VISION 20005/2006
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Liebe in die kalte Welt tragen

Artikel drucken Die Umkehr zur Barmherzigkeit kann die Welt retten (Von Christof Gaspari)

Klingt irgendwie verrückt, Ereignisse wie die Zerstörung des World Trade Centers vor fünf Jahren, den Afghanistan-, Libanon- oder Irakkrieg mit einer Umkehr zur Barmherzigkeit in Verbindung zu bringen. Und dennoch

Ich beharre auf dem, was ich vor rund fünf Jahren geschrieben habe: Der einzige Ausweg aus der Misere ist eine Umkehr zur Barmherzigkeit. Und ich möchte sinngemäß noch einmal so argumentieren wie im Herbst 2001.

Fragen wir zunächst: Haben die nach den üblichen Regeln des modernen Polit-Management entworfenen und durchgeführten Aktionen irgendetwas zum Bessern gewendet? Ich denke: nein. Die drei Kriege in den letzten fünf Jahren - der jüngste ist gerade erst durch einen hoffentlich dauerhaften Waffenstillstand beendet worden - haben den internationalen Terrorismus keineswegs weniger bedrohlich gemacht. Im Gegenteil: In Afghanistan hat sich nach vorübergehender Beruhigung die Lage wieder deutlich verschlechtert. Die Taliban-Rebellen haben eben erst einen verheerenden Selbstmord-Anschlag auf die US-Botschaft in Kabul mit vielen Toten verübt (oder sind wir schon so an Horror-Meldungen gewöhnt, daß uns die 16 Opfer eigentlich gar nicht so schlimm erscheinen?). Aus dem Irak wird Tag für Tag von furchtbaren Blutbädern berichtet. Allein im ersten Halbjahr 2006 sind rund 10.000 Menschen im Land gewaltsam ums Leben gekommen, mehr als im Kriegsjahr 2003. Und die katastrophalen Zerstörungen im Libanon und im Gaza-Streifen haben in der islamischen Welt eine Welle des Hasses ausgelöst.

Das Szenario war jedesmal dasselbe: Zunächst schien die moderne Kriegstechnik erfolgreich zu sein. Infrastruktur wurde lahmgelegt oder zerstört, Gebiete besetzt, Truppen außer Gefecht gesetzt. Damit aber begannen die Probleme erst. Die Bevölkerung der Länder fühlte sich keineswegs vom Joch der Terror-Herrschaft befreit, sondern vom Befreier mißachtet und mißhandelt. Wachsender Haß gegen die Aggressoren sind dann der ideale Nährboden für nachwachsende Terrorrekruten.

Ich behaupte, die Situation ist bedrohlicher als vor fünf Jahren, nicht zuletzt deswegen, weil sich die westlichen Regierungen mit einer Fülle von Vollmachten ausstatten ließen, die den Freiraum des Bürgers im Westen einschränken: Fernsehüberwachung, wohin man schaut; Kontrollen an Flughäfen, die immer peinlicher werden; Fingerabdrücke, erleichterte Telephon- und Internetüberwachung, Anlage von Riesendatenbanken mit Infos über die Bürger...

Langsam wird das verwirklicht, was George Orwell in seinem Roman 1984 beschrieben hat, der “Große Bruder" baut am Netzwerk zur totalen Überwachung. Wer aber kann garantieren, daß in den Zentralen des Netzwerks in alle Zukunft abwählbare Mandatare sitzen? Ein Großteil der europäischen Länder kannte jedenfalls Zeiten, in denen dies nicht gewährleistet war.

Nun geht es mir in diesem Beitrag nicht darum, schwarz zu malen und Angst zu verbreiten. Vielmehr möchte ich darauf hinweisen, daß die derzeit mit größter Selbstverständlichkeit praktizierten Methoden der Problemlösung offenbar nichts bringen, ja vielfach kontraproduktiv sind. Das zeigt sich ja in vielen anderen Bereichen auch: So schreitet etwa die Umweltzerstörung rapid voran, es wächst die Kluft zwischen Arm und Reich dramatisch (selbst im reichen Westen), weiters wird die Kriminalität zur Wachstumsbranche. Gar nicht zu reden von den ungeborenen Kinder, die massenweise umgebracht werden, während man andererseits Kinder zeugt, um sie als Rohmaterial für die Forschung zu verwenden.

Wir marschieren in die falsche Richtung, weil wir geistig fehlorientiert sind. John Maynard Keynes, Vordenker der Wirtschaftspolitik nach dem 2. Weltkrieg, hat mit entlarvender Offenheit ausgesprochen, was kommen würde: “Noch mindestens weitere 100 Jahre müssen wir uns und den anderen sagen, daß foul eigentlich fair ist. Denn foul ist nützlich, fair aber unnütz. Geiz, Wucher und Mißtrauen müssen noch für eine kleine Weile unsere Götter sein. Denn nur sie können uns aus dem Tunnel wirtschaftlicher Notwendigkeit ins Licht führen."

