VISION 20004/2007
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Wenn die Welt glaubenslos wird

Artikel drucken Das unblutige Martyrium mitten in der Wohlstandsgesellschaft (Von Urs Keusch)

Es gibt nicht nur das blutige Martyrium in der Verfolgung, sondern auch das stille, unbemerkte, das viele Gläubige heute in der Kirche des Westens zu tragen haben, weil sie in einem Umfeld leben, das den Glauben zerstört und lächerlich macht.

Meine Generation ist in einer Zeit aufgewachsen (68-iger Jahre), wo alles wankte. Wir wurden erfaßt von allen zersetzenden Zweifeln am christlichen Glauben. Die geistigen Fundamente brachen ein, die alten Wertetafeln wurden zerschlagen. Nietzsches Prophezeiungen klangen von allen Hügeln wider: “Du wirst niemals mehr beten, niemals mehr anbeten, niemals mehr in endlosem Vertrauen ausruhen." Und: “Ich sah eine große Traurigkeit über die Menschen kommen." Es war die Traurigkeit des Nihilismus, die den Menschen beschleicht, wenn es keinen Gott mehr gibt. Es ist ein Leben ohne Hoffnung, ohne Heimat, ohne Zuflucht.

In diese Zeit fiel auch das II. Vatikanum mit seinen “nachkonziliaren Neuerungen": eine Phase der Kirchengeschichte, in der sich in weiten Teilen der abendländischen Kirche ein “Glaubensabsturz" (Kardinal Ratzinger) ereignete, der in der Geschichte einmalig ist und nicht zur Ruhe kommen will. Die Kirche: das sind wir, das sind wir Menschen in dieser Zeit, Teil dieser Geschichte. Der Nihilismus, das Auslöschen des wärmenden Feuers in den Herzen und darum auch in der Kirche - diese Nebelkälte hat uns alle erfaßt, auch uns, die wir Christen sind oder uns Christen nennen. Jesus hat davon gesprochen: “Weil die Gottlosigkeit überhandnimmt, wird die Liebe der vielen erkalten" (Mt 24,12). Sie kühlt sich immer mehr ab in den menschlichen Beziehungen, in den Familien, darum auch in der Kirche. Wir verlieren zunehmend die Freude am Leben, die Freude an Gott und Seiner Schöpfung.

Darum leidet auch die Schöpfung und stöhnt unter der Last, die wir Menschen ihr aufbürden, weil wir so rücksichtslos, so lieblos geworden sind. Wo die Liebe erkaltet, dort geht den Häusern die Wärme aus, dort geht der einsame Mensch um, dort gibt es nur noch Gefängniszellen, dort ist das Leben nicht mehr auszuhalten. Nietzsche, der das alles vorausgesehen und verkündet hat (denn er hat es am eigenen Leibe erfahren), schreibt einem Freund: “Ein tiefer Mensch braucht Freunde. Ich habe weder Gott noch Freunde. Da es keinen Gott mehr gibt, ist das Leben nicht mehr auszuhalten." Und das ist das Lebensgefühl vieler, vieler Menschen heute.

Ich bete, daß ich den Glauben nicht verliere

Als junger Theologiestudent hatte ich das Glück, einem etwa 80 Jahre alten Priester zu begegnen, der nicht nur ein herausragender Gelehrter war, sondern von vielen Menschen als Ratgeber, als Seelsorger aufgesucht wurde, weil er ein heiligmäßiger Priester war. Ich erinnere mich bis zur Stunde als wär' es gestern gewesen - und das sind nun über 30 Jahre her -, daß er in den Gesprächen immer wieder sagte:

“Ich bete jeden Tag darum, daß ich den Glauben nicht verliere."

Ich muß gestehen, daß ich damals diese Sorge überhaupt nicht verstehen konnte. Ich konnte nicht begreifen, daß ein heiligmäßiger Mensch mit drei Doktorgraden so etwas sagen konnte. Warum solche Befürchtungen, solche Ängste, warum ein solches Gebetsanliegen? Den Glauben verliert man doch als alter Mann nicht!

