VISION 20006/2014
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Wenn sich die Sehnsucht nach Geborgenheit erfüllt

Artikel drucken Selbstverwirklichung: ein Weg in die Freudlosigkeit (Christof Gaspari)

„Es ist uns noch nie so gut gegangen wie jetzt.“ Sätze wie dieser gehören zum Repertoire von Regierungsparteien in Vorwahlzeiten. Gemeint ist der materielle Wohlstand, gemessen am Bruttosozialprodukt pro Kopf. Legt man dieses Maß an, so stimmt die Aussage sogar. Wer sich aber in seiner Umgebung umschaut, merkt, so toll ist das mit dem persönlichen Wohlbefinden gar nicht…

Man steige morgens oder nach Arbeitsschluss in ein öffentliches Verkehrsmittel: rundum ausdruckslose Gesichter und natürlich die obligate Beschäftigung mit dem Smartphone, das jede freie Minute okkupiert und verhindert, dass der Mensch innerlich zur Ruhe kommt. Ein Lächeln huscht bestenfalls über das Gesicht eines Mädchens, das gerade telefoniert.
Wie sehr das persönliche Wohlbefinden vieler getrübt ist, merkt man nicht nur am statistisch messbaren Fehlverhalten (Scheidungen, Kriminalität, Kindesmissbrauch…). Es tritt sehr bald auch zutage, wenn man sich in ein Gespräch einlässt, das über das oberflächliche „Wie geht’s?“ – „Gut…“ hinaus geht. Wie viel Klage über gesundheitliche und familiäre Probleme, Einsamkeit, Sorgen und Befürchtungen, Ärger über ungerechte Behandlung, Kritik an anderen Personen, Enttäuschungen unterschiedlichster Art…
Woher diese freudlose Unzufriedenheit, die nur scheinbar durch Zeiten des Spaßhabens unterbrochen wird? Zwei Phänomene tragen dazu bei: Zunächst die in der heutigen Zeit gepredigte Verheißung, im Konsum liege das Glück, und das hohe Anspruchsniveau, das sie entstehen lässt. Unausgesetzt wird der Mensch heute von klein auf von der Werbung bearbeitet. Sie verheißt Wohlbefinden durch Befriedigung aller Wünsche. Aufgabe der Werbung ist es ja nicht primär, über ein Angebot zu informieren, sondern Glück durch Konsum zu verheißen. Ich erinnere an zwei Slogans, die dies sogar ausdrücklich formulierten: „Shopping macht happy“ und „Geld macht glücklich“. Dem steht dann die Erfahrung gegenüber: Das begehrte Ding macht gar nicht so glücklich, wie erwartet. Und: Vieles von dem, was da so attraktiv in der Auslage steht, kann man sich gar nicht leisten.
Noch schwerer aber wiegt das moderne Dogma, der Mensch sei ein Einzelkämpfer, dem grundsätzlich alle Tore offenstehen, wenn er sich nur ausreichend bemüht. Das beginnt schon mit der Kinderkrippe, die den Kleinsten von  „Profis“ bessere Schulung als daheim verspricht, setzt sich im Kindergarten fort, wo unserem Nachwuchs pseudo-soziale Kompetenz verordnet wird und setzt sich von da an in einem lebenslangen Lernprozess fort, um für die jeweils gesellschaftlich geforderten Anforderungen  ausreichend fit zu sein… Jedermann hat seines Glückes Schmied zu sein.
Dieses Leitbild produziert einerseits ein angestrengtes Wettrennen um Lebenschancen, um im Konkurrenzkampf zu bestehen, andererseits die subjektive Vorstellung, alles, was man auf diesem Weg erreicht hat, sei ausschließlich Verdienst der eigenen Leistung. All das ist kein guter Nährboden für die Erfahrung von Freude, auch wenn es auf diesem Weg zweifellos Momente und Zeiten vorübergehenden Glücks geben mag: wenn ein lang angepeiltes Ziel erreicht, eine Prüfung bestanden oder eine Bedrohung abgewendet ist.
