Das Wort “Ökumene" weckt in mir zwiespältige Gefühle. Einerseits gute: die haben mit Liturgie und Gottesdienst, mit persönlichen Begegnungen und Freundschaften zu tun.
Ökumene ist ein großes Geschenk für jene, die wachsen wollen in ihrem Glauben, die den Reichtum des Christentums suchen und sich an ihm freuen können. Denn es gibt viel Schönes: die Ikonostase einer russisch-orthodoxen Kirche, die gesungene Vesper der Anglikaner, die armenische Liturgie, die Gospeltradition schwarzer Christen, und so weiter.
Aber auch die eigene westliche Tradition könnte man neu entdecken: die lateinische Messe etwa, oder den Genfer Psalter aus der Reformationszeit. Gute Ökumene ist die gemeinsame Suche nach geistlicher Qualität im Leben der Kirche. Es ist eine beglückende Suche, weil sie empfängt, nicht fordert. Und wenn ich dann das Glück habe, sogar selber einmal mit einer Predigt über die konfessionellen Gräben hinweg Menschen ansprechen zu dürfen, ja, dann freue ich mich über die Ökumene.
Und doch: “Ökumene" löst in mir auch ungute Gefühle aus. Die kommen immer dann auf, wenn jemand meint, Ökumene selber “machen" zu wollen. In der Kirche herrscht ein gewisser ökumenischer Machbarkeitswahn, die Illusion, wir könnten die alten und neuen Brüche im Christentum selber wieder zusammenbasteln. Seit Jahrzehnten pflegen wir eine Art von Funktionärsökumene, die gut gemeint ist, aber nicht gebracht hat, was sich einige von ihr erhofft hatten.
Wir können Einheit nicht selber “machen", das ist die Einsicht, die sich mir immer klarer aufdrängt. Wir können allenfalls Hindernisse aus dem Weg räumen und dem einheitsstiftenden Geist etwas weniger im Weg zu stehen versuchen. Aber wir sollten aufhören damit, die Einheit des Leibes Christi mit parakirchlichen Institutionen und akademischen Resolutionspapieren heraufzubeschwören.
Der Heilige Geist ist glücklicherweise so frei, seine eigenen Wege zu gehen. Mir scheint übrigens, er gehe allen ökumenischen Initiativen, die nur entfernt nach konfessioneller Kirchenparteipolitik, nach faulen Kompromissen und ökumenischem Zweckoptimismus riechen, zuverlässig aus dem Weg. Kein Wunder, kommen uns besagte Initiativen dann eben eher geistlos vor.
Verstehen Sie mich richtig: Ich rede nicht einer naiven Ökumene das Wort, die sich über Tradition und Theologie hinwegsetzt. Es gibt auch eine Basisökumene, die meint, indem man alles miteinander macht, mache man auch gleich die Einheit. Ich kann darüber nur den Kopf schütteln. Die Tradition ist viel zu kostbar, als daß man sie einfach weglegen, vergessen und stattdessen die Kirche neu erfinden dürfte. Und zur Tradition gehören die Trennungen der Kirchengeschichte, so traurig sie auch sind.
Entsprechend soll man die Brüche ernstnehmen, die uns voneinander trennen. Letztlich bleibt in den Kirchleitungen wie auch an der Basis dasselbe entscheidend: daß wir aufhören, uns selber als Architekten der Kircheneinheit zu verstehen und vielmehr endlich wieder darauf vertrauen, daß sie von woanders kommt. Wir werden die Einheit geschenkt bekommen, wenn wir nicht in uns selber, um uns selber herumkurvend, nach ihr suchen.
Was heißt also “suchen"? Das heißt dann eben zuerst einmal nicht selber reden, sondern auf Gott hören, im Gebet, in der Predigt, im Gottesdienst, einfach in der Liturgie, die uns gemeinsam möglich ist. Daß das nicht auch die Eucharistie sein kann, schmerzt den reformierten Pfarrer, und nicht nur ihn. Aber die Suche nach Einheit kann nicht schon bei ihrem Ziel beginnen. Es gibt andere Wege! Wenn wir sie wirklich suchen wollen, dann werden wir sie finden. (...)
Auf reformierter Seite muß das Bewußtsein wieder wachsen, zu einer 2000jährigen Tradition zu gehören, nicht nur zu einer 500jährigen. Die reformierte Kirche wurde nicht im 16. Jahrhundert sozusagen aus dem Nichts geschaffen; schon damals hat gegolten: Kirche kann man nicht “machen". Wer heute reformierter Christ ist, dessen Tradition ist, kirchengeschichtlich gesprochen, zu drei Vierteln katholisch. Pointiert und verkürzt gesagt: Reformierte Christen sind reformierte Katholiken, ob sie wollen oder nicht.
Die Reformatoren des 16. Jahrhunderts wußten noch sehr gut, wie wertvoll diese Tradition ist. Sie wollten ja gerade nicht eine “neue" Kirche schaffen, sondern eben die eine, alte Kirche reformieren. Es ist dann anders herausgekommen - wir wissen es. Aber nichts hindert reformierte Christen daran, sich wieder ihren eigenen Ursprüngen zuzuwenden. Die Gleichung “reformiert gleich nicht katholisch" ist falsch, und sie hat viel Schaden angerichtet. Stattdessen gilt: das reformierte Bekenntnis ist Teil der westkirchlichen Tradition. Dazu gilt es endlich wieder Ja zu sagen.
Der Autor ist Schweizer Vize- und Europapräsident des Reformierten Weltbundes. Auszug aus einem Interview in kath.net v. 19.6.06