Heute, nach über 30 Jahren, weiß ich, was dieser Priester meinte - und welche Finsternis er heraufkommen sah. Ich habe es am eigenen Leibe erfahren, wie schleichend, ja, wie unheimlich diese Gefahr ist, den Glauben zu verlieren, vor allem auch, wenn man Theologie studiert. Ich habe viele Menschen gekannt, die einmal von der Gnade, von der Liebe Gottes wunderbar berührt waren und im Laufe der Jahre den Glauben verloren haben: eigentlich nicht verloren, es ist ihnen nach und nach das Feuer des Glaubens ausgegangen, sie haben kein Holz auf die Glut gelegt: Sie haben das tägliche Gebet vernachläßigt, die geistliche Schriftlesung, den ehrfurchtsvollen Empfang der Sakramente.

Und noch etwas, noch eine Gefahr war mächtig: Die Welt der elektronischen Medien trat in den vergangenen Jahrzehnten einen Siegeszug an, der von niemandem vorauszusehen war. Täglich speit dieses ruhelose und oft so freche Maul immer mehr zersetzende Informationen, mehr verunreinigende Bilder, mehr Lärm und Unruhe, mehr Gemeines und Häßliches in unsere Wohnstuben, ja, in viele Kinderzimmer. “Es wurde ermächtigt, mit seinem Maul anmaßende Worte und Lästerungen auszusprechen" (vgl. Offenbarung 13,5) Dort, wo einmal das Heiligenbild stand, wo die Familie zusammen betete, erhebt sich heute an vielen Orten ein ganzer Turmbau an elektronischen, Bilder und Lärm erzeugenden Geräten. Die Ruhe ist aus dem Leben genommen, Gottes Sehnsucht nach dem Menschen wird kaum mehr wahrgenommen.

Christsein - oft ein unblutiges Martyrium

Wir leben heute in einer Phase der Geschichte und der Kirche, in der das Christsein, die Nachfolge Christi und das lebendige Bekenntnis zu Jesus Christus und zu seinen Geboten für viele Menschen - junge und alte - immer mehr zu einem unblutigen Martyrium wird. Machen wir uns nichts vor! Wie schwer ist es heute für junge Menschen geworden, die die ganze Verführung unserer Zeit erkannt und durchschaut haben und sich Jesus Christus zugewandt haben, an den Schulen zu bestehen, den Spott, die Verächtlichmachung, die Isolation und oft eine unendliche Einsamkeit zu ertragen! “Nicht durch Worte, durch Lachen tötet man." So Nietzsche. Aber das ist nichts Neues. Diese jungen Menschen müßen wißen, daß sie sich heldenhaft einreihen in die lange nahtlose Kette der Märtyrer, die bei Christus anfängt und erst mit dem letzten bekennenden Christen zu Ende gehen wird.

Dieses unblutige Martyrium erleben heute auch viele erwachsene Christen, vor allem jene Generation von gläubigen Menschen, die vor 30, 40, 50 oder mehr Jahren - äußerlich wenigstens - noch weitgehend eine heile Welt und Kirche erfahren haben. Sie erleben seit Jahrzehnten, wie der Geist der Welt immer mehr auch das volkskirchliche Leben durchsetzt, wie der Geist des Glaubens und des Gebetes in den Pfarreien schwindet, wie die Volkskirche eben immer mehr verweltlicht und sich so sehr dem Geist der Welt angleicht, daß sie für Christus nicht mehr erkennbar ist.

