VISION 20004/2006
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Spaltung - ein Verrat an Gott

Artikel drucken Die eine Kirche von morgen wird die Herrlichkeit Gottes in der Welt aufleuchten lassen (Von Klaus Berger)

Der Skandal ist nicht nur die Spaltung, der größere Skandal ist, daß sich Christen quer durch alle Konfessionen damit abgefunden haben. Diesem doppelten Verrat am expliziten Willen Jesu muß endlich Einhalt geboten werden.

Aus der ganzen Heiligen Schrift läßt sich auf jeder Seite dieses als Gottes Ziel erkennen: Er will Seine Einheit und Einzigkeit an die Menschen weitergeben, auf daß sie als die vielen eins sind. Deshalb ist der Gott der Bibel so eng mit Frieden verbunden, deshalb geht es um das eine Gottesvolk, weil es in dieser Einheit Gott ähnlich ist.

Paulus schildert das für die Gemeinde in Korinth. Dort gibt es Spaltungen - und die Gemeinde feiert munter weiter die Eucharistie. Sie empfängt den Leib des Herrn unter den Gestalten von Brot und Wein. Aber sie ist uneins. Und das paßt nicht zusammen. Wer es dennoch tut, muß mit schlimmen Folgen rechnen, und die sind schon eingetreten: Krankheit und früher Tod. Das heißt: Diese zerstrittenen Christen kommen in ihrem Streit dem real gegenwärtigen eucharistischen Herrn zu nahe. In ihrer Zerstrittenheit vergehen sie sich physisch an Gott. Denn die Eucharistie ist das Sakrament der Einheit schlechthin. Wer hier den schönen Schein zelebriert, der nicht der Wahrheit entspricht, verletzt den real präsenten Herrn.

Ganz ähnlich dann in 1Kor 12: Es ist der eine Heilige Geist, der die verschiedenen Gaben an unterschiedliche Menschen vermittelt. Weil es aber der eine Geist ist, der die Gaben mitgeteilt hat, können und dürfen sie nicht Ursache des Auseinanderfallens der Gemeinde sein. Sie sind das genaue Gegenteil, nämlich der Grund der Einheit unter den verschiedenen Menschen.

Glaubensspaltung ist vor allem deshalb Verrat an Gott, weil Gott die Liebe ist und nichts anderes als die Liebe will. Jede Kirchenspaltung aber beginnt bei und lebt von unversöhnbarer persönlicher und dann sehr schnell auch sachlicher Zerstrittenheit. Das Persönliche, die mangelnde Liebe und der Mißbrauch der Macht, zum Beispiel das “pfäffische Abkanzeln von oben herab", oder die Suche des Kirchenvolks nach einer Machtprobe “mit denen da oben". Liebe aber hängt mit Wachsamkeit zusammen, die es zur Machtprobe nicht erst kommen läßt.

Weil der Gebrauch der Macht bei Irritationen so naheliegt, gibt es so viele Zersplitterungen im Christentum. Ich habe mein Lebenswerk der Auslegung des Neuen Testaments immer auch als intensive Suche danach verstanden, wie man um des Himmels willen neue Spaltungen in der Kirche vermeiden kann. Der einzige Trost bei soviel Zerstrittenheit ist die alte biblische Erfahrung: Dort, wo das Heil, das Heilige und der heilige Gott ganz nahe sind, meldet sich der Teufel massiv zu Wort und zu Taten.

Die einzige Folgerung, die sich für diese Frage aus dem Neuen Testament ergibt, ist: Soviel sichtbare Einheit wie irgendmöglich zu erstreben. Demgegenüber meint die Formel von der “versöhnten Verschiedenheit" etwas ganz anderes. Sie meint: Alles, was sich an Produkten der Zerstrittenheit herauskristallisiert hat, soll einfach bestehen bleiben. Auf ein einheitsstiftendes Lehramt will man dann verzichten.

Das Neue Testament selbst ist ein Gegenbeispiel zu “versöhnter Verschiedenheit": Es dokumentiert als “Kanon" eine Kirche, die Unterschiedliches zulassen und fördern kann, denn das Neue Testament enthält rund 13 verschiedene Theologien. Gleichzeitig aber hatte die Kirche um 200 n. Chr. noch die Kraft nein zu sagen. Denn Unvereinbares konnte sie “draußen" lassen.

Um zur Einheit zu gelangen, bedarf es nicht in erster Linie weiterer dogmatischer Verhandlungen. Denn da liegt immer die Gefahr der Rechthaberei auf der Hand. Die Kirche der Zukunft bedarf einer neuen Spiritualität. Für mich wird sie in Taizé am deutlichsten greifbar. Sie wird am Mönchtum orientiert sein und an der Liturgie, wird Dogmatik auf ganz neue und ganz alte Weise begreifen als Teil des Lobpreises Gottes.

Die geeinte zukünftige Christenheit ist für mich im Bild der Rosette greifbar. Das zentrale runde Mittelfenster stellt Jesu Christus selbst dar, den Herrn und das Haupt der Kirche. Die einzelnen Segmente sind die unterschiedlichen Christentümer. Diese sind wie kleine bunte Glasfenster, im Prinzip einander ähnlich, nach derselben Technik hergestellt. Doch damit sie in die Rosette eingefügt werden können, müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein:

Es geht um das Gesamtthema Jesus Christus, das durch das zentrale Fenster vorgegeben ist. Dem darf grundsätzlich kein Teilfenster widerstreben oder nicht darauf hingeordnet sein. Die Rosette hat eine Botschaft im Ganzen: Um diese geht es, nicht um eine Formel. Das, was eint, ist die zugewiesene Rolle, die jedes Teilfenster wahrnimmt und ausfüllt. Jedes Teilfenster hat Ähnlichkeit mit den anderen (in Stil, Material, Technik) und trotzdem seine unersetzliche Rolle an seinem Ort im Drama des Ganzen.

