In einer seiner Katechesen beschreibt der Wiener Erzbischof das Spannungsfeld, in dem der Christ steht: die Autorität der Obrigkeit anzuerkennen, ohne sich dieser zu unterwerfen. Im folgenden ein Auszug aus dem Vortrag.
Das Reich Gottes, das Jesus ankündigt, ja, das mit ihm kommt, kommt nicht als Auszug aus der Welt, als radikale Scheidung von einer für böse gehaltenen Welt, sondern es beginnt zuerst einmal mit einer ganz erstaunlichen Unterwerfung unter die bestehenden Machtverhältnisse.
Maria, die gesegneten Leibes war, zieht mit Josef nach Bethlehem, um sich eintragen zu lassen in die Steuerlisten, weil Kaiser Augustus sein ganzes Reich, das riesige römische Reich, aufzeichnen läßt: Volkszählung, Steuerlisten des Kaiser Augustus. Jesus erscheint in der Geschichte mit der Unterordnung unter diese politische Autorität. So wird er Sein ganzes irdisches Leben hindurch sein, Er ordnet sich unter, Er zahlt die Steuern wahrscheinlich schon als Berufstätiger - es gab damals noch keine Mehrwertsteuer, aber er hätte sie sicher auch gezahlt für das, was er an Rechnungen für seine Arbeit als Zimmermann gestellt hat - Er zahlt die Tempelsteuer, aber auch die Steuer an den Kaiser, also sozusagen den Kirchenbeitrag und die staatliche Steuer.
“Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist", ist das berühmte Wort Jesu und “Gebt Gott, was Gottes ist". Das sagt er als Antwort auf die Frage, ob es erlaubt sei, dem Kaiser Steuern zu zahlen, und Steuern sind nun einmal der ganz konkrete Ausdruck dafür, daß man sich der staatlichen Autorität fügt. Noch vor Pontius Pilatus sagt Jesus, gar nicht dem Statthalter Roms, des Kaisers, widersprechend: “Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre. Du hast also Macht über mich, aber sie ist dir von oben gegeben."
(...) Jesus unterwirft sich, aber er unterwirft sich in Freiheit, und gerade deswegen wird er gefürchtet. Denn diese Freiheit verwirrt, sie macht auch einen Pontius Pilatus unsicher. Offensichtlich ist Jesus nicht nur dem Staat gegenüber gehorsam, es gibt eine höhere Loyalität, einen höheren Gehorsam, der über dem Kaiser steht, und der für ihn bestimmender ist als das, was der Kaiser gebietet, auch wenn er ihm gehorcht. Das ist der Wille seines Vaters: “Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, selbstverständlich und ohne Widerspruch. Und gebt Gott, was Gottes ist."
(...) Wir (sehen) schon von Anfang an etwas, was für den christlichen Weg grundlegend ist und bleiben wird, einerseits eine völlige, eine sehr weitgehende Loyalität dem Staat gegenüber, den Herrschern, denen, die Autorität haben, aber diese Autorität ist eine weltliche, sie wird nicht angebetet, sie wird nur anerkannt.
In den Märtyrerakten der Märtyrer von Scili in Nord-Afrika aus dem 3. Jahrhundert sagt eine einfache Christin, Donata, vor dem Richter, wo sie angeklagt ist, Christin zu sein - sie wird dann auch als Märtyrerin sterben: “Ehre dem Kaiser, weil er Kaiser ist, Anbetung nur Gott." Daher auch das selbstverständliche Beten für den Kaiser. Schon im neuen Testament die Aufforderung, für den Kaiser zu beten, also für die, die herrschen, und das wurde zu einer Zeit geschrieben, als Nero Kaiser war: man betet für den Kaiser.
(...) Im 13. Kapitel im Römerbrief lesen wir: “Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt. Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen." Denken wir, das ist zur Zeit des Kaisers Claudius etwa geschrieben, bald wird es die Neronische Verfolgung geben.