Viele müßen miterleben, wie Priester, die noch treu zu ihrem Bischof und zur Sendung der Kirche stehen, von ihren eigenen “Gläubigen" gekränkt, gedemütigt, fertiggemacht werden. Immer mehr Priester gibt es, die es nicht mehr wagen, eine Pfarrei zu übernehmen. Dann erleben wir Situationen, daß Priester und andere Verantwortliche der Kirche sich öffentlich (wenn möglich zusammen mit ihren Gemeinden und Kirchenräten) gegen ihren Bischof stellen und die Medien dazu mißbrauchen, ihren eigenen Bischof bis zur Erschöpfung unblutig zu foltern... Wieviel seelischer Schmerz wird heute von glaubenden Menschen ausgetragen, von Bischöfen, Priestern, Laien, wieviele Tränen unsichtbar geweint! “Ich fühle mich als Christ oft grausam allein", sagte mir gestern ein älterer Mann. Heute schreibt mir eine Frau: “Wir haben hier im Altersheim ganz selten eine Heilige Meße und zur Kirche kann ich schon über ein Jahr nicht mehr gehen." Eine Frau erzählt mir: “Ich finde in der ganzen Pfarrei niemand, der mit mir in der Kirche den Rosenkranz beten würde." Man könnte endlos so fortfahren. Viele gläubige Menschen, Bischöfe, Priester wie Laien, sind in Gefahr, an diesen Leiden zu zerbrechen, daran krank zu werden, und viele sind daran zerbrochen.

Aber das darf nicht sein! Diese Menschen müssen wissen: Was Du leidest, das leidet zuerst Christus in Dir! Wo Menschen sich lieblos gegen ihren Bischof auflehnen, tun sie es Christus an. Wo Christen lieblos streiten und die Gemeinde spalten, da zerreißen sie dem Herrn den Leib. Wo Menschen in der Kirche herrschen wollen und nicht dienen, da schlagen sie Christus ans Kreuz. Das alles leidet zuerst Christus in Dir! Und Christus möchte diesen Menschen sagen:

“Laß Dich nicht entmutigen. Laß Dich nicht brechen. Ich brauche Dich! Ich brauche dein Mitleid, deine Geduld, dein Gebet, dein Erbarmen. Und ich brauche vor allem das österliche Strahlen auf deinem Gesicht! Es war immer so, durch die ganze Geschichte meines Volkes Israel und meiner Kirche: Immer war es der “kleine Rest", mit dem mein Vater die Welt überwunden hat, mit dem Er seine Kirche neu gebaut hat, mit dem Er die Wunder seiner Barmherzigkeit wirkt, wenn die Stunde gekommen ist. Bleibt standhaft wie meine Mutter unter meinem Kreuz! Ihr seid meine Freunde, wenn ihr bei mir ausharrt. Mit euch, mit diesem kleinen, unscheinbaren Rest werde ich meine Kirche wieder aufbauen. Mit euch werde ich die Kinder, die jungen Menschen aus der dunklen Flut ziehen. Mit euch werde ich meinen Durchbruch schaffen, etwas ganz Neues, wenn ihr geduldig bleibt und ausharrt und in der Liebe nicht nachlaßt, sondern in ihr immer mehr wächst. Euch werde ich die Krone des Lebens geben."

Im Tagebuch der heiligen Faustyna geht diese Wahrheit vom “kleinen Rest" wie ein symphonisches Thema durch alle Seiten. Sie schreibt: “Ich sehe ganz klar, daß auserwählte Seelen die Welt erhalten..." Und was Jesus zu ihr sagt, gilt allen Menschen, die heute ihren Schmerz um die Kirche aus Liebe zu Ihm ertragen: “Für dich segne ich die Welt!" Und was Jesus an anderer Stelle zur heiligen Faustyna sagt, das sagt er zu jedem Menschen, der sich in der Liebe und in der Geduld nicht entmutigen läßt und sich weiterhin öffentlich zu Jesus Christus bekennt und für seine gekreuzigte Kirche einsteht und in Liebe für sie kämpft:

“Ich sehe, daß deine Liebe überaus rein ist, reiner als die der Engel, und zwar deswegen, weil du kämpfst. Für dich segne ich die Welt. Ich sehe deine Anstrengungen für mich. Sie entzücken Mein Herz." Danke, Jesus! Komme bald!

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