Vor 25 Jahren wurde im Zuge der Wiener Donauregulierung künstlich die 21 Kilometer lange und 200 Meter breite Donauinsel als Erholungsgebiet geschaffen und zur Benutzung freigegeben. Nach den Angaben im Internet wird die Insel im Sommer an einem normalen Wochenende von etwa 300.000 Menschen besucht. Ein nicht kleiner Teil der stolzen 1.000 Kilometer Radwege Wiens dient den Inselbesuchern als guter Boden für diverse Landsportarten: Radeln, Rollschuhfahren, Jogging, Wanderungen, nordic walking und Spaziergänge. Die alte Donau und der neue Arm des Flusses bilden im Sommer ein Ambiente zum Baden und für andere Wassersportarten.
“Mens sana in corpore sano" (ein gesunder Geist in einem gesunden Körper) lautet ein lateinischer Spruch, der zur sportiven Betätigung ermutigen will. Wir könnten aber, da der Mensch ein physisch-seelisches Wesen ist, auch umgekehrt sagen: “ corpus sanus ubi mens sana" (wo eine gesunde Seele, da auch ein gesunder Körper).
Was aber macht die Seele gesund und was krank?
Aus christlicher Sicht ist die innere Konstruktion des Menschen auf ein Leben nach den Werten ausgerichtet. Da der Mensch unvollkommen, egoistisch ist (das heißt, er liebt sich selbst viel mehr als die anderen), hat Gott ihm die wichtigsten Werte, die ja seinem Herzen, seiner Natur innewohnen, im Liebesgebot, im Dekalog geoffenbart.
Auf folgende Werte weisen die Gebote Gottes hin und warnen den Menschen vor ihrer Verletzung oder Übertretung: der Glaube an einen Gott und die Liebe zu Ihm (1.- 3. Gebot), das Leben und die Gesundheit (5. Gebot), Vervollkommnung seiner selbst und Erholung (3. Gebot), Liebe und Treue in der Ehe (6. und 9. Gebot), Ehrfurcht der Kinder gegenüber den Eltern (4. Gebot), Recht auf Eigentum (eine der Früchte der Arbeit) und Ehrlichkeit sowie Gerechtigkeit gegenüber dem Besitz der anderen Menschen (7. und 10. Gebot) sowie die Wahrheit (8.Gebot).
Zu den Unwerten gehört alles Gegenteilige, was die genannten Werte bedroht oder zerstört.
Der Mensch kann das Sinnvolle, Gute, den inneren Frieden und das, was Erfüllung bringt -all das gehört zu einem glücklichen Leben - nur finden, wenn er die Wahrheit sucht und sie lebt. Für die Christen ist diese Wahrheit in Jesus und in seinen Worten zu finden.
Als Hilfsmittel im Dienste der Suche nach der Wahrheit entstand die Idee einer Einsiedelei auf der Donauinsel in Wien. Sie ist ein Angebot für seelische Gesundung durch Aussprache, Gespräch oder Beichte am Rande des Gebietes für Erholung und Bemühen um körperliche Gesundheit - eine Art erster Hilfestation für die Seelen, ein Versuch, jenen entgegenzukommen, die ihr Leben ändern möchten.
Darf und kann die Kirche den Menschen entgegengehen am Sonntag, wenn sie sich erholen wollen? Darf sie unaufdringlich an die Kirchenschätze erinnern, zu denen jeder durch die Taufe ständigen (zumindest potentiell) Zugang hat? Ich glaube ja.
Ein Katholik, der die Kirchenschätze nicht in Anspruch nimmt, erinnert mich an einen Menschen, der im Besitz eines wertvollen Gutscheins ist, aber es fehlt ihm der Glaube, daß er durch das Realisieren dieses Gutscheins wirklich mit den versprochenen Gütern beschenkt sein wird. So bleibt dieser Mensch ein armer “Reicher".
Warum wurde für die “Einsiedelei" die Donauinsel gewählt?
Sie bietet eine gewisse Abgeschiedenheit an - Entfernung von der Stadt, vom eigenen Zuhause. Dazu unverbautes Gelände, Stille, Fluss, Auen, Wiesen und Wald. Nähe zur Natur! Nähe zu Gott! Und viele Gleichgesinnte, das heißt Erholung suchende Menschen.
Ein idealer Platz für eine Art von Einsiedelei, wo ein Ordensmann verweilt, betet und Werkzeug Gottes sein will. Eines der schönsten Gebete, das dem hl. Franziskus zugeschrieben wird, lautet: “Herr mach mich zu deinem Werkzeug der Liebe, der Freude, der Versöhnung, der Vergebung, der Hoffnung, der Wahrheit."
Br. Markus Machudera
P.S.: Die “Einsiedelei" von Br. Markus Machudera, Kapuziner, befindet sich an Sommersonntagen nachmittags (von 14 bis 20 Uhr) in der Nähe der Nordbrücke auf der Donauinsel in Wien.