Brian Kolodiejchuk MC, Postulator des Seligsprechungsprozesses von Mutter Teresa, hat sich da auf ein mutiges Unterfangen eingelassen. Mutig ist diese Veröffentlichung der Briefe der seligen Teresa von Kalkutta allein schon deswegen, weil Phänomene des intimsten spirituellen Lebens einer Heiligen vor den Augen von Millionen, keineswegs theologisch geschulten Gläubigen, Anders- und Ungläubigen enthüllt werden. Enthüllt werden sie eigentlich von Mutter Teresa selbst - handelt es sich doch bei dieser Neuerscheinung um eine sehr sensible und kluge Übersetzung ihrer eigenen Briefe.
Die wissenschaftliche Klarheit, mit der uns Fr. Brian Kolodiejchuk ein einzigartiges mystisches Phänomen vorstellt, macht dieses Buch so lesenswert. Es ist nämlich keineswegs einfach, das Phänomen der “Dunkelheit, Nacht der Seele" zu beschreiben, auch wenn es sich dabei um ein bekanntes Phänomen der christlichen Mystik, das sehr ausführlich bei Johannes vom Kreuz beschrieben ist, handelt.
Es dient der passiven Läuterung, also der spirituellen Reinigung und dem Wachstum des Gläubigen. Dort, wo der Mensch sich nicht durch eigene Anstrengung selbst weiterbringen könnte, übernimmt es Gott und gibt dem Menschen die Möglichkeit, diesem manchmal sehr schmerzhaften Weg zuzustimmen. Dadurch kommt er Gott so nahe, daß er an Seinem erlösenden Leiden teilnehmen kann.
“Wenn dieser Zustand wirklich eine ,Nacht der Sinne' ist," schreibt Fr. Kolodiejchuk im Buch, “und nicht die Frucht von Mittelmäßigkeit, Trägheit oder Krankheit, dann erfüllt einer weiterhin treu und großzügig seine Pflichten..." “Auch wenn man keine Tröstungen mehr verspürt, fühlt man eine starke Sehnsucht nach Gott." In einem ihrer Briefe fragt sich Mutter Teresa, was für sie der größere Schmerz war: die Empfindung der Gottferne oder die brennende Sehnsucht nach Ihm. Jedenfalls hat die Gottferne Mutter Teresa nicht zur Atheistin, sondern zur Heiligen gemacht.
Es bleibt zu sehen, ob dieses Buch nicht weit über alle Erwartungen hinaus von breiten Kreisen einfacher Menschen verstanden wird, da es eine Lebenswirklichkeit beschreibt, die sie erleben. Wenn wahr ist, was Mutter Teresa nicht müde wurde zu wiederholen: “Heiligkeit (und folglich auch der Weg dorthin) ist nicht der Luxus weniger, sondern die einfache Berufung von dir und mir, wir sind alle dazu geschaffen, heilig zu werden", dann wird dieses Buch ein Klassiker volksnaher Mystik, das vielen Trost und Licht spenden kann.
Die Phänomene des spirituellen Lebens der seligen Teresa zeigen - erstmals für ein weltweites Publikum - die Freuden, die göttlichen Hilfen und besonders die verborgenen Leiden der Heiligen auf ihrem Lebensweg.
Vielleicht liegt in diesem Buch auch noch ein weiterer verborgener, besonders wichtiger Schatz für unsere Tage. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft und fast alles hat seinen “Cash value" (Geldwert). Ein wichtiger Teil des Geheimnisses von Mutter Teresa war es, daß sie Ihn alles machen ließ und auch Ihm die Ehre und den Dank für den Erfolg zuschrieb: “It's His work" (Es ist Sein Werk). Würde eine solche Christozentrik nicht das Angesicht Europas und der Welt wandeln?
Historisch betrachtet werden die drei wichtigsten Etappen ihres Lebens eingehend beschrieben und großteils durch ihre eigenen Schriften und Briefe dokumentiert: Die 20 Jahre als Lorettoschwester, Schullehrerin und Direktorin gehen der “Berufung in der Berufung" voraus.
Mit 10. September 1946 beginnt für die Selige eine Serie von “Gesprächen mit Christus", der ihr klar Seinen Willen kundtut und den Sie nach kurzem Zögern aus ganzem Herzen umarmt. Es beginnt für sie eine Zeit des Wartens, der Unterscheidung.
In der dritten Etappe verläßt sie den Orden der Loretto-Schwestern und beginnt mit dem Aufbau der neuen Kongregation, der Missionarinnen der Nächstenliebe. Von da an steht ihr allerdings die schwierigste Prüfung bevor, die “Dunkelheit, Nacht der Seele". Sie ist überzeugt von ihrer Berufung, den Ärmsten das Licht des Glaubens zu bringen, und bereit den Preis für das Durchleben dieser neuen Berufung und dieser neuen Mission zu bezahlen.
In manchen Medien wurde die Frage aufgeworfen, ob es legitim sei, gegen den ausdrücklichen Wunsch einer Verstorbenen die, zeitlebens geheim gehaltenen Dokumente in einer so delikaten Angelegenheit wie der des Glaubensleben, zu veröffentlichen.
Zunächst ist festzuhalten, daß der Wunsch Mutter Teresas auf Nicht-Veröffentlichung sich nur auf einen kleinen Teil der Dokumente erstreckt hat. Der Grund für diesen Wunsch war die Angst der Seligen, die Menschen würden (im Falle einer Veröffentlichung) “mehr von mir als von Jesus denken". Im Augenblick einer Selig- oder Heiligsprechung kann dieses Motiv nur erlöschen, da es nach dem katholischen Verständnis ja gerade das Ziel einer solchen Erhebung zur “Ehre der Altäre" ist, den heroischen Charakter der Nachfolge Christi eines Menschen als Beispiel für die nächsten Generationen hervorzukehren. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, daß in jeder Seite des Buches der absolute, ja blinde Gehorsam der seligen Teresa hervortritt.
Letztlich geht aus der minutiösen und wissenschaftlichen historisch-kritischen Aufarbeitung des vorliegenden Materials der Wunsch der Kirche nach größtmöglicher Transparenz in einem so wichtigen Heiligsprechungsprozeß hervor, weil es eine Frau betrifft, die “ihrer Arbeit nach der ganzen Welt gehört".
Es sticht in die Augen, daß hier ein ganz wesentlicher Teil des Lebens einer weltbekannten öffentlichen Persönlichkeit enthüllt wird, den alle Massenmedien und Analysten ihrer Zeit nicht gesehen haben. Stellt sich da nicht die Frage: Entgehen uns in den Medien und in unseren Analysen heute vielleicht ähnlich wichtige Aspekte großer Persönlichkeiten oder Ereignisse?
Ich selbst habe die Briefe seit Jahren gekannt, trotzdem schenkt mir jede neue Lektüre die eine oder andere überraschende Erkenntnis. Denn Mutter Teresas Schriften drängen sich nicht auf, sie ergreifen vielmehr desto tiefer, je tiefer ich sie schweigend in mein Herz eindringen lasse. Nach Mutter Teresas Wort: “God speaks in the silence of our heart and we listen" (“Gott spricht in der Stille unseres Herzens und wir hören zu").
Von Leo-M. Maasburg
Komm, sei du mein Licht! Die geheimen Aufzeichnungen der Heiligen von Kalkutta. Von Mutter Teresa von Kalkutta, Brian Kolodiejchuk und Kathrin Krips-Schmidt, Pattloch.Verlag, 19,95 Euro
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