Die Presse hat im Vorfeld des Papstbesuches am 1. September eine Umfrage über die Situation des Glaubens in Österreich veröffentlicht: in vieler Hinsicht unerfreulich, aber wert, bedacht zu werden.
Zunächst eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse - aus der Sicht der Wiener Tageszeitung. Da wird zunächst hervorgehoben: “Christentum und katholische Kirche genießen einige Sympathie, ecken wenig an, sind dem Großteil eher egal" - egal sogar den meisten Katholiken. Am besten an der Kirche gefielen den Befragten die Vermittlung überlieferter Werte und Traditionen. Die Kirche erscheine als Garant für Bürgerlichkeit, so der für die Umfrage verantwortliche IMAS-Chef Andreas Kirchhofer.
Was die religiöse Praxis anbelangt, heißt die Diagnose: Tendenz fallend, etwa bei Kirchgang und Gebet. Und: Wenig Übereinstimmung, wenn es um Glaubensinhalte geht: Nur jeder zweite Katholik glaubt an Gott, nur jeder dritte an die Göttlichkeit und die Auferstehung Christi. Und ganz schlecht sieht es aus, wenn es um Fragen der konkreten Lebensgestaltung geht: viel Dissens in Fragen von Abtreibung, Empfängnisregelung, Zölibat...
Bleibt noch festzuhalten, daß die Jungen unter den Befragten die größte Kirchenferne aufweisen (nur 3% Kirchgänger) und daß die politisch “grün" orientierten am wenigsten mit der Lehre der Kirche anfangen können. Dementsprechend der Titel des Artikels: “Die Kirchenferne ist jung und grün", was suggeriert: Jene, die unsere Zukunft gestalten werden, und jene, die einen Blick für die Zeichen der Zeit haben, haben - salopp formuliert - nichts mit dem Glauben am Hut.
Eine Diagnose, die man nur resignierend zur Kenntnis nehmen muß? Gehen die Entwicklungen schonungslos und unaufhaltsam über uns hinweg? Sind Katholiken bald nur noch eine vernachlässigbare Minderheit, die aufpassen muß, nicht zur “sektoiden Minderheitskirche" zu degenerieren, wovor der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner im Presse- Interview warnt? Oder gibt es doch Lichtblicke im Datenmaterial und wichtige Lehren aus ihm zu ziehen? Ein Versuch sei im folgenden unternommen.
Erste Bemerkung: Die Tatsache, daß die Kirche vielen sympathisch ist, sollte nicht in Sicherheit wiegen. Ist nicht die Frage berechtigt: Rührt die Sympathie vielleicht daher, daß sich Hirten und Laien - jedenfalls im deutschsprachigen Raum - allzu oft bemühen, nur ja nicht anzuecken? Und handeln wir uns damit nicht ein, daß “Christentum und Kirche" vielen “eher egal sind"? Auch daß die Kirche sehr vielen als “Garant für Bürgerlichkeit" erscheint, ist kein Plus. Ist das ihre Berufung? Hat sie nicht ein größeres Zeugnis?
Lehren lassen sich wiederum aus der Formulierung mancher Frage ziehen: “Was halten Sie für glaubhaft?", lautet die Formulierung, wenn Inhalte des Glaubens abgefragt werden. Diese Formulierung vermittelt einen aus christlicher Sicht komplett falschen Glaubensbegriff: Glaube als ein “Für-möglich-Halten", das Nebeneinander gleichwertiger Sichtweisen, die nicht ganz von der Hand zu weisen sind.
Die Tatsache, daß so gefragt wird, macht deutlich, wie wenig Ahnung die IMAS-Leute - aber sicher nicht nur sie - davon haben, was der Glaube für Christen eigentlich bedeutet: Daß es da um eine Frage auf Leben und Tod geht, um die Verankerung des eigenen Lebens in Jesus Christus, daß der Christ eine neue Schöpfung ist, in der Taufe der Sünde gestorben und mit Christus zu neuem Leben auferstanden.
Wenn IMAS die Frage so stellt, ist das allerdings eine Anfrage an uns Katholiken: Treten wir in der Öffentlichkeit so auf, als ginge es beim Glauben wirklich ums Ganze, als hänge von dieser Entscheidung alles ab? Tragen wir ausreichend dazu bei, daß die Menschen rund um uns in dieser lebensentscheidenden Frage die richtige Antwort finden? Oder neigen nicht gerade Katholiken dazu, dieses Werben den “Experten", Priestern und Bischöfen, zu überlassen? Hört man dann evangelikale Christen über ihren Glauben reden, finden viele das fast peinlich: Glaube - viel zu intim! Eine Haltung, die es zu revidieren gilt.
Ähnlich zu denken geben sollte die Frage “Stimmen Sie mit den Ansichten des Papstes überein?" - die “Ansichten" des Papstes quasi als Privatmeinungen, denen man als Katholik durchaus andere Ansichten entgegenhalten könne. Kein Wunder, daß so gefragt wird, müssen die nicht endenden Debatten über die “heißen Eisen" doch in der Öffentlichkeit diesen Eindruck erwecken. Wie sollen der Kirche Fernstehende erkennen, daß der Papst - nach ausführlicher Beratung - in wichtigen Fragen Wege des Lebens weist und mit der ihm zustehenden Autorität lehrt, wenn weite Kreise der Kirche unbeirrt ihre eigenen Lehren verkünden? Wieviel Dissens ist allein in die Berichterstattung des ORF anläßlich des Papstbesuchs eingeflossen!
