Was geschieht nach dem Tod? Eine Frage, auf die es heute eher diffuse Antworten gibt. Umso wichtiger sind klare Aussagen aus dem Glauben. Sie gibt der Bischof von Namur (Belgien) im folgenden Gespräch.
Was ist das Anliegen Ihres Buches in unserer Zeit, die den Tod banalisiert oder verdrängt und abstruse Ideen über das Jenseits verbreitet?
Bischof André-Mutien Léonard: “Ist nach dem irdischen Leben hier alles aus?" Das ist die einzige wichtige Frage unserer Existenz. Sie bewegt uns alle, auch die Jungen, die manchmal sogar richtig bedrängt werden von dieser Frage. Viele allerdings haben zu diesem Thema keine Meinung. Umfragen zeigen, daß nur eine Minderheit - sogar unter praktizierenden Christen - an die Auferstehung glaubt. Viele Christen meinen, die Seele lebe nach dem Tod weiter. Aber wie? Durch Reinkarnation? Durch Aufgehen im anonymen göttlichen Kosmos? Agnostiker und Atheisten meinen ihrerseits mit dem Tod sei alles aus.
Das Anliegen des Buches? Einfache, präzise, klare und ausgewogene Antworten des christlichen Glaubens auf die Frage nach Tod, Jenseits und ewigem Leben zu geben. Auf das, was man die “Letzten Dinge" nennt oder die “Eschatologie". Davon spricht man kaum mehr, außer vielleicht bei Begräbnissen, zu Allerheiligen oder Allerseelen. Worum geht es in letzter Konsequenz in unserem Leben? Ist Gott so tolerant, daß unser ewiges Heil automatisch sichergestellt ist?
Sie beginnen mit einem Paradoxon: der Tod sei sowohl natürlich wie wider die Natur...
Bischof Léonard: Das ist eine gewollt provokante Formulierung, die zum Nachdenken einlädt. Damit wird auf zwei Aspekte des Todes hingewiesen. In der jetzigen Welt ist der Tod unvermeidlich. Er gehört zum Lebenslauf, ist in den Gesetzen der physischen Existenz eingeschrieben, was ihm allerdings nichts von seiner Tragik nimmt. Der Tod ist notwendig, ja in mancher Hinsicht heilbringend. Wären wir nämlich biologisch unsterblich, würde das Leben auf Erden bald zur Hölle. Der christliche Glaube läßt uns aber erkennen, daß die Welt, wie wir sie erleben, anders hätte sein können, ja sein sollen. Zunächst weil Jesu Auferstehung uns einen neuen Himmel und eine neue Erde erwarten läßt, beide ganz real und nicht mehr den Gesetzen des Kosmos und der Geschichte unterworfen. Und außerdem weil diese neue, zu Ostern erstandene Welt in uns den Gedanken weckt, daß die Schöpfung ursprünglich heil gewesen sein muß. So wird uns klar, daß unsere heutige Welt zerstört, ja gefallen - allerdings auch zur Verklärung berufen ist.
Sie behaupten, es gebe eine eindeutige Verbindung zwischen Tod und Erbsünde.
Bischof Léonard: Wenn man die Vorstellung vom Sündenfall aufgibt, steht man vor lauter Rätseln. Sieht man den Tod als Unvollkommenheit der Kreatur an, dann kann es niemals eine wahre und endgültige Lösung geben. Sagt man, das gegenwärtige Universum sei eine erste Phase der Schöpfung, Gott habe uns in eine unvollkommene, aber zu vervollkommnende Welt gestellt, eine Welt, die Er am Ende der Zeit vervollkommnen werde, dann fragt man sich, warum Ihm das nicht schon beim ersten Versuch gelungen ist! Was wäre das auch für eine leicht sadistische Pädagogik, uns in eine zwar sehr schöne, aber unheilbar tragische Welt zu setzen! Nur die “Sünde im Anfang", der katastrophale Bruch zwischen Mensch und Gott, die “Ursünde", die aus ihr hervorgehende Beschädigung der Schöpfung, können den Tod erklären.
Der Tod ist also ein Skandal...
Bischof Léonard: Klar, weil ursprünglich gegen die Natur! “Gott hat den Tod nicht geschaffen", liest man im Buch der Weisheit. “Da weinte Jesus" (Joh 11,35) - so die Reaktion, als Er mit dem Tod seines Freundes Lazarus konfrontiert wurde: keine große Rede, kein billiger Trost! Er zeigt uns, daß man nicht allzu rasch den Tod bagatellisieren soll durch Aussprüche wie: “Er ist gestorben, was wollen Sie, so ist das Leben eben!" Das nimmt dem Tod etwas Wesentliches, seinen Stachel, wie der heilige Paulus sagt. Mit jemandes Trauer konfrontiert, müssen wir Respekt zeigen und nicht Halleluja rufen, ohne dem Ernst des Geschehens Rechnung zu tragen.
... aber mit dem Tod ist ja nicht alles aus!
