VISION 20006/2007
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Franz Jägerstätter, ein Thomas Morus unserer Zeit?

Artikel drucken Ideologien damals und heute (Von Martin Kugler)

Wenn wir heute über den Beginn der Nazizeit lesen oder hören, dann erschreckt uns die weit um verbreitete “Volksblindheit" dieser Jahre. Und zugleich rührt sich dann oft ein nachdenklicher Gedanke über Formen der Volksblindheit heute.

Ist es übertrieben, solche Parallelen zu ziehen? Vieles an den damaligen Verbrechen und Wahnideen kann man sicherlich nicht vergleichen, aber wer, wenn nicht die Christen, sollte hellhörig sein gegenüber den Ideologien eines “Zeitalters nach den großen Ideologien"?

Johannes Paul II. zählte neue Arten des Martyriums neben Tod und Gefängnis auf: “Raffiniertere Strafen", nennt er sie, etwa soziale Diskriminierung oder subtile Freiheitseinschränkungen, die “eine Art zivilen Todes" bedeuten können. Auch ein materialistisches oder religiös gleichgültiges Klima, das alle geistigen Bestrebungen erstickt, könne den Gläubigen viel Mut abverlangen, einen klaren Blick zu bewahren, treu zu bleiben und ihre Freiheit gut zu gebrauchen.

Was hätte Franz Jägerstätter zu den versteckten Ideologien und offensichtlichen Tabus unserer Zeit gesagt?

Ich denke, als erstes hätte er uns erklärt, warum er selbst eine so “ungewöhnlich klare Einsicht in die verbrecherische und anti-christliche Natur des nationalsozialistischen Regimes" (Militärbischof Werner) hatte: Weil er viel betete und beständig katholische Bücher und Zeitschriften las, um das, was aus unserer Sicht so eindeutig ist, zu analysieren und zu verstehen. Um wie viel mehr müssen wir heute lesen, uns fortbilden, versuchen zu verstehen!

Was hätte er heute gesehen? Eine Gesellschaft ohne bewußte Identität und gemeinsames Ziel. Eine Gesellschaft, die an die Abschaffung alles Vorgegebenen glaubt, sich aber nicht die Frage stellt, was dann kommt. Eine Gesellschaft, die Freiheit sucht, indem sie Altbewährtes über Bord wirft und die zugleich eine In-Frage-Stellung dieses Ausverkaufs verbietet.

Religion wird als Last empfunden und Religionsfreiheit als Freiheit von der Religion - anstatt für sie. Familie wird als Ort der Gewalt und Unterdrückung gesehen. Geschlecht wird als aufgesetzte Rolle empfunden, von der man sich lösen sollte.

Jägerstätter ging es nicht um Widerspruch oder Rechthaberei. Der Konflikt kam zu ihm - nicht er zum Konflikt. Auch wir sollen innerhalb der gesellschaftlichen Diskussion so viel wie möglich beitragen. Wir können einzelnen helfen, zu verstehen. Wir können langfristig zu einem Umdenken in der Gesellschaft beitragen. Wenn wir zu einem Punkt kommen, wo uns das Gewissen verbietet mitzumachen, wenden wir uns traurig ab: “Non possumus," sagen wir dann, wie schon viele in der Geschichte vor uns. “Non possumus non parlare di Gesù Cristo!" sagten unsere Glaubensbrüder im Kulturkampf des 19.Jh. - Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben, sagten Petrus und Johannes in der Apostelgeschichte (4,20) zu den Hohen Priestern, die über sie Gericht hielten. “Sine dominico non possumus," - ohne den Sonntag, ohne den Herrn am Sonntag zu feiern, können wir nicht leben, sagten die ersten Christen und nahmen die Todesstrafe in Kauf. Und mit ganz ähnlichen Worten drückten es z.B. die polnischen Bischöfe gegenüber dem kommunistischen Regime aus und nahmen die Verfolgung der Kirche in Kauf.

Das “Non possumus" beinhaltet etwas sehr Menschliches: “Ich weiß, daß ihr es nicht versteht. Ich würde auch lieber sagen können, daß es mir nicht so wichtig ist. Aber ich fürchte Gott mehr als die Menschen und darf deswegen in dieser Frage keinen Kompromiß eingehen. Die Konsequenzen muß ich deshalb erleiden."

Dies, glaube ich, war Jägerstätter's Einstellung. In einigen Fragen von heute müßte es auch die Einstellung der Kirche sein.

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