Das Fenster hat daher im Ganzen nicht ein abstraktes Muster, das sich nur in den Teilfenstern leicht abwandelte, sondern jedes Segment ist ein unersetzliches Teilstück mit einer ganz besonderen Geschichte und einem besonderen Thema im Rahmen des Ganzen. Dieser besondere Charakter ist das Profil des Teilstücks. Die einzelnen Teilstücke müssen sich farblich und vor allem, was die Ränder betrifft den Bedingungen des Miteinander einfügen. Als unangepaßte Teilstücke verweigern sie sich dem Fenster. Je stärker die Darstellung auf die Mitte hingeordnet ist, umso leichter läßt sich das Teilstück einfügen.

Hinter dem Miteinander und Zueinander der Teilfenster muß schon ein Entwurf stehen. Denn es geht nicht um eine statische, sondern um eine dynamische Ordnung. Überschneidungen und Gemeinsamkeiten sind dennoch erwünscht. Die Rosette kann im Gesamt der Kathedrale nur faszinieren, wenn alle Teilfenster vorhanden und gleich “schön" sind.

Nun ist ein älteres Fenster zu Bruch gegangen, viele Teile sind neu erstellt worden. Es besteht daher durchaus die Aufgabe, das Fenster neu zu organisieren. Die wichtigste Aufgabe bei der Restaurierung der unterschiedlich alten Teile ist es, die Fensterteile wieder für das Licht (Gottes) durchgängig zu machen, damit sie dieses Licht Gottes in der je eigenen Farbigkeit durchlassen und sich einfügen in das christuszentrierte Ganze.

Das, was man “Freiheit" nennt, zeigt sich in der Individualität jedes Teilstücks. Doch die Einfügbarkeit in das Ganze ist im Zweifelsfalle wichtiger. Das Gleichgewicht ist erreicht, wenn jedes Teilstück seinen Beitrag liefert für das ganze Fenster.

Nicht das Petrusamt ist die Mitte, sondern Christus, das Haupt. Es gibt aber ein lebendiges Formalprinzip, nach dem sich das Fenster organisiert, damit die Einzelsegmente nicht an falschen Maßen, falschen Zuordnungen scheitern, sondern sich im Ganzen der Einheit wiederfinden. Hier, beim Petrusamt, ist also das gemeinschaftliche Anliegen aufgehoben.

Damit meine ich nicht, die anderen zu beherrschen, sondern für die Gesamtheit unabdingbare Funktionen wahrzunehmen. So, wie es in einer Fakultät stets Leute gibt, die gerne Dekan sind und dies auch können, während andere stärker sind als Lehrer, wieder andere als stille Gelehrte und Forscher. Ich selbst beispielsweise war weder willens, noch in der Lage Sprecherfunktionen wahrzunehmen. Ich gebe aber gerne zu, daß Dekane notwendig sind, etwa um für alle Termine festzusetzen, die sich nur dann nicht überschneiden, wenn einer sie festlegt.

Im Verhältnis der Teilsegmente zueinander zählt nicht deren je eigene Selbstentfaltung, sondern alles liegt daran, daß das Ganze “schön" und aussagekräftig ist. Alles, wirklich alles, dient aber dazu, auf diesem Wege die Herzen der Adressaten zu gewinnen. Denn das Ganze ist ja nicht “l'art pour l'art", sondern versteht sich beauftragt und zu einer Mission bestimmt.

Das, was bei einem Kunstwerk die bezwingende Ausstrahlung des Ganzen ist, nennt man in der biblischen Theologie “Herrlichkeit". Ich erlaube mir hier ausnahmsweise, die Botschaft, welche die eine Kirche auszurichten hat, ästhetisch zu fassen und “Doxa", Herrlichkeit, zu nennen. Ich weiß mich dabei in guter Gesellschaft des Evangeliums nach Johannes.

Die Bibel meint mit Herrlichkeit die Ausstrahlung Gottes, deren Ziel es ist, die Menschen zu gewinnen, zu ergreifen, zu verwandeln und sich ähnlich zu gestalten - so wie eine Kerze dazu dient zu leuchten und zu wärmen. Das ist mehr als “Einheit in Verschiedenen" oder “Gleichberechtigung untereinander". Hier wird die Ordnung untereinander vom Ziel her gedacht.

Es gibt kein anderes Ziel der Kirche, als daß sie die Herrlichkeit Gottes abbildet und weitergibt. Es ist die spezifische Herrlichkeit des einen Gottes, und weil das so ist, kann die Herrlichkeit nur in Ausrichtung und Sichtbarmachen von Einheit bestehen. Aber das ist nicht durch Zwang, diktatorisch oder faschistoid im Sinne blauer Ameisen zu verstehen, sondern so: Wo immer Menschen einig werden und sofern das geschieht, wird es von Gott geschenkt, ist es Ihm ähnlich und ist es “schön" - ein Stück Herrlichkeit.

Der Autor ist emeritierter Professor für Neues Testament an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg.

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