Noch etwas ist auffallend in der Befragung: daß sich ein Großteil der Fragen auf die Kirche konzentriert: “Beschreiben Sie Ihre Einstellung zur Kirche", “An der Kirche gefällt mir..., stört mich". Dadurch wird das Institutionelle überbetont, die “Performance" einer öffentlichen Einrichtung abgefragt: die Kirche auf einer Ebene mit Interessenvertretungen. Daß es um den Glauben an Jesus Christus geht, kommt in der Befragung nur am Rande vor.
Weist diese Sichtweise nicht auf ein Defizit hin, an dem wiederum wir Christen nicht ganz unschuldig sind? Wir reden zu wenig von Jesus Christus und unserer Freude an Ihm. Er ist ja der Grund dafür, daß wir uns zur Kirche bekennen. Aber das dringt zu wenig in die Öffentlichkeit - vielleicht auch, weil es uns selbst zu wenig bewegt.
Wenn Paul Zulehner kritisiert: “Die Kirchen haben noch nicht die Instrumente gefunden, um mit einer skeptisch-wählerischen, selbstbestimmten Generation in schöpferischen Dialog einzutreten", klingt das leider auch sehr institutionsbezogen. Da fragt man sich unwillkürlich: Welche Instrumente meint er denn? Bedarf es neuer Techniken, moderner Methoden? Ich habe da so meine Zweifel, umso mehr, wenn ich lese, wovon sich der Pastoraltheologe den Durchbruch erhofft. Die Zukunft der Kirche entscheide sich seiner Ansicht nach an der Beantwortung der Frage: “Hat der einzelne Mensch eine starke religiöse Energie, betet er, meditiert sie, übersetzt sich das in eine Neugier auf das Evangelium: Trägt diese religiöse Energie auch in eine tiefreligiöse Gemeinschaft hinein? Nur so kann sich die Kirche aufbauen, aus der inneren Kraft der einzelnen."
“Religiöse Energie" - klingt ebenfalls sehr technisch. Und: Was ist das überhaupt? Auch wenn von “innerer Kraft der einzelnen" die Rede ist, klingt das recht vage. Wäre es nicht klarer, von der Offenheit für das Wirken des Heiligen Geistes zu sprechen? Die erwähnten “Instrumente" sind schlicht und einfach vom Geist Gottes bewegte Menschen. Was Österreich, was Europa dringend braucht, ist das Zeugnis der Christen, daß sie den vergrabenen Schatz, die einmalig schöne Perle, den Glauben an Jesus Christus, der alles verändert, gefunden haben.
Gott sei Dank kommt der Pastoraltheologe im Presse-Interview auch darauf zu sprechen, wenn er fordert: “Nur wenn es die Kirche schafft, eine Kirche von jungen Menschen zu bauen, wo junge Leute unter ihresgleichen zu Missionaren werden, wird sich die nächste Kirchengeneration erholen." Endlich klare Worte. Ja, Christen müssen missionarisch werden, sich von Paulus inspirieren lassen, der sagt: “Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!" (1Kor 9,16)
Mission! Ich denke, wenn wir aus dieser und anderen Umfragen zum Thema Glauben etwas lernen können, dann ist es folgendes: Österreich ist Missionsland. Das “christliche" Europa ist Missionsland. Papst Johannes Paul II. hat von der Neuevangelisierung Europas gesprochen.
Für eine solche Neuevangelisierung sind jedoch - nimmt man die Umfrageergebnisse her - die Voraussetzungen in Österreich gar nicht schlecht. Die folgenden Werte lassen das erkennen: In die Kirche gehen regelmäßig 643.000 Katholiken, 2,1 Millionen halten das Gebet für wichtig, 1,1 Millionen beten regelmäßig, 960.000 sogar häufig. 1,7 Millionen glauben, daß Jesus Gottes Sohn und von den Toten auferstanden ist und 900.000 halten den Papst für sehr wichtig (mehr als die der angeblichen Unterschriften für das Kirchenvolksbegehren). Das ist doch keine verschwindende Minderheit!
Man denke daran, daß nur 10 Gerechte gereicht hätten, um den Untergang von Sodom zu verhindern. Da müßten doch 643.000 Katholiken etwas in unserem Land bewegen können!
Daher: Nicht gebannt und verzagt auf Trends schauen. Prognosen wie die der Demographin Anne Goujon von der Akademie der Wissenschaften: “Wenn die Trends so weitergehen wie bis jetzt, könnte der Katholikenanteil in Österreich 2051 nur mehr bei 50 Prozent liegen," sind eben “Wenn-Dann-Aussagen". Sie beschreiben nicht naturgesetzlich ablaufende Prozesse. Sie schreiben Trends einfach fort. Was aber hindert uns daran, eine Trendänderung herbeizuführen? Ich denke, vor allem unser Kleinmut. Aber wer - wenn nicht die Christen - soll denn dem lebensmüden Europa Hoffnung geben?
Noch einmal: Mehr als eine halbe Million Österreicher feiern Sonntag für Sonntag Eucharistie, hören das Wort Gottes, Hunderttausende empfangen den Leib Christi und werden als Tempel des Heiligen Geistes nach dem Schlußsegen ausgesandt, weiterzuerzählen, was der Herr in dieser Begegnung Großes an ihnen gewirkt hat. Vom Gleichnis des Samenkorns her wissen wir, daß dort, wo das Wort auf fruchtbaren Boden fällt, es bis zu hundertfache Frucht bringt. Welche Perspektive! Und welche Herausforderung, den eigenen Boden zu bereiten!
Christof Gaspari