VISION 20005/2007
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Er hat ein Elefanten-Gedächtnis

Artikel drucken Gespräch mit dem Papstsekretär

Er organisiert das Leben des Papstes so, daß dieser nicht in Terminen und Papierfluten untergeht, Dr. Georg Gänswein, seines Zeichens Papstsekretär. Wie sieht er Benedikt XVI.?

Herr Prälat, wie geht es dem Papst?

Georg Gänswein: Es geht ihm gut, er fühlt sich wohl, arbeitet viel und legt ein hohes Tempo vor.

Benutzt er das Trimmrad, das ihm sein Leibarzt Buzzonetti verordnet hat?

Gänswein: Das Trimmrad steht bei uns im Appartamento Privato.

Was heißt das?

Gänswein: Es steht brav zum Benutztwerden bereit.

Als Kardinal wollte Joseph Ratzinger noch zurücktreten, er sei erschöpft.

Georg Gänswein: Mit der Wahl zum Papst ist etwas passiert, was er weder angestrebt noch gewollt hatte. Aber ich bin überzeugt davon, daß dann, als er sich nach und nach in den Willen Gottes hineingefügt hat, die Amtsgnade in Person und Wirken sichtbare Spuren hinterlassen hat und hinterläßt.

Wie hatte er auf die Wahlentscheidung reagiert?

Gänswein: Ich kam in dem Moment hinzu, als die Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle, einer nach dem anderen, vor dem Papst knieten und ihm Treue und Gehorsam versprachen. Sein Gesicht war fast so weiß wie die neue weiße Soutane und der Pileolus auf dem Kopf. Er sah mächtig mitgenommen aus.

Niemand hielt es für möglich, daß nach einem »Jahrtausendpapst« wie Karol Wojtyla ein Nachfolger so schnell reüssieren könnte. Nun ist alles anders. Nicht nur, daß Benedikt XVI. doppelt so viele Besucher anzieht. Daß seine Schriften Millionenauflagen erzielen. Papst Ratzinger gilt inzwischen als einer der bedeutendsten Denker der Gegenwart. Und im Gegensatz zu seinem Vorgänger wird er bislang kaum kritisiert. Was hat er, was andere nicht haben?

Gänswein: Mit dem Papstsein ist natürlich eine größere Erreichbarkeit, eine größere Wirkungsmacht und auch eine größere Durchschlagskraft gegeben. Ein Kenner der römischen Szene sagte einmal während der Bayern-Reise des Papstes im vergangenen Herbst: “Johannes Paul II. hat die Herzen der Menschen geöffnet, Benedikt XVI. füllt sie." Da ist viel Wahres dran. Der Papst erreicht die Herzen der Menschen, er spricht sie an, aber er spricht nicht von sich, er spricht von Jesus Christus, von Gott, und das anschaulich, verständlich, überzeugend. Das ist es, was die Menschen suchen. Benedikt XVI. schenkt geistliche Nahrung.

Wollte Johannes Paul II., daß Kardinal Ratzinger sein Nachfolger wird?

Gänswein: Darüber wurde viel spekuliert. Ich weiß es nicht.

Es ist ruhiger geworden im Palazzo Apostolico. Benedikt XVI. hat die Zahl der Audienzen deutlich reduziert und selten Gäste zu Tisch. Ausgerechnet unter einem Deutschen wird weniger gearbeitet?

Gänswein: Es wird nicht weniger gearbeitet, sondern konzentrierter. Der Papst ist ein straffer, schneller Arbeiter. Dazu braucht er aber Zeit: zum Lesen, zum Studium, zum Gebet, zum Nachdenken, zum Schreiben. Das geht nur, indem man vieles strafft, manches verändert oder auch streicht, um des Wichtigeren willen.

Ein Papst kann Probleme mit der Kurie haben?

Gänswein: Ein Blick in die Geschichte sagt: Ja, das kann vorkommen. Eine Schwachstelle ist sicherlich die Indiskretion. Es ist leider so, daß es bezüglich Ernennungen, Erarbeitung von Dokumenten, disziplinärer Maßnahmen et cetera immer wieder poröse Stellen gibt. Das ist nicht nur ärgerlich. Darin liegt auch die Gefahr, daß von außen bewußt Einfluß ausgeübt werden kann, der Irritationen nach sich zieht. Ein anderer Punkt: Überall dort, wo, wie in der römischen Kurie, eine internationale Besetzung am Werk ist, gibt es unterschiedliche Mentalitäten, Arbeitsstile, Vorstellungen, Tempi und persönliche Charaktere, die aufeinandertreffen. Manchmal kann das auch zum Funkenschlag führen.

Ist der Papst überhaupt Herr der Prozesse?

Gänswein: Zweifeln Sie daran? Der Papst empfängt in den Audienzen regelmäßig seine wichtigsten Mitarbeiter, Tag für Tag, Woche für Woche. Darüber hinaus kommen die Behördenchefs in regelmäßigen Abständen in Audienz. Damit ist institutionell nicht nur der notwendige persönliche Kontakt, der nötige Informationsfluß garantiert, sondern auch ein Austausch, der für beide Seiten unerläßlich ist. Der Papst hört zu, holt Rat, bedenkt, entscheidet.

Joseph Ratzinger ist schnell im Studieren von Akten.

Gänswein: Blitzschnell, und er hat ein Elefantengedächtnis.

Einige kritisieren, der Papst befinde sich in einer Art splendid isolation, einem goldenen Käfig. Es gebe kein Herankommen an ihn.

