Angst – wer kennt dieses Gefühl nicht? Aber: Wie kommt es zu dieser alltäglichen Erfahrung? Und wie geht man mit ihr um? Im Folgenden einige Gedanken zu diesen Fragen von einem Psychotherapeuten und Theologen.
Wie verhält es sich mit der Angst, die wir Menschen in der Welt immer wieder haben? Sie entsteht, wo etwas bedroht ist, in Gefahr gerät oder verloren geht. Angst entsteht durch das Missverhältnis zwischen meinem eigenen Vermögen (Kräfte, Fähigkeiten, Kompetenzen, Mut, Selbstvertrauen) und der Instabilität der Welt (Brüchigkeit, Ungewissheit, Unverlässlichkeit).
Es gibt so viel um uns herum, wo wir allen Grund haben, vorsichtig zu sein. Das war schon immer so. Es ist wichtig, aufzupassen und Achtsamkeit walten zu lassen. Angst in uns ist etwas Normales, eine Verunsicherung, die sich durch alle Lebensbereiche ziehen kann. Etwas kann immer bedroht sein. Entscheidend ist, wie ich mit der Angst, die ich verspüre, umgehe.
Da gibt es ganz verschiedene Möglichkeiten: Ich kann die Angst wegschieben, verdrängen, nicht wahrnehmen oder ich kann offen mit ihr umgehen und innerlich bewerten, was an der Angst dran ist – den Wahrheitsgehalt prüfen und zu mir sagen: „Angst hat auch etwas Gutes an sich.“ Wenn es eine echte Gefahr ist, dann bin ich froh, wenn mich meine Angst warnt und ich dann richtig reagieren kann.
Ich kann aber auch ein Angsthase sein und wegen Nichtigkeiten davonlaufen, kann innerlich sehr unruhig sein, obwohl es dafür keinen rational nachvollziehbaren Grund gibt. Die Angst in mir kann sich so verselbstständigen, dass ich Angst vor einer Einbildung habe und mir sicher bin, diese Einbildung sei echt. Dies nennt man dann Panik.
Die Erinnerung an eine angstbesetzte Situation reicht aus, und die Angst nimmt mir dann den Atem und lässt mein Herz rasen.
Wenn sich die Angst auch noch von der Erinnerung abkoppelt und mich plötzlich aus dem Nichts die Angst überfällt, ohne dass es dafür einen Grund gibt, so haben wir es mit einer Panikattacke zu tun. Sie muss behandelt werden, sonst entsteht sogar ein Paniksyndrom, das eine ernstzunehmende psychische Erkrankung ist. Panik hat man nicht, man macht sie sich. Dieses Paniksyndrom oder die generalisierte Angststörung lässt mich die ganze Welt als sehr bedrohlich, brüchig und nicht tragfähig erleben.
So eine pathologische Angst entsteht dort, wo die Belastung zu groß geworden ist und somit meine Kräfte übersteigt. In diesem Stadium geht es darum, wieder sicheren Boden unter die Füsse zu bekommen und zu vertrauen, dass ich mit Gottes Hilfe in der Lage sein werde, für mich schwierige, vielleicht aussichtslose Situationen wieder zu bewältigen und gut aus ihnen hervorzugehen.
Die Angst zeigt Grenzen auf, zeigt die Realität auf, zu der ich mich verhalten kann. Sie hilft bei der Erhaltung des Lebens, sie hilft, Werte zu erhalten. In der Angst bin ich meinen Werten sehr nahe und ringe um sie.
Angst zeigt auf, was ansteht. Sie ist ein biologisch festgelegtes Alarmsignal, das unser Überleben schützt. Angst zeigt uns, wo etwas zum Leben kommen soll, wo Leben bedroht ist. Hier ist auch die Verbindung zur Freiheit: Durch meine Freiheit kann ich meine Angst überwinden.
Man muss zwei ganz unterschiedliche Arten von Ängsten unterscheiden: die Grundangst und die Erwartungsangst. Die tieferliegende Grundangst ist die Angst vor dem Nicht-Sein, vor der Brüchigkeit des Lebens, der Bodenlosigkeit. Es ist die Erfahrung: Nichts ist wirklich sicher. Ich erfahre das „Nicht-sein-können“.
Als sekundäre Reaktion auf ein Erleben der Grundangst kann die Erwartungsangst entstehen. Erwartungsangst ist die Haltung: „Es darf unter keinen Umständen das passieren, was ich als angstauslösend erlebt habe, nur das nicht!“ Es ist bereits der Versuch einer Selbsttherapie gegen die Angst, ein Selbstheilversuch, eine Schutzreaktion, damit ich die Angst nicht erleben muss.
