Seit acht Jahren lebst Du als Missionarin mit deinen Schwestern unter Muslimen im Niger. Welche sind eure Erfahrungen?
Mutter Marie-Catherine Kingbo: Wir sind seit 2006 in der Region von Maradi tätig. Die Mehrheit der Einwohner sind Muslime. Wir bezeugen Christus in unseren Reden und unserem Tun. Durch das Wort geschieht dies bei verschienenen Zusammenkünften, in denen es um Weiterbildung und Sensibilisierung für bestimmte Themen geht: etwa wenn wir über die negativen Auswirkungen der Zwangs- oder Kinderheirat sprechen und dabei die christliche Sicht von der Ehe zur Sprache kommt. Wir sprechen dann über die Liebe und nehmen natürlich Bezug auf Gott, der die Liebe ist. Wir geben also durch unsere Worte Zeugnis – vor allem durch unsere Werke.
Erzähle einige Beispiele, wie ihr helft?
M. Kingbo: Wir versuchen, der Bevölkerung ein besseres Leben zu ermöglichen. So stellen wir etwa für unterernährte Babys Nahrung bereit. Dann ist vor allem der Mikrokredit für Frauen zu erwähnen. Derzeit beteiligen sich 1.800 an dem Programm. Sie betreiben mit geborgten Geld, das sie zurückzahlen, einen kleinen Handel, mit dem sie einen Gewinn erzielen. Dadurch können sie sich besser um ihre Kinder kümmern und den Lebensstil ihrer Familie verbessern. Weiters die Getreidebank: Die Regenzeit dauert nur zwei, höchstens drei Monate – meist nicht genug für ausreichende Ernten. Hungersnot ist also fast ein Dauerzustand. Mit unserer Getreidebank versorgen wir die Bevölkerung in der Trockenzeit mit Lebensmitteln (Hirse, Reis, Kukuruz, Salz und Öl). So gelingt es, in unserer Gegend die Hungersnot etwas zu lindern. Dazu kommen noch: Alphabetisierungsprogramme, die Betreuung von Prostituierten, die Hilfe für Leprakranke…
Welche Erfolge habt ihr bisher verzeichnen können?
M. Kingbo: Die Mentalität der Leute hat sich verändert. Seitdem wir Bildungswochenenden abhalten, gibt es in den meisten Orten keine Kinder- oder Zwangsheirat mehr. Frauen, die am Ernährungsprogramm teilnehmen, haben verstanden, wie wichtig es ist, sich um die Kinder zu kümmern. Durch die Mikrokredite, so erzählt man uns, werden die Frauen durch ihre erfolgreiche Tätigkeit von ihren Ehemännern mehr geachtet. Das hat also den Respekt der Ehemänner vor ihren Frauen gestärkt.
Und auf religiösem Gebiet?
M. Kingbo: Wenn Moslems oder Animisten sehen, was wir tun, fragen sie sich: Warum tun sie das? Wer bringt euch dazu, so für uns zu arbeiten? Ihr habt etwas in euch, das wir auch haben wollen. Auch sie wollen aus dieser Quelle schöpfen, aus dieser Quelle, die Jesus ist, die Quelle jeder Liebe. Durch die Werke, die wir auf Grund unseres Glaubens vollbringen, wenden sich die Menschen uns zu und wollen werden wie wir. So haben uns die Dorf-Ältesten von fünf Orten erklärt, sie möchten katholisch werden wie wir. Sie betonen immer das „wie wir“. Sie wollen Jesus Christus und die Bibel kennenlernen. Mehrere Frauen haben uns gebeten, unsere heiligen Schriften kennenlernen zu können. „Wir wollen so wie ihr werden,“ haben sie gesagt – aus freien Stücken. Und als wir im August in zwei dieser Orte gekommen sind, wurden wir schon erwartet und die Menschen haben uns mit Jesusrufen begrüßt. Ich bin sicher, wenn wir in diesen Orten mit der Vorbereitung auf den Glauben beginnen, werden sich noch mehr Menschen interessieren.
Braucht es Mut, wenn man in einem islamischen Land als Christ tätig wird?
M. Kingbo: Ein Christ muss den Mut haben, seinen Glauben zu leben. Dieser Mut fehlt uns Katholiken leider oft. Die Protestanten trauen sich da mehr. So müssen wir uns schon fragen: Sind wir Katholiken von unserem Glauben überzeugt? Von der Kraft des Heiligen Geistes? Nur Überzeugte können glaubwürdig Zeugnis geben – gelegen oder ungelegen, wie der hl. Paulus sagt. Das fehlt den meisten Katholiken angesichts des Islams…
Ihn eurem Nachbarland Nigeria verübt Boko Haram furchtbare Taten. Seid ihr irgendwie davon betroffen?
