VISION 20005/2007
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Große Unterschiede in der Sichtweise

Artikel drucken Wie Katholiken und Protestanten die Kirche sehen

Vor einigen Wochen hat ein Vatikan-Papier zum Status der katholischen Kirche für einige Aufregung gesorgt. Wie ist das Papier in der Schweiz aufgenommen worden?

Bischof Kurt Koch: Dieses Dokument ist in der Öffentlichkeit auch von katholischer Seite zum großen Teil falsch verstanden worden, nämlich als Absage an die Ökumene und nicht als Selbstvergewisserung der katholischen Kirche und ihres eigenen Verständnisses. Diese Reaktionen und vor allem die Stellungnahmen von protestantischer Seite haben aber die Sinnrichtung des Dokumentes bestätigt. Sie haben gezeigt, daß sich das reformierte und das katholische Kirchenverständnis maßgeblich unterscheiden und daß es in der Ökumene glaubwürdig nur weitergehen kann, wenn wir endlich über das unterschiedliche Kirchenverständnis miteinander ins Gespräch kommen.

Können Sie skizzieren, was das katholische Kirchenverständnis von dem der Protestanten unterscheidet?

Koch: Das protestantische Kirchenverständnis hat sein Gravitationszentrum in der Gemeinde vor Ort, und zwar in dem Sinne, daß die Kirche Jesu Christi in der konkreten, um Wort und Sakrament versammelten Gottesdienstgemeinschaft gegenwärtig ist. Die Gemeinde ist folglich die prototypische Realisierung von Kirche. Demgegenüber versteht sich die katholische Kirche bewußt als Weltkirche, die in und aus den verschiedenen Ortskirchen, nämlich den Bistümern besteht. Daraus ergibt sich ein zweiter grundlegender Unterschied: Nach protestantischem Verständnis ist die eine Kirche Jesu Christi unsichtbar, und für ihr Wesen ist allein die Verkündigung des Evangeliums und die Spendung der Sakramente grundlegend. Die amtliche Verfassung der Kirche gehört deshalb nicht zur göttlichen Ordnung, sondern ist allein eine Frage der menschlichen Gestaltung. Für die katholische Kirche hingegen ist die apostolische Dimension, wie sie im Weihesakrament zum Ausdruck kommt, für das eigentliche Wesen der Kirche grundlegend. Das Bischofsamt ist folglich nicht einfach Ausdruck einer möglichen Amtsstruktur, sondern es ist für die katholische Kirche unabdingbar. Darin gründet die sakramentale Grundstruktur der katholischen Kirche.

Im Vorwort Ihres jüngsten Buche “Die Kirche Gottes" sprechen Sie von einer gegenwärtigen Krise der Kirche. Worin liegt diese Ihrer Meinung nach begründet?

Koch: Die Krise der Kirche besteht in ihrer Selbstsäkularisierung in dem Sinne, daß sie weithin nur noch als weltliche Institution, aber nicht mehr als Werk Gottes gesehen wird. Diese Krise ist aber zutiefst eine Krise des christologischen Glaubens, die in unseren Breitengraden weit verbreitet ist. Wenn nämlich in Jesus nur noch ein exemplarischer Mensch und nicht mehr der Sohn Gottes gesehen wird, dann kann die Kirche nur noch als soziologische Organisation wie viele andere gesellschaftliche Institutionen auch, aber nicht mehr als sakramentaler Organismus, nämlich als Leib Christi wahrgenommen werden.

Viele Menschen - auch zahlreiche getaufte Katholiken - führen den Slogan “Glaube ja, Kirche nein" im Mund. Was entgegnen Sie diesen Menschen?

Koch: Diese Entgegensetzung ist zutiefst unbiblisch und deshalb unchristlich. Bereits nach jüdischer Überzeugung gehört zum Kommen des Reiches Gottes unlösbar die Sammlung und Reinigung der Menschen für dieses Reich. Von daher bestand auch die Intention des Lebens und Wirkens Jesu darin, das endzeitliche Gottesvolk zu sammeln, wie dies Jesus vor allem mit der Berufung der zwölf Apostel als der Stammväter des neuen Volkes zum Ausdruck gebracht hat. Jesus als Verkünder des Reiches Gottes und die Kirche als Sammlung für dieses Reich lassen sich nicht trennen, wie dies bereits Tertullian im 4. Jahrhundert ausgesprochen hat: “Ein Christ ist kein Christ." Daß Christsein und Leben mit der Kirche eng zusammengehören, bringen wir im Apostolischen Glaubensbekenntnis zum Ausdruck, in dem wir die “heilige katholische Kirche" bekennen.

Das Gespräch hat Andreas Laska geführt.

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