“Vor den Trägern der Macht hat sich nicht die gute, sondern die böse Tat zu fürchten," sagt Paulus weiter. “Willst du also ohne Furcht vor der staatlichen Gewalt leben, dann tue das Gute, so daß du ihre Anerkennung findest. Sie steht im Dienst Gottes und verlangt, daß du das Gute tust. Wenn du aber Böses tust, fürchte dich! Denn nicht ohne Grund trägt sie das Schwert. Sie steht im Dienst Gottes und vollstreckt das Urteil an dem, der Böses tut. Deshalb ist es notwendig, Gehorsam zu leisten, nicht allein aus Furcht vor der Strafe, sondern vor allem um des Gewissens willen. Das ist auch der Grund, weshalb ihr Steuern zahlt; denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Gebt allen, was ihr ihnen schuldig seid, sei es Steuer oder Zoll, sei es Furcht oder Ehre."
(...) Wie weit geht die Gehorsamspflicht, und wann tritt die Widerstandspflicht in den Vordergrund, gegen eine ungerechte Autorität, gegen eine ungerechte, vielleicht sogar unrechtmäßige Herrschaft? Von früh an mußten die Christen schon in der Tradition des jüdischen Volkes den Widerstand lernen, mußten lernen, sich zu verweigern, wo es um unsittliche Befehle, unsittliche Praktiken, ungerechte Gesetze ging. Ein beeindruckendes Beispiel sind die Soldaten der thebaischen Legion unter Mauritius, die sich, so sagt die Tradition, geweigert haben, einen ungerechten Befehl der militärischen Oberen auszuführen und Christen niederzumachen. Sie haben es vorgezogen, lieber selber ihr Leben zu lassen, als Unrecht zu tun.
Wo beginnt die Widerstandspflicht, wo endet die Loyalitätspflicht? Ein Thema, das immer wieder in der Geschichte auftaucht, bis hinein zu dramatischen Gewissensfragen. Ein Thomas Becket und ein Thomas Morus seien nur genannt, ein Maximus Confessor, der Mönch, der im letzten dann fast alleine Widerstand geleistet hat gegen eine häretische Religionspolitik des oströmischen Kaisers, der sich in der letzten Phase, selbst vom Papst verlassen glauben mußte, auch wenn er es de facto nicht war, und der in dieser Einsamkeit am Bekenntnis des wahren Glaubens festgehalten hat gegen alle weltliche und kirchliche Autorität, die ihn zum Gehorsam nötigen wollte.
Ein Franz Jägerstätter gehört hierher, der einsam den Weg einer Gewissensentscheidung gegangen ist, und der den Kriegsdienst verweigert hat, nicht um die anderen, die diesen geleistet haben, zu verurteilen, sondern um dem zu folgen, was er im innersten seines Gewissens gesehen hat, daß er nicht dem Dritten Reich und dem Reich Christi zugleich dienen kann.
Aber alle die Genannten waren ganz loyale Staatsbürger, sie waren keine Revolutionäre, sie haben ganz und gar im Sinne von Römerbrief Kapitel 13 gelebt. Franz Jägerstätter hat ganz klar und deutlich gesagt, er wäre bereit, für Österreich auch die Waffen zu tragen, um es zu verteidigen, aber nicht für das Dritte Reich. Alle kamen sie in Situationen, in denen sie das Nein als den einzig gangbaren Weg sahen, um Christus und ihrem Gewissen zu folgen. Viele von ihnen taten es in der Form des Martyriums, und es hat zahllose in unserem Jahrhundert gegeben, wir beginnen jetzt auch, dank des Martyrologiums des 20. Jahrhunderts, deutlicher zu sehen, wie viele es waren.
Aber das ist nicht unbedingt unsere Alltagssituation. (...) Meistens spielt sich unser christliches Leben in einem Alltag ab, in dem es mühsam darum geht, Prioritäten zu setzen, um Prioritäten zu ringen. Wo es um den politischen Kampf um Interessensgruppen geht, um die rechtliche und politische Ausnützung dieser Interessen. Wo es um das Spiel von ideologischen Richtungen geht, die in ganz konkreten Fragen miteinander im Konflikt liegen, im Schulbereich, im Familienbereich, im wirtschaftlichen Bereich. Wie Christsein in diesem ganz alltäglichen, politischen Geschäft, entweder als aktiver Politiker oder aber auch als politisch mitverantwortlicher Bürger. Gerade hier spielt sich am meisten der politische Alltagskampf ab.