M. Kingbo: Boko Haram bringt viel Unglück in Nigeria. Auch in unserer Umgebung gibt es Sympathisanten. Das hindert uns nicht daran, auf die Moslems zuzugehen, für sie zu wirken. Vorsichtig sind wir schon. So hat man uns nahegelegt, für Schutz zu sorgen: Daher bewachen zwei Polizisten jetzt Tag und Nacht unser Haus. Aber bedroht wurden wir noch nie. Unsere Beziehungen zur Bevölkerung sind sehr gut. Daher fürchten wir uns nicht.
Wie werdet ihr auf den Wunsch der Menschen, den katholischen Glauben kennenzulernen, reagieren?
M. Kingbo: Wir werden die Familien, die katholisch werden wollen, besuchen und ihnen vom Wort Gottes erzählen. Da werden wir vor allem über die Liebe sprechen. Ein ehemaliger Muslim, der sich zum Protestantismus bekehrt hat und jetzt Pastor ist, will ebenfalls katholisch werden. Er wird uns unterstützen. Außerdem gibt es jetzt schon katholische Katechese für ca. 30 muslimische und animistische Kinder zwischen 5 bis 12 Jahren. Mit ihnen gehen wir die offiziellen Religionsbücher der Kirche durch. Das alles machen wir im Verborgenen. Aus Vorsicht, wegen der Kinder und weil es ein Muslimisches Land ist, haben wir uns bisher nicht bemüht, Kinder zu taufen. Wir scheuen uns aber nicht, das Kreuz und unsere Schwesterntracht zu tragen. Bei Zusammenkünften mit Muslimen haben wir gebetet und sie haben ihre Gebete verrichtet. Wir respektieren einander. Mit der Katechese für die Erwachsenen wird das jetzt eine ernstere Sache werden.
Wie sollte sich, deiner Ansicht nach, die Kirche den Muslimen gegenüber verhalten?
M. Kingbo: Zunächst würde ich sagen, dass die Kirche die Christen, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden, verteidigen müsste und sie in allen Angelegenheiten unterstützen: spirituell, geistig, persönlich, finanziell. Das würde uns Kraft geben und uns helfen, uns nicht von der Universalkirche verlassen zu fühlen. Die Kirche darf einfach nicht Angst haben, ihre Überzeugung vor Muslimen, Buddhisten oder Animisten zu bezeugen. Diese Kraft der Kirche spüren wir zu wenig. Bei uns in Maradi hat die Kirche keine Glocke aus Angst, die Muslime zu verärgern. Der Muezzin hat keine Hemmungen um vier Uhr früh die Leute zum Gebet zu rufen. Warum machen wir das nicht? Auf unserem neuen Haus haben ich so ziemlich überall Kreuze anbringen lassen. Wir sind schließlich katholische Christen. Es ist das Kreuz, das uns, ja die ganze Welt retten wird. Warum also nicht stolz darauf sein? Als wir unser Haus eingeweiht haben, da hat sich niemand von der weltlichen und der religiösen Obrigkeit an unseren Kreuzen gestoßen. Alle waren voller Respekt. Wenn wir hingegen Angst haben, unseren Glauben zu bezeugen, fühlen sich die Muslime uns Christen überlegen.
Und welchen Ratschlag hast du für uns Europäer?
M. Kingbo: Europa muss seine Vision überdenken: Wohin soll sich die Welt, die Gesellschaft, die Familie, die Ehe entwickeln? Einige eurer Gesetze und Ansichten über den Menschen schockieren uns, vor allem was die „Homo-Ehe“ betrifft. Das wäre in Afrika unmöglich. Hat Europa überhaupt noch den Mut, sich zu seinen christlichen Wurzeln zu bekennen? Seinen hohen Entwicklungsgrad verdankt es doch dem Christentum – also bezeugt das! Sollte Europa weiter seine Wurzeln verleugnen, wird es sterben. Bei uns sagt man: Es ist unfassbar, wohin geht Europa!
Das Gespräch hat Alexa Gaspari geführt. Mit Spenden auf das Konto (IBAN: AT92 3628 1000 3008 0972 BIC: RZTIAT22281, Kennwort Sparbuch Maradi) kann man die Missionsarbeit von M. Marie-Catherine Kingbo unterstützen.