Das Ergebnis war entsprechend: “Was im Kommen ist, ist eine stärkere Ich-Zentrierung und innerhalb dieser Ich-Zentrierung noch einmal eine eingeengte Aufmerksamkeit auf Erfolg, Güter und Genuß...", so die Diagnose einer umfassenden Untersuchung der Einstellung von Managern Mitte der achtziger Jahre. Und: “Lediglich eine als Opportunismus bezeichnete Einstellung hat sich deutlich herauskristallisiert." Ein paar Jahre später faßt der Meinungsforscher Erich Brunnmayr seine Ergebnisse wie folgt zusammen: “Persönliche Moral, so könnte man vereinfacht formulieren, ist ,out', Eigennutz und Lebensgenuß sind ,in'. Die Menschen der neunziger Jahre - und zwar Erwachsene und Jugendliche in ähnlichem Ausmaß - suchen persönliche Sicherheit und Lebensgenuß..."

Ich weiß schon, daß damit nicht alles über die Motive des Menschen in unserer Gesellschaft gesagt ist, aber schauen Sie sich, liebe Leser, die Botschaften an, die uns von den Plakatwänden, in der Fernsehwerbung, in den Talkshows entgegenkommen : Sie animieren durchwegs zu: Selbstverwirklichung, Konsum, Lust, Emanzipation, kurzum zu selbstbezogenem Verhalten.

Wenn wir all diese Fehlentwicklungen sehen, sollten wir mit der selben Klage wie die Juden vor 2000 Jahren zu Jesus gehen und Ihn um eine Wegweisung bitten. Was bekamen sie damals zu hören? Wir lesen die Antwort im Lukas-Evangelium (ich habe die Stelle schon 2001 zitiert): “Zu dieser Zeit kamen einige Leute zu Jesus und berichteten ihm von den Galiläern, die Pilatus beim Opfern umbringen ließ, so daß sich ihr Blut mit dem ihrer Opfertiere vermischte. Da sagte er zu ihnen: Meint ihr, daß nur diese Galiläer Sünder waren, weil das mit ihnen geschehen ist, alle anderen Galiläer aber nicht? Nein, im Gegenteil: Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt. Oder jene achtzehn Menschen, die beim Einsturz des Turms von Schiloach erschlagen wurden - meint ihr, daß nur sie Schuld auf sich geladen hatten, alle anderen Einwohner von Jerusalem aber nicht? Nein, im Gegenteil: Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt." (Lk 13, 1-5)

Diese Ereignisse, die wir nicht unmittelbar beeinflussen können, tragen somit eine Botschaft für uns. Sie sind Zeichen der Zeit, die wir Christen zu deuten haben: Sie rufen uns zur Umkehr auf. Sie sind ein Appell, unseren Teil zur Sanierung der Lage beizutragen, indem wir umkehren, uns öffnen für den barmherzigen Gott, der sehnlichst das Heil, die Heilung dieser Welt wirken möchte.

Ja, was bringt denn das schon, wenn ich einen kleinen Schritt wage? Das ist die naheliegende Frage, die sich jeder stellt, wenn er die großen Ereignisse in Verbindung mit den Möglichkeiten des Normalverbrauchers bringen soll. Die Medien, die Politik, die Wirtschaftskapitäne, die Wissenschafter, überhaupt die anderen - ja, die müßten etwas ändern! Aber ich?

Es muß endlich gelingen, das Geschehen auf der großen Weltbühne mit unserem Bemühen im Alltag in Beziehung zu setzen. Gottes Plan besteht nun einmal darin, die Welt mit den Menschen, mit dem einzelnen, besonderen, mit mir oder dir, zu retten: Er hat Maria um ihre Bereitschaft mitzuwirken gebeten, Er hat den Aposteln freigestellt wegzugehen, Er hat den Petrus gefragt, ob er Ihn liebe... Und so fragt Er auch uns, ob wir bereit sind, uns für Sein Wirken öffnen. “Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten, und wir werden Mal halten, ich mit ihm und er mit mir." (Offb 3,20)

In einer Zeit, in der geistig ein so heftiger Gegenwind pfeift wie heute, ist es gar nicht einfach, die Tür zu öffnen. Es ist ein täglicher, ja stündlicher Kampf. In ihn gilt es einzutreten, damit die Barmherzigkeit Gottes Einzug halten kann in diese Welt. Was Gott dann zur Rettung der Welt im einzelnen wirkt, ist nicht im voraus abzusehen. Gewiß ist nur: Er kann unfaßbare Wunder wirken (siehe Portrait von Marthe Robin, Seite 16f) und Er führt jene, die mit Ihm Mal halten, zu den Mitmenschen, damit auch diese von der verwandelnden Kraft der Zuwendung berührt werden. Eine Zeit, in der die Liebe erkaltet, ist die Hinwendung zu den Menschen, die mir begegnen, das Heilmittel schlechthin, das Gegengift gegen die propagierte Selbstsucht. Ich sage all das hier nicht als frommen Spruch brav auf, sondern schreibe es mir wieder einmal selbst ins Stammburch.

In Medjugorje ruft uns die Gottesmutter mit ihrem nicht enden wollenden Appell: betet, betet, betet! zu dieser Öffnung auf. Und sie verheißt, daß diese Öffnung Kriege aufzuhalten vermag. Ist das nicht eine wunderbare Perspektive, eine Ermutigung, den Lauf der Geschichte mitzugestalten?

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