Für die katholische Kirche steht die Ökumene ganz oben auf der Prioritätenliste des pastoralen Wirkens. Vieles ist in den letzten Jahrzehnten erreicht worden. Die getrennten Christen betrachten sich heute nicht mehr als Fremde, Konkurrenten oder gar Feinde, sondern als Brüder und Schwestern. Sie haben erfahren: ’Das, was uns eint, ist weit mehr als das, was uns trennt'. Das alles wäre vor einem halben Jahrhundert völlig undenkbar gewesen. Wer wieder dorthin zurückkehren wollte, müßte nicht nur von allen guten Geistern, sondern auch vom Heiligen Geist verlassen sein".
Mit diesen Worten zieht Walter Kasper, Professor für Dogmatik und Vorsitzender des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen, eine Zwischenbilanz der Ökumene. Er spannt den Bogen bleibender theologischer Verbindlichkeit vom Ökumenismus-Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Ökumene-Enzyklika Ut unum sint (Johannes Paul II, 1955) bis zur Antrittsrede Benedikts XVI (2005). Er sieht gerade in den bisher erzielten Fortschritten der Ökumene eine Ursache für die gegenwärtige Enttäuschung: Der Dialog stößt nun auf die Grundfragen der Glaubensunterschiede zwischen den Kirchen, die nicht durch Oberflächlichkeit überdeckt werden können. “Recht verstandener ökumenischer Dialog will dann alles andere als die eigene Glaubenstradition aufgeben, er will sie vielmehr bewahren, um sie einzubringen". So erfolgt auch die Einladung zum zusammenschauenden (kontextualen) Verständnis des Dokuments “Dominus Jesus" der Kongregation für die Glaubenslehre (2000), das viele protestantischen Christen als überheblich und beleidigend empfanden.
Ausgehend von der dialogischen Philosophie des 20. Jahrhunderts betont Kaspar, daß es “trotz aller ekklesiologischen Kontroversen einen Punkt gibt, in dem man sich einig ist: Zum Glauben an den einen Gott und den einen Herrn und Erlöser Jesus Christus gehört das Bekenntnis zu einer Kirche, “die nicht nur eine menschliche soziale Wirklichkeit ist, sondern der Leib Christi, in dem Jesus Christus gegenwärtig ist und durch den Heiligen Geist wirkt".
Im internationalen Dialog und in den “Dokumenten wachsender Übereinstimmung" (1983 - 2003) wird die sichtbare Einheit aller Christen als communio-Einheit gesehen, analog zum Bild der Dreifaltigkeit (Trinität): nicht Uniformität, sondern Einheit in Verschiedenheit und Verschiedenheit in Einheit. So schreitet Kasper von der Darstellung des katholischen, eucharistischen communio-Kirchenverständnisses zu Lösungsansätzen fort, die weder Vereinnahmung noch Verschmelzung bedeuten.
Nach der Heiligen Schrift und nach der Tradition ist der heilige Geist der Geist der Einheit, das Band der Liebe. Zugleich sind wir Christen aber über die Lehre vom Heiligen Geist seit tausend Jahren zerstritten. Die westliche Tradition bekennt, daß der Heilige Geist vom Vater “und vom Sohn" ausgeht (“filioque"), nicht in gleicher Weise die Ostkirchen. Die neuen Ansätze der Trinitätslehre aller Konfessionen zeigen, daß es bei der Frage des filioque nicht um Spekulationen, sondern um Leben und Einheit der Kirche geht. Vorbild für Vorgangsweisen zur Lösung auch dieser Fragen kann die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre des Lutherischen Weltbundes und der katholischen Kirche (1999) sein, zu der durch Vertiefung in die heilige Schrift und in die eigenen Traditionen neue Einsichten geschenkt wurden, frühere Aussagen in neuem Licht tiefer und besser zu verstehen. Zwar bleiben Unterschiede in Sprache und Verständnis füreinander offen, heben aber den Konsens über die Grundwahrheiten nicht auf.
Kardinal Kasper verkennt nicht die Realität und zählt die Stolpersteine des ökumenischen Weges auf, bis hin zur schwierigsten Frage des Primats des Bischofs von Rom. Dennoch wird er nicht müde, das Erreichte herauszustellen und zu einer ökumenischen Spiritualität, zum Gebet, zur stetigen eigenen Umkehr, zu einem offenen Geben und Nehmen - zuallererst innerkirchlich - aufzurufen. Er ist überzeugt, “daß Gottes Geist das Werk, das er begonnen hat, auch zu Ende führen wird".
Das Buch ist in einer erfrischenden Sprache geschrieben. Es stellt komplexe historische und theologische Zusammenhänge gut verständlich - wenn auch nicht ohne Ansprüche - dar und weist auf wichtige Quellen hin. Da es aus Vorträgen zu unterschiedlichen Anlässen zusammengestellt wurde, kommt es öfter zu Wiederholungen. Der verschiedene thematische Zusammenhang läßt diese aber eher unterstützend als lästig empfinden. Das Buch macht bewußt, daß jeder einzelne “ an seinem Ort und auf seine Weise" zum Austausch der Gaben und der geistlichen Erfahrungen beitragen kann, denn es geht “nicht um Bekehrung zur anderen Kirche, sondern um die Bekehrung zur vollen Wahrheit Jesu Christi". Aber “nur wenn wir nicht nur gerecht, sondern auch barmherzig und liebevoll miteinander umgehen, kann der ’pluralistische Streß' ausgehalten werden und menschlich erträglich sein".
Helmut Hubeny
Walter Kasper: Wege der Einheit, Perspektiven für die Ökumene, Herder, 2005 (EUR 22,70/22,00)
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