VISION 20005/2007
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„Wir Bayern haben einen gewissen Dickschädel“

Artikel drucken Gespräch mit Prälat Georg Ratzinger, dem Bruder von Papst Benedikt XVI.

Niemand kennt Papst Benedikt XVI. besser als dessen älterer Bruder, der ebenfalls Priester ist und lange Jahre hindurch die Regensburger Domspatzen geleitet hat. Mit ihm haben Johanna Hulatsch und Christoph Hurnaus gesprochen.

Können Sie uns etwas über Ihren Weg zum Priestertum erzählen?

Georg Ratzinger: Das Familienleben war bei uns religiös geprägt. Das Gebet zum Frühstück, das Tischgebet zu allen Mahlzeiten, und dann natürlich auch die Verbundenheit mit dem kirchlichen Leben. Wir sind jeden Tag in die Schulmesse gegangen, am Sonntag sowieso. Am Samstag sind wir regelmäßig in den Rosenkranz und auch zur Beichte gegangen. Eingetaucht zu sein in diesen gläubigen Kontext, hat doch eine Welt gebaut, die einfach bestimmend war für die Beurteilung von allem, was man erlebt hat.

Die Berufung ist eigentlich von selber gewachsen. Ich war Ministrant und hatte dabei immer das Empfinden: “Da ist dein Platz." Ich hatte niemals große innere Kämpfe. Auch in der schwierigen Zeit des Krieges gab es für mich keinen Zweifel, daß dies für mich die richtige Berufung und die Lebensrichtung ist, zu der ich gerufen bin. Für meinen Bruder, der ja drei Jahre jünger ist und mir bald folgte, hatte ich eine gewisse Vorbildfunktion, bin aber überzeugt, daß er auch ohne mich einen geistlichen Beruf ergriffen hätte. Ich hab immer den lieben Gott gebeten: “Gib mir eine Aufgabe, wo ich musikalisch tätig sein kann, eine Verbindung zwischen meinem geistlichen Beruf und der musikalischen Arbeit."

Haben Sie als Kinder auch schon musiziert?

Ratzinger: Unser Vater hat gerne Zither gespielt und auch im Kirchenchor gesungen. Für die Familie war es immer ein großes Erlebnis, wenn der Vater die Zither vom Küchenschrank runtergeholt, die Noten ausgepackt und dann gespielt hat. Mein Vater meinte, wir sollten als Kinder Harmonium lernen, weil es das Instrument ist, das der Orgel am nächsten ist. Ich war von Anfang an von der Musik sehr fasziniert. Als Kind fragte ich meinen Vater, wie man den Mann nennt, der in der Bischofskirche die Musik macht. In Tittmoning hieß er Chorregent. Mein Vater sagte “Domkapellmeister", und so dachte ich, ich möchte einmal Domkapellmeister werden.

Hatten Sie jemals damit gerechnet, daß Ihr Bruder Papst werden könnte?

Ratzinger: Daß die Kardinäle sich für meinen Bruder als Papst entschieden, war für mich im ersten Moment wegen seines Alters eigentlich unverständlich. Es benötigt schon einen intensiven geistlichen Vollzug, um zu verstehen, daß mein Bruder nun Papst geworden ist. Aber persönlich hat sich zwischen uns nichts verändert. Er ist ja nicht nur Papst, er ist auch Mensch, mein Bruder eben.

Hätte sich Ihr Bruder jemals vorstellen können, Papst zu sein?

Ratzinger: Nein. Er hatte ja gehofft, seine offiziellen Ämter bald ablegen zu können. Er wollte noch ein bißchen wissenschaftlich-literarisch arbeiten. Das war so seine Perspektive.

Haben Sie manchmal daran gedacht, was Ihre Eltern sagen würden, wenn sie die Wahl Ihres Bruders zum Papst erlebt hätten?

Ratzinger: Die Eltern würden sich einerseits sicher freuen, andererseits wäre dies auch eine Sorge. Man muß die Verantwortung sehen, die hinter so einem hohen Amt steht, die Erwartungen, die in ihn gesetzt werden.

Sie besuchen im August Ihren Bruder Papst Benedikt in Castelgandolfo. Wie sieht dort ein normaler Tagesablauf für Sie aus?