Gänswein: Das ist Unsinn. Jeden Vormittag finden Privataudienzen statt, nachmittags dann die Arbeitstreffen mit den engsten Mitarbeitern. Und das an sechs Wochentagen. Darüber hinaus gibt es viele Begegnungen innerhalb und außerhalb der vatikanischen Mauern. Goldener Käfig? Ach was! Mag ja auch sein, daß sich dahinter eine Kritik an mir verbirgt. Daß ich den Papst zu stark abschirme. Gänzlich übertrieben.

Er ist im Grunde ein schüchterner Mensch. Gleichzeitig hatte er immer etwas Unbequemes an sich, eine Widerspenstigkeit gegen das allzu Gängige, gegen die Dummheit.

Gänswein: Daß der Heilige Vater kein draufgängerischer, sondern ein zurückhaltender Mensch ist, kann jeder wahrnehmen.

Alle seine wichtigen Texte schreibt der Papst selbst, auch die Rede von Regensburg mit dem umstrittenen Zitat aus einem historischen Buch über einen Disput mit den Muslimen. Warum hat den Text niemand gegengelesen?

Gänswein: Ich halte die Regensburger Rede, so wie sie gehalten wurde, für prophetisch.

Die päpstliche Familie im Palazzo Apostolico ist die berühmteste und einflußreichste WG der Welt: vier Frauen, die den »Memores«, der Gemeinschaft Comunione e Liberazione, angehören, zwei Sekretäre, der Papst. Sie beten zusammen, essen zusammen und schauen abends im Wohnzimmer gemeinsam fern. Wie ist Benedikt XVI. als Wohnungsgenosse?

Gänswein: Die päpstliche Familie ist in der Tat eine frohe internationale Wohngemeinschaft: zwei Deutsche, ein Pole und vier Italienerinnen, die sich vorher so gut wie nicht kannten. Erster wichtiger Schritt war es, einen Modus vivendi zu finden. Das richtige Wort, das richtige Geben, das richtige Nehmen, Schweigen, Nichtschweigen. Schon nach kurzer Zeit hat sich eine sehr herzliche familiäre Atmosphäre entwickelt. WG-Sprache ist Italienisch. Der Papst ist schließlich Bischof von Rom. Kleine Korrektur, was das gemeinsame Fernsehen betrifft: Das ist pure Phantasie; der Heilige Vater und die beiden Sekretäre schauen sich abends höchstens die Nachrichten gemeinsam an.

Was kann dieses Pontifikat bewirken?

Gänswein: Glaubensstärkung und Glaubensermutigung - und das Bewußtsein, daß der katholische Glaube etwas Großes ist, ein Geschenk Gottes, das aber nicht aufgezwungen wird, sondern freiwillig angenommen werden will. Dabei gibt es aktuelle Herausforderungen, denen sich die Kirche zu stellen hat.

Zum Beispiel?

Gänswein: Die Gottesfrage, die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen des Relativismus, der Dialog mit dem Islam, die Stärkung der eigenen Identität. Die Tatsache, daß ein Kontinent wie Europa nicht leben kann, wenn man ihm die christlichen Wurzeln abschneidet, denn damit nimmt man ihm die Seele.

Die Ankündigung der “vollen und sichtbaren Einheit" mit den orthodoxen Kirchen war die erste Sensation der Regierung Ratzinger. Ist das nicht eine ziemlich illusorische Vorstellung?

Gänswein: Das ist doch keine Sensation, das ist ein erklärtes Ziel von jeher. Daß ein Papst, der gerade in diesem Bereich die letzten Jahre und Jahrzehnte theologisch stark mitgeprägt hat, diese Absicht ausdrücklich formuliert, ist geradezu selbstverständlich. Vergessen wir nicht, daß die orthodoxen Kirchen in der apostolischen Sukzession stehen und damit ein gültiges Amt und die Eucharistie haben, ebenso die sieben Sakramente. Klärungsbedürftig ist die Frage nach dem Primat und der Jurisdiktion des Papstes. Aber es ist ein Skandal, daß die Christenheit noch immer gespalten ist. Die Wiederherstellung der vollen Einheit im Glauben ist ganz gewiß ein großes Ziel des Theologen-Papstes.

Wird Papst Benedikt das Papsttum zugunsten der Einheit umbauen?

Gänswein: Die Frage ist falsch gestellt. Ökumene kann nicht auf Kosten der Wahrheit betrieben werden. Ein Papst kann das Papsttum nicht einfach umbauen, um bestimmte Ziele schneller zu erreichen. Es geht darum, daß das Papsttum hilft, dem Anspruch der Wahrheit im Hinblick auf die Einheit gerecht zu bleiben.

Bereits 6 Wochen nach Erscheinen hatte das Jesus-Buch des Papstes eine Auflage von 1,5 Millionen erreicht. Man hat das Gefühl, der Papst zieht sich diesen Jesus förmlich neu an.

Gänswein: Das Jesus-Buch ist die Quintessenz eines Mannes, der sich als Priester, Theologe, Bischof, Kardinal und nun als Papst sein ganzes Leben mit der Gestalt Jesu von Nazareth beschäftigt hat. Es ist ein großes geistliches Vermächtnis.

Was schätzen Sie besonders an dem Werk?

Gänswein: Ich bin gerade dabei, es ein weiteres Mal zu lesen. Es ist ebenso tief wie verständlich geschrieben. Es ist die Lebenssumme einer bedeutenden Persönlichkeit. Das Werk reiht sich ein in die Tradition der großen Kirchenväter. Ich bin überzeugt, daß dieses Buch viele Menschen im Glauben stärkt und zum Glauben führt, und zwar nicht nur eine bestimmte intellektuelle Schicht, sondern Menschen aller Herkunft und Bildung.

Das Gespräch hat Peter Seewald geführt. Auszug aus einem Interview im SZ-Magazin (Juli 2007).

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