Miroslav Kardinal Vlk, von 1993 bis 2001 Vorsitzender des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen, öffnet sich im Gespräch mit Rudolf Kucera, dem Direktor des Instituts für politologische Studien der sozialwissenschaftlichen Fakultät in Prag, der sich besonders für die deutsch-tschechische Aussöhnung in seiner Heimat einsetzt.
Kardinal Vlk, 1932 in Südböhmen geboren, studierte Archivistik und war Direktor des Stadtarchivs von Budweis bevor er mit 31 Jahren ins Priesterseminar Leitmeritz eintrat und 1968 zum Priester geweiht wurde. 1978 erhielt er Berufsverbot und schlug sich fast zehn Jahre als Fensterputzer durch. Nach der Samtrevolution 1989 wurde er Bischof von Budweis, 1991 Erzbischof von Prag.
Das Buch ist ein Gespräch über Gott und die Welt: über die Geschichte der Kirche aus tschechischer Sicht, besonders in den Diktaturen des Nationalsozialismus und des Kommunismus; über die Aufarbeitung dieses Erbes; über die Entwicklung Europas und dessen Krisen; über die Situation der Familie und der Forderung eines “Zuhause für Kinder"; über Erziehung zur Freiheit; über Kontinente und Religionen; über Leben und Sterben in Europa; über die Zehn Gebote für heute; über die Kirche als Ort der Nähe Gottes.
Bei der ungeheuren Themenvielfalt kann für eine Buchbesprechung nur eine sehr begrenzte und subjektive Auswahl nach persönlichen Prioritäten getroffen werden. Vieles liest sich als “selbstverständlich". Was soll ein hoher Kirchenmann schon anderes sagen... Am interessantesten und spannendsten sind natürlich die Antworten, die aus persönlicher Erfahrung der Autoren gegeben werden - angstvoll bei Todesgefahr, freudvoll in der Focolar-Bewegung, immer im Erleben der Nähe Gottes.
Die Frage des Buchtitels läßt auf eine Verneinung hoffen und Lösungsansätze für Europa erwarten. Diese Erwartung wird erfüllt und enttäuscht zugleich, weil die grundlegenden Antworten zwar Hoffnung geben, deren Umsetzung aber ein Maß an Umkehr verlangt, das im europäischen Alltag wenig zu erkennen ist.
So geht Miroslav Vlk auf den Wunsch Jacques Delors' nach einer “Seele für Europa" ein und fordert zutreffend: “Wir brauchen eine Zivilisation der Liebe, auch wenn man es noch nicht überall in Europa so zu formulieren vermag".
Er sieht in der Christlichen Soziallehre ein Konzept, der “ausufernden Pluralität" eine gemeinsame Grundlage zu geben. “Die Neuevangelisierung Europas muß darauf abzielen, daß die seit langer Zeit christianisierten Völker wieder aus dem Evangelium leben". Die Konsequenzen lassen sich aber eben nicht einfach verordnen.
Kardinal Vlk sieht einen Ansatz dazu - aus eigener Erfahrung in der Untergrundkirche der kommunistischen Diktatur und in den neuen geistlichen Bewegungen - in einer Theologie der “Gegenwart des Auferstandenen", in der Hinordnung der Kirche auf die Communio. Den Druck des Priestermangels deutet der Autor als ein Zeichen der Zeit, als einen Hinweis Gottes auf andere Möglichkeiten und Formen seiner Gegenwart, so “daß Jesus auf vielerlei Weise in seiner Kirche anwesend ist, unabhängig davon, daß die Eucharistie der Höhepunkt der Tätigkeit der Kirche ist".
Der Erzbischof zielt auf das Wesentliche und führt aus: Wenn man einander liebt, kommt man zur Einheit. Die Einheit ist keine von oben organisierte Sache. Europa wird zunächst einmal von unten missioniert. Das hat nichts zu tun mit “Kirche von unten" oder “Wir sind Kirche". Alle sind Kirche. Durch jeden Laien, der sich seiner Taufe und seiner Firmung bewußt ist, kann die neue Evangelisierung auf dem personalen Weg geschehen. Jesus, der Auferstandene, ist unter uns, wo zwei oder drei in seinem Namen beisammen sind. Die kirchliche Communio ist deshalb nicht einfach eine psychologische oder menschliche Tatsache, sondern eine göttliche Dimension, weil sie bedeutet, daß Christus selbst unter uns ist. Europa wird nicht heidnisch, wenn jeder Christ, jede Christin, dem persönlichen Anruf des Auferstandenen folgt.
Helmut Hubeny
Wird Europa heidnisch? Miloslav Kardinal Vlk im Gespräch mit Rudolf Kucera. Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2000. 16,90/17,90 Euro.
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