Ratzinger: In der Früh bereiten wir uns gemeinsam auf die Heilige Messe vor, und dann gibt es eine gemeinsame Zelebration, an der auch der Sekretär teilnimmt. Anschließend betet mir mein Bruder nach einer Meditation das Brevier vor, da ich ja nicht mehr lesen kann. Nach dem gemeinsamen Frühstück geht mein Bruder dann an die Arbeit. Am Vormittag ist jemand da, der mir vorliest, und kurz vor Mittag kommt mein Bruder, um mich zum Mittagessen abzuholen. Wenn ich im Vatikan bin, gibt es nach dem Mittagessen einen Spaziergang auf dem Dachgarten, in Castelgandolfo durch die Säle des Hauses, und dann ist Siesta. Um 18 Uhr 45 gibt es nochmals einen gemeinsamen Spaziergang mit meinem Bruder, wo der Rosenkranz gebetet wird. Anschließend ist Abendessen, und nach dem Abendessen sehen wir uns um 20 Uhr die Nachrichten an.

Man sagt, daß Ihr Bruder als Präfekt der Glaubenskongregation ein sehr nahes Verhältnis zu Papst Johannes Paul II. hatte. War das eine kongeniale Partnerschaft?

Ratzinger: Ja, so kann man es sagen. Der Papst hat sehr viel auf ihn gehalten und gewußt, daß er in ihm einen verläßlichen und jederzeit bereiten Mitarbeiter hat, der auch qualifiziert ist. Der Heilige Vater wußte, daß Kardinal Ratzinger eine sehr intensive und umfassende Kenntnis vieler Details hat. Mein Bruder hatte nie einen besonderen Ehrgeiz. Er wollte seine Aufgabe gut machen.

Früher wurde von Kardinal Joseph Ratzinger oft ein verzerrtes Bild gezeichnet. Als Papst wird er nun ganz anders wahrgenommen. Freuen Sie sich eigentlich, daß sich die Stimmung so gewandelt hat?

Ratzinger: Man sieht, daß solche Vorurteile nie auf originärer Erfahrung beruhen. Jemand sagt etwas, es wird in die Welt gesetzt, und die Welt besteht halt weitgehend aus Gerüchten. Daß jetzt ein falsches Bild von meinem Bruder korrigiert wird, das halte ich schon für gut.

Ist Standfestigkeit eine besondere familiäre Tugend?

Ratzinger: Ich denke schon, daß da eine natürliche Veranlagung da ist. Wir Bayern haben einen gewissen Dickschädel. Der positive Effekt ist, daß etwas, was der eigenen Überzeugung entspricht, nicht einfach leichtfertig aufgegeben wird. Mein Vater war in seiner Opposition gegen das Naziregime da sicherlich für uns ein Vorbild.

Ein großer Erfolg war der Heimatbesuch Ihres Bruders Papst Benedikt XVI. in Bayern im vergangenen Jahr. Was bleibt ein Jahr danach neben schönen Erinnerungen?

Ratzinger: Viele Menschen waren emotionell sehr beeindruckt. Ich glaube, daß dies bei vielen nicht nur ein momentaner Eindruck war, sondern wirklich auch anhält. Ich war selber in Altötting und Regensburg dabei, wo es wirklich sehr eindrucksvoll war. Der Papst hat hier in diesem Zimmer Mittag gegessen und so wie eh und je seine Siesta gemacht. Dann waren wir noch am Friedhof, am Elterngrab, und im Haus meines Bruders in Pentling, wo er nochmals eine Ruhepause einlegen konnte. Das hatte natürlich für uns eher privaten Charakter und ist religiös oder heilsgeschichtlich nicht von Bedeutung.

Wie sehen Sie die Zukunft der Kirche?

Ratzinger: Wir müssen uns bemühen, daß ein Kern da ist, der den Glauben an Christus wach hält, und die Botschaft des Evangeliums lebt. Die vielen neuen Gruppen und Bewegungen, die entstehen, sind in sich gefestigt und wirken nach außen ungemein positiv und befruchtend; daß die Kirche nicht in der Sakristei bleibt, sondern einen gewissen Öffentlichkeitsraum erreicht. Man soll aber auch die Tradition nicht ganz unterschätzen. Sie ist schon eine gewisse Hilfe.

Auszug aus einem längeren Gespräch, das Radio Maria Österreich gesendet hat. CDs von dem Gespräch können unter Tel.: 01 7107072 bestellt werden.

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