VISION 20006/2014
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Anfrage an den Dialog

Artikel drucken Was bringen interreligiöse Gespräche? (P. Henri Boulad SJ)

Der interreligiöse Dialog wird hoch geschätzt, macht jedoch aus christlicher Sicht nur dann Sinn, wenn dabei auch die Bot­schaft Christi klar zur Sprache kommt. Der Autor bezweifelt auf­grund der bisherigen Erfah­rung, dass dies beim Dialog mit dem Islam wirklich geschieht.

Wir alle wissen, dass uns die Evangelisation in den islamischen Ländern so gut wie versperrt ist. Anderswo ist das aber nicht der Fall. Statt dies jedoch als Chance anzusehen, üben sich die Christen im Westen in vornehmer Zurückhaltung, wenn es um die Verkündigung des Evangeliums geht. Mit Bezug auf Aussagen von Nostra Aetate, unter Hinweis auf die Öffnung und den Respekt, der anderen Religionen geschuldet ist, hat sich die Katholische Kirche auf diesem Gebiet äußerste Zurückhaltung auferlegt.
Dabei hat Jesus uns aufgetragen, der ganzen Schöpfung das Evangelium zu verkünden. Es war sogar Seine letzte Anordnung: „Geht zu allen Völkern (…) und lehrt sie… (Mt 28,19f) Die Apostelgeschichte bezeugt im Übermaß dieses Kerygma, das es überall zu verkünden gilt. Auf Androhungen antworten die Apostel: „Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben.“ (Apg 4,20) Und sagt nicht der Apostel Paulus ebenfalls: „Wenn ich das Evangelium verkünde, kann ich mich deswegen nicht rühmen; denn ein Zwang liegt auf mir“? (1Kor 9,16)
Das Wort, das jeden Menschen erleuchtet, ist aus Liebe zu uns Fleisch geworden und bittet uns, dieses Geheimnis zu verkünden. Jene, die das unfassbare Glück hatten, Ihn kennenzulernen, haben einfach nicht das Recht, das zu verschweigen.
Dass diese Verkündigung in der Geschichte der Kirche auch mit Intoleranz und Fanatismus stattgefunden haben mag, ist bedauerlich. Aber dass man heute in einer Gesellschaft, die auf der Suche nach Sinn ist, und angesichts einer fragwürdigen islamischen Welt seinen Glauben systematisch verschweigt, ist unannehmbar.
Die Kirche ist von einem Extrem ins andere verfallen: von übertriebener Proselytenmacherei zu quasi totaler Stummheit. Für die Kirche ist heute das, was man üblicherweise „christlich-islamischer Dialog“ nennt, zum Allheilmittel geworden, ein Dialog von Tauben, der seit gut 50 Jahren auf der Stelle tritt, ein Dialog voller Andeutungen, voller Missverständnisse und Selbstverständlichkeiten, ein Dialog in der Falle des „politisch Korrekten“, der es vermeidet, die wirklich „heißen Fragen“ aufzugreifen. Allerdings: Jeder nicht auf die Wahrheit gegründete Dialog ist wertlos, hat keine Basis, keine Zukunft. Hat uns Jesus nicht gesagt: „Die Wahrheit wird euch frei machen“?
Gott sei Dank haben unsere protestantischen Brüder nicht denselben Zugang und helfen unzähligen Muslimen, die Schönheit der Botschaft Jesu zu entdecken und sie mutig und mit Selbstbewusstsein zu verkünden.

Boulad ist Autor zahlreicher Bücher, sein Beitrag ein Auszug aus „L’Homme Nouveau“ v. 27.9.14

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