als Berater des Oberhirten und als theologischer Schriftsteller. Von allen Seiten kamen Bitten um Hilfe in den damals geführten Auseinandersetzungen. Als er von Damaskus aufgebrochen war, hatte er davon geträumt, in der klösterlichen Verborgenheit nur der frommen Beschauung leben zu können. Nun wurde er, eigentlich gegen seinen Willen, zu dem weltberühmten Kontroverstheologen, dessen Gelehrsamkeit in der ganzen östlichen Christenheit gepriesen wurde.
In seiner geradezu ängstlichen Demut weist Johannes darauf hin, daß er keine neuen Einsichten und keine neue Synthese bringen, sondern daß er schlicht der angegriffenen Wahrheit helfen will. So ist sein theologisches Hauptwerk Die Quelle der Erkenntnis ein mit unermeßlichem Fleiß zusammengetragenes Kompendium der gesamten kirchlichen Lehrüberlieferung aus den Schriften der frühen Väter des Ostens und den Akten der Konzilien. Johannes hat mit diesem Werk der griechischen Kirche eine Dogmatik geschenkt, die sie nie mehr aus der Hand legen sollte.
Die Weiträumigkeit der Interessen und des Wissens des hl. Johannes ist imponierend. Er war nicht nur Dogmatiker und Apologet, sondern auch Exeget, Philosoph und Hagiograph. Darüberhinaus hat er sich als Dichter kirchlicher Hymnen einen im Osten bis heute unvergessenen Namen gemacht. Manche seiner Hymnen sind dort noch immer in liturgischem Gebrauch.
Fragt man nach der Persönlichkeit dieses ungewöhnlichen Mannes, wie sie sich in seinen Werken kundtut, muß man drei Wesenszüge hervorheben:
1. Treue zur Lehre: Es war das Gesetz jener Epoche des kirchlichen Lebens, daß man sich vor allem um die Bewahrung des überkommenen Erbes kümmerte und nicht darauf aus war, Neues und Eigenes zu schaffen. Dieses Gesetz ist bei Johannes zur sittlichen Haltung geworden. Die Ehrfurcht vor der Wahrheit hat ihn gelehrt, sich selbst hinter der Botschaft zurückzustellen, die es zu verkünden und zu verteidigen galt.
In dieser Treue ist er zum Mittler zwischen den kirchlichen Anfängen und dem hohen Mittelalter geworden. In glühender Liebe zu Christus und seiner Kirche und als unerbittlicher Freund der Wahrheit schrieb der hl. Johannes Streitgespräche zwischen Christen und Muslimen nieder und das angesehene Werk De Haeresibus - über die Irrlehren. Den Islam nennt er einen “Vorläufer des Antichristen" und den Koran eine “Märchenerzählung".
Es ist verständlich, daß der Theologe Johannes Damascenus über die Darstellung und Auslegung christlicher Glaubenswahrheiten im Koran und in der gesamten islamischen Lehre empört war und auf l Joh 2,22 verwies, wo es heißt: “Das ist der Antichrist: Wer den Vater und den Sohn leugnet. Wer leugnet, daß Jesus der Sohn ist, hat auch den Vater nicht; wer bekennt, daß Jesus der Sohn ist, hat auch den Vater."
Diese Feststellung und sein Hinweis auf die Hl. Schrift mag heute schockieren. Aber wir müssen auch im Zeitalter des interreligiösen Dialogs um die Wahrheit, die objektive Wahrheit bemüht sein und deshalb den Anspruch und die Lehre des Islam kritisch hinterfragen dürfen. Denn der Islam ist nicht einfach nur eine Weltreligion neben anderen, sondern er behauptet als nachchristliche Religion es besser zu wissen und den christlichen Glauben kritisieren, die christliche Lehre von “angeblichen Verfälschungen" reinigen und wiederherstellen zu müssen.
Johannes will die Christen wachrütteln. Er fordert sie daher auf, Verdrehungen des Glaubens zu widersprechen, die Verfälschungen durch den Islam richtigzustellen und das Evangelium von Jesus Christus, dem Gottessohn, auch den Muslimen in Freiheit zu bezeugen. Dazu ist allerdings nötig, den eigenen Glauben gut zu kennen und zu lieben.