Bischof Léonard: Nein, der Tod ist nur ein Übergang, ein bedrohlicher, in dem der Bruch zum Ausdruck kommt, der unser ganzes Leben von Anfang an kennzeichnet. Wie Péguy es in seiner Dichtung “Ève" sagt: “Was seit damals zum Tod wurde, war ursprünglich nur ein natürlicher und ruhiger Fortgang." Nein, kein harmonischer Übergang mehr, sondern Bruch. Gleichzeitig ist der Tod aber erfüllt von der Gnade und dem glorreichen Kreuz Christi. Er ist Zeichen des Verderbens, aber auch Ort des Heils.
Himmel, Fegefeuer, Einzel- und Letztes Gericht... Unsere Zeitgenossen haben da recht vage Vorstellungen. Was sagt der christliche Glaube zu all dem?
Bischof Léonard: Die Letzten Dinge - bezüglich des Fegefeuers ist es ein vorletztes - sind immer aus dem Blickwinkel der Liebe Gottes zu betrachten. Der Himmel ist die Liebe Gottes erlebt aus der Warte dessen, der diese Liebe voll bejaht und ganz von ihr erfüllt ist; das Fegefeuer ist die Liebe Gottes erlebt von dem, der sie zwar bejaht - aber mit einem geteilten Herzen - und der noch vom Feuer dieser Liebe gereinigt werden muß; die Hölle ist Gottes Liebe, wie sie erfährt, wer zwar um diese Liebe weiß, sie aber beharrlich, im vollen Bewußtsein und aus freien Stücken ablehnt - und davon zerfressen wird.
Das Einzelgericht entscheidet unmittelbar nach dem Tod über die ganz persönliche und ewige Bestimmung der betroffenen Person. Da geht es um die individuelle Eschatologie. Das Jüngste Gericht findet am Ende der Geschichte der Menschheit statt, am Ende der Zeiten. Es ereignet sich gleichzeitig mit der Wiederkunft Christi und wird von der Wandlung des Kosmos zum neuen Himmel und zur neuen Erde begleitet. Hier geht es um die universelle Eschatologie, die endgültige Bestimmung der Menschheit und des Kosmos.
Wir werden also mit Seele - und Leib auferstehen?
Bischof Léonard: Der christliche Glaube ist mit dem jüdischen - und bis zu einem gewissen Grad dem islamischen - der einzige, der damit rechnet, daß der Mensch als ganzes Wesen zu einem Leben in Herrlichkeit berufen ist. Nicht nur seine Seele, sondern auch sein fleischliches Wesen. Gar nichts an uns wird an der Garderobe des ewigen Lebens abgegeben. Auch unser Leib wird verwandelt. Das eröffnet eine große Hoffnung auf das Leben im Jenseits, aber auch für das irdische Dasein: Nichts an unserem menschlichen Abenteuer ist unbedeutend. Alles, was wir - sogar in unserem sterblichen Fleisch - erleben, ist für die Ewigkeit bedeutsam. Aber nach unserem Tod, vor der Auferstehung der Toten am Ende der Zeiten existieren wir als “getrennte Seelen" - nicht als Engel, wie viele Leute meinen.
Auferstehung ist weder Wiederbelebung, noch Reinkarnation.
Bischof Léonard: Stimmt, Jesu Auferstehung ist keine Wiederbelebung. Der Auferstandene geht nicht aus einer Intensivstation hervor, Er ist in eine neue Existenzform eingetreten. Wenn wir - aufgrund des Glaubens an Jesu Auferstehung, dem Erstgeborenen der Toten, wie der Apostel Paulus sagt - an unsere eigene Auferstehung glauben, bedeutet das: Wo Er ist, dorthin können wir Ihm als Seine jüngeren Geschwister folgen. Daß wir ganz real an unsere eigene Auferstehung glauben, hängt von der Realität des Glaubens an die tatsächliche Auferstehung Christi ab - und ist eng verbunden mit der Realität aller Punkte unseres Glaubens.
Was die Lehre von der Reinkarnation betrifft, so wird sie im Westen heute geradezu “verraten", indem man ihr einen positiven Sinn gibt, den sie in den Religionen des Ostens übrigens keineswegs besitzt. Diese Lehre nimmt dem Leben das Merkmal, einmalig, unendlich kostbar und voll Verantwortung zu sein. Die Zahl der irdischen Existenzen zu vervielfältigen, um sich zu reinigen, ist überhaupt keine Lösung, denn zwischen diesen Daseinsformen besteht keine Verbindung. Auch nach Tausenden solcher Wandlungen werden wir gleich bedürftig bleiben. Die Lehre vom Fegefeuer hingegen gibt eine vernünftige Antwort. Klar, daß wir am Ende unseres Lebens richtige Zwerge im Angesicht der Heiligkeit Gottes sein werden. Aber es wird Seine Liebe sein, die uns Ihm gleich machen wird.
Auszug aus “Famille Chrétienne" v. 30.10.04. Siehe auch La mort et son au-delà von Bischof André-Mutien Léonard, Presses de la Renaissance, 224 Seiten, 15 Euro.