Von der Sehnsucht eines suchenden Herzens nach der Begegnung mit der letzten Wirklichkeit sprechen die Aufzeichnungen von Sr. Maria Kriegner, die sie in den Jahren vor und nach ihrem Eintritt in eine neue franziskanische Gemeinschaft 1990 niederschrieb. Die Tagebucheintragungen, die auf den ersten Blick banal scheinen mögen, aber bei genauerem Hinsehen eine große Tiefe aufweisen, geben die Suche nach einer Ganzhingabe wieder, die die gebürtige Mühlviertlerin ins Kloster führte. Doch das war für sie nicht die Endstation einer Reise, sondern der Aufbruch in die Weite der inneren Räume, in der sich der ganze Kosmos spiegelt.
Sr. Maria macht sich keine Illusionen. Der Weg des Glaubens bedeutet ein Loslassen des eigenen Ego, um für eine größere Wirklichkeit Platz zu machen. So gelangt der Mensch “an die Schwelle, an der er alles abliefern muß: alle Sicherungen, alle Vorstellungen, alle großartigen oder erbärmlichen Meinungen über sich selbst, alle Fixierungen und alles Vorgefaßte. Alles. Vielleicht müssen wir Heutigen wie nie zuvor unser selbstmodelliertes Ich abliefern". Und das kann weh tun, weiß sie offenbar aus eigener Erfahrung: “Vielleicht ist jedem Menschen seine Lebenswunde (-wende) gegeben, durch die er durch muß."
Nur so kann es zur richtig verstandenen Selbst-Verwirklichung kommen: “Wenn alles aufgehoben ist, was ich aus mir machen möchte, auch mittels des Gebetes oder des Religiösen, wenn alles aufgehoben ist, ganz in der freien Absichtslosigkeit, dann kann das sein: daß ich bin." Sr. Maria will keine großen Erklärungen abgeben; ihr geistlicher Rat ist unspektakulär und gerade darin so notwendig für uns Besserwisser in Kirche und Gesellschaft: “Alles an sich selber wahrnehmen, an der eigenen Geschichte. Nur: auf die letzte Interpretation verzichten."
Sich selbst loslasssen und alles einfach wahrnehmen. Dieser Weg führt in die bedeutungsvolle Stille und gibt den Blick frei für den ganz Anderen: “Was bringt dich noch ins Wort, Gott. Was bringt dich noch in unser Leben? Wir Wortmüden, wir Wortsatten. Was bringt dich noch in unser Leben. Vielleicht noch das Nicht-Wort. Vielleicht das Schweigen?"
Und so tut sich in vielen Tagesaufzeichnungen der Raum für das Poetische auf, wo sich mit wenigen Worten das Unaussprechliche ausbreitet und den Leser zur Meditation führt: “So früh am Morgen, da ist die Welt noch ganz bei sich. Da erkennt sie sich noch. Da ist sie heilig und still - in unendlich heiligem, gelöstem Bei-Sich-Sein. Da hat sie ein Geheimnis. Da gilt es, ihr zu lauschen, bei ihr zu sein."
Die eigene Not am geistlichen Weg bewahrt Sr. Maria vor einer allzu verklärten Sicht solcher Kontemplation: “Der Schmerz des Wachseins ist der Preis für die tiefere Nähe zur Wirklichkeit." Belohnt wird sie allerdings durch die Sternstunden, in denen sie ausgespannt ist “im Sehnsuchtsbogen zwischen Himmel und Erde". Deshalb ist es für sie im Kloster letztlich so spannend, schreibt sie, und gibt Anteil an ihrem abenteuerlichen Leben im Schweigen: “Genauso, wie die Sonnenstrahlen heilende Kraft haben und niemand genau und sicher sagen kann, wie weit sie ins Universum eindringen, genauso kann auch niemand sagen, wie weit die Einsamkeit eines mit Gott verbundenen Menschen in die Welt hinausstrahlt." Aber mit diesem Büchlein kann man gerade dies ein wenig erahnen ...
Bernhard A. Eckerstorfer OSB
Ob das Liebe ist? Dem Geheimnis einer Begegnung auf der Spur. Von Sr. Maria Kriegner. Eigenverlag der Schwestern der Hl. Klara, 2003, 143 Seiten, 12 Euro (Bestellung: Schwestern der Hl. Klara, Kirchstr. 6, 6900 Bregenz oder Referat für Spiritualität der Diözese Linz, Tel. 0732-7610-3161).