Um die Freude, die in der Kirche liegt, zu entdecken, muß man zu ihr gehören, man muß es wollen und man muß es wissen, warum man es will. Naturgemäß sind es dann die Konvertiten oder diejenigen, die lange um ihr Verhältnis zur Kirche ringen, die aufgrund ihrer bewußten Entscheidung diese Freude gefunden haben und davon zu berichten wissen.
Vor nicht langer Zeit wurde mir verdienstvollerweise ein schönes Buch geliehen, in dem es genau darum geht. Evangelical Is Not Enough - Worship Of God In Liturgy And Sacrament (Evangelisch ist nicht genug - Die Verehrung Gottes in Liturgie und Sakrament) des namhaften Gelehrten Thomas Howard ist der Blick eines großen Geistes auf den gemeinsamen Glauben aller Christen und auf das Gebet und die Liturgie der Katholischen Kirche.
Kurz nach der Veröffentlichung des Buches wurde der Autor, Sproß eines prominenten protestantischen Elternhauses, 1985 in die Katholische Kirche aufgenommen. “Ja, ich glaube, daß die Römisch-Katholische Kirche die Alte Kirche ist. Ich akzeptiere ihre Ansprüche. Ich glaube, daß man hier die Fülle (,Katholizität') des Glaubens findet. Daher beklage ich die Zersplitterung der Christenheit. Ich bete täglich für die Wiedervereinigung der Kirche Christi."
Viele seiner Überlegungen und Erfahrungen sind aus eigener langjähriger Auseinandersetzung wohlvertraut. Darum fühle ich mich ermutigt, auch selbst ein kleines Zeugnis für die Freude an und in der Kirche abzulegen.
Für mich waren die Wahrheit der Kirche und die Zugehörigkeit zu ihr einige Zeit keineswegs klar. Am Gymnasium kam ich mit protestantischem Gedankengut und freikirchlich orientierten Christen in Kontakt, deren Engagement und Bibelkenntnis mich beeindruckten.
Es kam in mir die Frage auf, ob die römisch-katholische Kirche nicht vom Willen Gottes und von der Bibel weit abgeirrt ist. Das protestantische Prinzip “Sola Scriptura" - d. h. “die Schrift alleine" als maßgebliche Glaubensquelle zu nehmen und alles, was über den Buchstaben derselben hinausgeht, abzulehnen - hielt mich über Jahre lang mehr oder weniger bewußt in seinem Bann gefangen. Es war eher die Suggestivkraft der Propagandisten dieser Lehre, die mich als einen im Religionsunterricht so gut wie nicht informierten Katholiken mühelos an die Wand spielte als eine Einsicht in das Argument an sich.
Doch mit der Zeit habe ich entdeckt, daß es beim Sola Scriptura-Prinzip keine Einsicht gibt. Denn es ist falsch. Es wird von außen - als Ideologie - an die Bibel herangetragen und nicht aus ihr gewonnen, es widerspricht ihr (vgl. Joh 21, 25) und erklärt vor allem nicht, wer die Schriften der Bibel zusammengestellt hat und wer sie uns nun überliefert und als Wort Gottes bezeugt und authentisch interpretiert. Aber das ist nicht die Hauptsache.
Wie für Thomas Howard war auch für mich selbst neben den fundamentaltheologischen Überlegungen vor allem die Liturgie ein unbezweifelbares Zeugnis des wahren und vollständigen Glaubens und ich bin weiterhin gerne zur Hl. Messe gegangen. Nach dem Erleben von “Jugendmessen" und ähnlichem bin ich daraufgekommen, daß die Liturgie nicht dafür da ist, umgemodelt zu werden und als Plattform für Selbstproduktionen zu fungieren. Die Freude wird dann von einem flüchtigen “Event" abgelöst, das Wertvolle für ein Imitat eingetauscht, die “nüchterne Trunkenheit" einer echten Feier mit oberflächlicher aufgeheizter Stimmungsmache verwechselt.