Daß es hier auch zu kämpfen gilt, ist nur zu offensichtlich. Freilich, es ist uns nicht immer angenehm, und es ist gar nicht so leicht, den richtigen Weg zu finden, wie ein solcher Kampf in loyaler, in fairer Weise auszusehen hat, auszufechten ist. Ich nenne nur einige Beispiele: der politische Kampf um die Fristenlösung, es ist offensichtlich zu einer politischen Niederlage der Gegner der Fristenlösung gekommen. Es ist offensichtlich, daß hier andere Gesichtspunkte, andere Weltanschauungen, andere ideologische Einstellungen sich politisch durchgesetzt haben. Es ist uns allen klar, daß es in diesem Fall berechtigt war, politisch für die Sicht der Kirche, für die Sicht der christlichen Weltanschauung zu kämpfen, mit allen loyalen Mitteln, die uns in einer Demokratie zur Verfügung stehen. Es ist offensichtlich, daß diese Art von Kampf auch zum politischen Leben gehört. Freilich auch, und da ist es ja so besonders schwierig, daß zum politischen Leben auch der Kompromiß gehört, daß es in einer pluralistischen Gesellschaft ganz selten möglich ist, daß sich eindeutig eine klare Linie, und nur sie, durchsetzt. In den meisten Bereichen sind es Kompromisse, die mühsam errungen, und die meistens nicht stabil sind.
Aber es gibt auch Grenzen, jenseits derer kein Kompromiß mehr möglich ist. Wann ist diese Grenze erreicht? Haben wir uns vielleicht zu früh mit Kompromissen zufrieden gegeben, wo es eigentlich um Grenzen ging, die nicht zu akzeptieren sind? Entscheidend wichtig ist, daß sehr oft die Kunst der Politik im Erreichen von kleinen Schritten besteht, kleinen Schritten in die gute Richtung. Mit viel Geduld, mit nüchternem Wissen um die Erbsündlichkeit des Menschen, aller Beteiligten, auch unserer eigenen Erbsündlichkeit. Das heißt, daß wir immer auch in diesen Auseinandersetzungen nicht nur lautere Motive einbringen, sondern daß im politischen Leben wie auch im persönlichen Zusammenleben viele andere Motive mit herein spielen neben ganz lauteren.
(...) Was wir wohl als Christen viel mehr, viel bewußter lernen müssen, ist eben dieser unaufgeregte, loyale Kampf im Erreichen kleiner Schritte, hin zum größeren Guten. Ohne Wehleidigkeit, in der Bereitschaft den gesellschaftlichen und politischen Pluralismus, in dem wir leben, anzunehmen, nicht darüber zu jammern, sondern ihn als Chance zu sehen, die Sicht des Evangeliums einzubringen, sie umzusetzen, freilich nicht von oben herab, und auch nicht bloß in Begeisterung, sondern gepaart mit seriösem Wissen. Auch gepaart mit der Bereitschaft einzusehen, daß in vielen, sehr vielen Fragen auch Christen verschiedene Standpunkte haben können, berechtigterweise, und daß es ganz und gar nicht immer selbstverständlich und leicht ist, alles auf einen christlichen Nenner zu bringen.
Ich nenne noch ein Beispiel: so klar und eindeutig es ist, daß Abtreibung zutiefst der Menschenwürde und den Menschenrechten, nämlich dem Recht auf Leben, widerspricht, so schwierig ist es bei der heute bestehenden Legislation, der heute bestehenden Gesetzeslage, ganz konkrete Verbesserungen in die Gesetzgebung zum Lebensschutz einzubringen, sie auch nicht nur zu entwerfen, nicht nur zu sehen, sondern auch Wege zu finden, wie sie durchzusetzen sind. Und wir sind aufgefordert, hier viel offensiver, viel kreativer zu werden, um als Christen in dieser pluralistischen Gesellschaft unsere Sicht einzubringen.
Kardinal Christoph Schönborn
Auszug aus “Der Christ und die Politik", Katechese am 19.03.2000