Was steht nun aber der Erfahrung von Freude im Weg? Da ist zunächst die Tatsache, dass man Freude nicht produzieren kann. Sie liegt außerhalb der Reichweite des Leistungsdenkens. Man kann sie nicht wie einen Karrieresprung, eine Urlaubsreise oder eine Kücheneinrichtung planen. Kein heroischer Entschluss zur Freude kann sie herbeizwingen. Sie stellt sich ein – oder eben nicht. Sie ist ein Nebeneffekt. Aber wovon?
Da ist zunächst die Erfahrung, dass wir nicht allein sind, nicht nur auf uns angewiesen, sondern dass wir Teil einer Gemeinschaft sind, in der wir einander Wohlwollen entgegenbringen. Daher steht ja die Familie – trotz aller Bemühungen, sie als überholte Lebensform darzustellen – weiterhin hoch im Kurs. Der Mensch ist nun einmal ein Gemeinschaftswesen, er ist und bleibt abhängig von seinem persönlichen Umfeld und sei er noch so mächtig und erfolgreich.
Je mehr wir uns diese Abhängigkeit eingestehen, umso eher können wir auch wahrnehmen, wie viele „Selbstverständlichkeiten“ des Alltagslebens alles andere als selbstverständlich sind: dass ich freundlich im Geschäft bedient wurde; dass ich heil im Auto aus dem Urlaub heimgekommen bin; dass ich ein gemütliches Frühstück mit meiner Frau einnehmen durfte… Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Immer sind es andere Menschen, die durch ihr Verhalten, ihre Mühe, ihre Bereitschaft zum Gelingen meines Lebens beitragen – und sei es der Plantagenarbeiter in Mittelamerika, dem ich den Genuss der eben verzehrten Banane mit verdanke.
Um das zu erkennen, muss ich allerdings lernen, Abstand vom Alltagstrott zu nehmen. Im Stress, im Banne ängstlicher Sorge, in der Ablenkung durch die vielen Unterhaltungsangebote übersieht man allzu leicht, wie viel wir anderen verdanken, insbesondere dem Ehepartner, den Eltern, Freunden, Lehrern, Kindern, Enkeln, den Mitarbeitern… Wenn ich das hier so schreibe, wird mir bewusst, dass ich mir dies viel zu selten in Erinnerung rufe. Und dabei ist gerade die Pflege der Dankbarkeit ein so guter Nährboden für das Erleben von Freude. Sie stellt sich ein, wo ich begreife, wie viel Gutes mir unverdient zuteil wird.
Wer in der Heiligen Schrift liest, wird dann auf den eigentlichen Grund zur Freude stoßen: die Geborgenheit in Gott (siehe Zitate S. 6-7). Damit diese Rede von der Freude aber nicht nur Wortgeklingel, schöne Theorie bleibt, muss man sich für die Gegenwart Gottes öffnen, sich Seinem Wirken, Seiner Schöpfung, Seiner leisen Rede aussetzen. Sich eben Zeit nehmen – ein schwieriges Unterfangen in unserer Zeit. Dann werden Worte der Heiligen Schrift lebendig: „Liebst du mich?“ – „Ich bin bei euch alle Tage…“ – „Ich vergesse dich nicht. Sieh her: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände…“ Oft erinnere ich mich dankbar an die große Freude, die mich in den Tagen nach meiner Bekehrung erfüllte, an die überraschende Entdeckung: Du bist nie mehr allein – „Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch…“
Gerade in unserer in vieler Hinsicht so bedrohten Zeit hat die Welt es so nötig, an den Christen zu erfahren: Es gibt eine Alternative zum Wettrennen um Lebens­chancen. Das Leben im Vertrauen auf Christus macht froh – trotz aller Probleme und Widrigkeiten.


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