“Das Gesetz des Betens ist das Gesetz des Glaubens", sagt man, also “wie man betet, so glaubt man" (und umgekehrt). Die Liturgie ist objektiv, sie ist Geschenk und Offenbarung Gottes. Sie ist zutiefst biblisch verankert.
Sich in dieses Geschehen zwischen Gott und Mensch hineinnehmen zu lassen und die ganze Handlung, die Lesungen und Psalmen, das Hochgebet und die Kommunion als Geschenk aufzunehmen, bewirkt eine große Freude. Ich habe oft selbst erlebt, wie die aktive Öffnung und Aufnahme sozusagen den inneren Menschen aufbaut und erfreut. (Für das Praktizieren dieses Objektiven in einer würdigen und gesammelten Liturgie bin ich besonders dem Linzer Karmelitenkonvent sehr dankbar.)
Später habe ich die Gottesdienste der griechisch-katholischen Ukrainer (und dann der armenischen Mechitaristen) kennen- und schätzen gelernt. In der wunderbaren Liturgie des Hl. Johannes Chrysostomos heißt es: “Laßt uns abtun alle irdische Sorge." Das war eine geistige Befreiung: Keine weltlich, politisch und ökologisch überfrachteten Messen sondern der Blick nach oben!
Bei den mit Rom nicht in voller Gemeinschaft stehenden Kirchen der Kopten und der Äthiopier war ich letztes Jahr herzlich aufgenommener Gast. Auch hier machte ich tiefe Erfahrungen.
Der äthiopische Priester fragte mich nach dem Gottesdienst, ob es denn nicht langweilig sei, zweieinhalb Stunden einem Gottesdienst in einer unverständlichen Sprache beizuwohnen. Ich mußte gestehen, daß das Stehen anstrengend gewesen war. Aber ich habe zweieinhalb Stunden äthiopische Liturgie als bei weitem weniger langweilig und mühsam empfunden als zehn Minuten inhaltslose oder gar ungläubige Predigt auf Deutsch.
Denn es ging um Gott. Das ist es, was die Seele als Freude, als Bereicherung und Erfüllung erlebt.
Und schließlich habe ich (zum Teil auf dem Weg über die Ostkirchen) auch unseren eigenen überlieferten römischen Ritus lieben gelernt. Hier schließt sich der Kreis: Der volle Glaube wird in der vollen Liturgie unseres eigenen Kulturraumes entfaltet. (Und spätestens da haben sich alle verbliebenen “protestantischen" Einwände in mir in Luft aufgelöst.)
Da wird es klar, daß Romano Guardinis wunderbares Büchlein Vom Geist der Liturgie und Dietrich von Hildebrands Liturgie und Persönlichkeit nicht für selbstgemachte “Rituale" geschrieben worden sind.
Ich bin mir sicher, daß in der Tiefe der überlieferten Liturgien so mancher Mitmensch, ob Christ oder nicht, das Ziel seines vielleicht unbewußten Suchens und die Erfüllung eines dumpf geahnten Mangels finden könnte. Man muß es ihm nur erklären und ihn vor allem erleben lassen.
Hier, im Reichtum der lebendigen Traditionen des Westens und des Ostens, ist die Quelle einer großen Freude, die uns auch über den Tagesverdruß hinausverweist und irdische Sorgen ablegen läßt. Man erlebt, worum es im letzten geht: um die Erfüllung durch Gott.
Oft habe ich mir gedacht: Warum hat mir das keiner früher gesagt? Warum wird man nicht von Jugend auf zur Freude im zentralen Tun der Kirche hingeführt? Habe ich die Ukrainer und Äthiopier gebraucht, um zur Quelle gebracht zu werden? Offenbar schon. Dadurch habe ich neue Freude an der Kirche gefunden. Gott sei Dank.
Wolfram Schrems