Wir Christen des 21. Jahrhunderts sollen das tun, in Liebe und christlicher Toleranz. Das heißt: Ohne Anwendung von Gewalt und jeglichem Druck, aber auch ohne Gleichgültigkeit, da es um nichts weniger als die Wahrheit des Glaubens geht. Auch die Menschen in den islamischen Ländern haben ein Anrecht, die ganze christliche Wahrheit zu erfahren.
2. Mutiges Eintreten im Bilderstreit: Johannes von Damaskus verfaßt die drei berühmten Bilderreden zur Verteidigung der Bilder der Heiligen, deren Verehrung von den Ikonoklasten unter der Führung des Kaisers Leo III. (717-714) leidenschaftlich bekämpft wurde.
Bekanntlich hat es seit frühesten Zeiten in der Kirche immer wieder Kontroversen über die Frage gegeben, ob es erlaubt sei, Gott und die Heiligen bildhaft darzustellen und diesen Bildern kultische Verehrung zu zollen. Angesichts der Herkunft des Christentums aus dem Alten Testament war das nur verständlich, denn in den mosaischen Gesetzen war es verboten, ein Schnitzbild von Gott anzufertigen und es anzubeten. Zudem bestand auf seiten des Kirchenvolkes damals wie zu allen Zeiten immer wieder die Versuchung, das Bildwerk mit der höheren Wirklichkeit, die es abbilden sollte, zu identifizieren und so den Kult zu magischem Tun entarten zu lassen. Nun war im Osten ein neues Moment hinzugekommen: Der Islam mit seinem radikalen Bilderverbot war auf dem Weg, eine Weltmacht zu werden, und begann damals, seinen Einfluß auf das geistige Leben im Osten auszuüben.
In den seit langem schwelenden Streitigkeiten über Recht oder Unrecht der Bilderverehrung stellte der Kaiser sich auf die Seite der Gegner. Im Jahr 730 wurde ein formelles Edikt erlassen, das die Herstellung und Verehrung der Heiligenbilder (das Kreuzesbild und die Bilder Christi und Mariens waren damals noch nicht betroffen) verbot. Die Folgen waren Aufruhr und eine große Verwirrung im ganzen Oströmischen Reich. In diesem Augenblick trat Johannes auf den Plan und schrieb seine Reden gegen die Zerstörer.
Es lag ihm fern, die Mißbräuche, die sich nur allzuoft eingeschlichen hatten, zu verteidigen. Vielmehr unterschied er ausdrücklich zwischen der Anbetung, die nur Gott gebührt, und der Verehrung, die man einem Bild und dem durch das Bild dargestellten Heiligen zu erweisen hat. Der Freimut, mit dem er dabei selbst dem Kaiser entgegentrat, gegen den er sogar das Anathema zu schleudern wagte, ist erstaunlich - selbst wenn man bedenkt, daß er selbst ja nicht im Machtbereich des Kaisers lebte. Aber Johannes wußte, daß es nicht seine, sondern Gottes und der Kirche Sache war, für die er eintrat.
3. Seine Tugenden: Als dritter Wesenszug des Damasceners ist sein kirchlicher Sinn, sein “sentire cum Ecclesia" zu nennen. Damit ist seine wache Bereitschaft gemeint, sich für die bedrohte Kirche einzusetzen, auch auf die Gefahr hin, sich mit den Machthabern zu überwerfen - wie es etwa bei seinem Werk gegen den Islam der Fall war und mehr noch in seinen Bilderreden.
Hervorgehoben sei auch sein gesunder Sinn für das genuin Christliche und seine Fähigkeit zur Unterscheidung der Geister mitten in einer von Parteiungen und Intrigen erfüllten Zeit. Ebenso erwähnt seien seine Unbeirrbarkeit und Standfestigkeit inmitten der Glaubenskämpfe: Er hat den Streit nicht gesucht, ihn aber auch nicht gefürchtet, weil er wußte, daß es um die Sache des Herrn ging.
Zu erwähnen ist auch seine schlichte Demut: Trotz seiner staunenswerten Gelehrsamkeit kam er sich nur wie “ein unnützer und minderer Sklave" vor, dem “es besser angestanden hätte, sine eigenen Sünden vor Gott zu bekennen", als sich in die Probleme der Theologie und Kirchenpolitik einzulassen. Nur der Gehorsam und die Sorge für die bedrängte Christenheit konnten ihm den Freimut zu einem Auftreten geben.