"Seid barmherzig!" Dieser Appell war schon einmal Titel eines Schwerpunkts. Vor fünf Jahren haben wir das Thema aufgegriffen - im Anschluß an den 11. September 2001, dem Attentat in New York, das uns wie kein anderes Ereignis den Haß, die Zerrissenheit, Verletzlichkeit und die Gewalttätigkeit in unserer Gesellschaft vor Augen geführt hat. Nur Umkehr zur Barmherzigkeit wurde als Ausweg erkennbar.
Sie ist seither ausgeblieben: Im Nahen Osten gab es Krieg, herrscht jetzt ein prekärer Waffenstillstand, schaukelt sich die Konfrontation um die atomare Aufrüstung des Iran auf, gehören blutige Attentate im Irak zum Alltag. In England und Deutschland wurden sie nur knapp vermieden und der Kampf gegen den Terror beschert uns Überwachungssysteme à la Orwell, die Tyrannen wie Mao, Hitler oder Stalin vorzüglich für ihre Zwecke zu nutzen gewußt hätten.
An Argumenten für die Aufschaukelung der Konfrontation mangelt es nicht. Typisches Beispiel: der Krieg im Libanon. Jede Partei hatte nachvollziehbare Gründe für ihr Agieren parat: die Palästinenser, die Israelis, die Hisbollah-Vertreter, die Libanesen, jeder schien rechtzuhaben - ein unentwirrbarer Interessenskonflikt, vorübergehend gedämpft durch Druck von außen. Nur: für wie lange?
Wieder einmal wird deutlich: In dieser Welt, in der die Instrumente der Zerstörung immer wirksamer werden, können wir nur überleben, wenn nicht eigene Interessen, sondern die Würde jedes Menschen zum Maßstab des Handelns werden, eine Haltung, die uns nicht in den Schoß fällt. Denn die Erkenntnis, daß jeder einzelne unermeßlich wertvoll ist, verdanken wir Jesus Christus, der menschgewordenen Barmherzigkeit Gottes. Seine barmherzige Liebe in die Welt zu tragen, ist die einzige Überlebenschance für die Welt. Klingt blauäugig. Zugegeben. Stimmt aber dennoch.
Christof Gaspari