Die Erwartungsangst entsteht nicht aus dem Erlebnis der Brüchigkeit der Welt an sich, sondern aus einem Vorwegnehmen einer potenziellen Brüchigkeit des Lebens und den damit verbundenen, unangenehmen Angstgefühlen. Das Wesen der Erwartungsangst ist das lauernde Erwarten. Die Erwartungsangst ist die Angst vor der Angst. Es wird alles getan, damit das nicht passiert.
Gibt es einen Ausweg aus der Angst? Ja, für Christen steht da ein Weg offen: Die Gottesfurcht. Wie ist das zu verstehen?
Vor Gott brauche ich keine Angst zu haben, Er liebt mich und achtet genau darauf, dass mein Fuß nicht an einen Stein stößt. Weil ich Gott liebe, Ihn achte und ehre, habe ich Ehrfurcht vor Ihm!
Diese Ehrfurcht ist der Schlüssel, um Gott tiefer schauen zu können. Und sie führt mich hinein in die Furcht vor dem Herrn, in die staunende Anbetung, wie groß Gott ist, wie klein Er sich macht und aus Liebe zu uns auch ein Mensch wird.
Es überfällt mich ein heiliger Schauer, wenn ich erahne, wie der allmächtige Gott sich meiner erbarmt, jedes Haar auf meinem Kopf gezählt hat und keines ausfällt ohne Sein Wissen.
Das ist die „timor domini“, die Furcht vor Gott, die Gottesfurcht. Im Alten Testament ist oft von der Furcht des Herrn die Rede (z.B. in Sir 2,9; 19,20; 25,11; Jer 29,13; Mal 3,20.) Die Gottesfurcht ist die Basis, um für das Wirken Gottes bereit zu sein. „Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit“ (Ps 111,10).
Diese Geistesgabe, die „timor domini“, ist der Anfang des intensiven geistlichen Weges mit Gott. Sie ist ein Kennzeichen der zweiten Umkehr, der Ganzhingabe. Die Heiligkeit Gottes wird dann auf eine doppelte, mitunter schmerzhafte Weise erlebt.
Diese Furcht vor Gott ist einerseits anziehend und glückerfüllend, andererseits ist ihr helles Licht eine schmerzende Flamme, die das Unreine im Menschen aufdeckt, dann aber verbrennt.
Im 1. Johannesbrief (4,18) heißt es: „Furcht gibt es in der Liebe nicht, die vollkommene Liebe vertreibt alle Furcht.“ So vollendet sich die Gabe der Furcht des Herrn in der vollkommenen Gottesliebe, diese aber ist die höchste, lauterste Ehr-Furcht vor dem Herrn.
Die Aufforderung „Fürchte dich nicht!“ findet sich 365 mal in der Bibel. Gottesliebe und Gottesfurcht schließen einander nicht aus, sondern sind wie die zwei Seiten einer Medaille.
Was hilft nun, wenn man auf der Suche nach Auswegen aus den menschlichen Ängsten ist?
n Halt finden: Gibt es jemand, der wirklich da ist, der Halt, Sicherheit, Festigkeit und Ruhe vermittelt, der zeigt, dass Angstmachendes zum Aushalten ist? Ja, diesen jemand gibt es! Es gibt haltgebende Strukturen: Meine Beziehung zu Gott, zu Menschen, zu mir selbst. Halt gibt bereits eine geeignete Strukturierung des Tages: Durchschauen der alltäglichen Abläufe, Schaffen von fixen Abläufen. Selbstvertrauen stärken.
n Die eigenen Kräfte und Ressourcen reaktivieren: Wie lebe ich weiter? Es geht darum, sich wieder den Werten und dem tiefsten Wert – nämlich Gott – zuzuwenden. Mit Gott und meiner Angst in einen Dialog treten. Es geht nicht darum, die Angst zum Freund zu machen, aber zu einem Wegbegleiter, der mich vielleicht irgendwann verlassen wird. Gott hilft mir dabei. Er unterstützt mich beim Annehmen der Angst und dann beim Loslassen der angstbesetzten Dinge. Ich muss mir von der Angst nicht alles gefallen lassen. Ich bin bereits erlöst. Jesus hat mich frei gemacht durch seinen Tod am Kreuz.
n Die eigene Biographie durchleuchten: Hier geht es darum, die Ursachen der Angst zu verstehen. Gelingt es mir, einen roten Faden zu finden und Zusammenhänge zu erkennen? Was ist die Rolle der Angst? Was will sie mir sagen oder besser, was will Gott mir durch meine Geschichte sagen?
n Sich mit den Angst machenden Realitäten und Phantasien konfrontieren und sie auf ihre Wirklichkeit überprüfen. Ich schaue hin auf die befürchtete Realität und die befürchteten Konsequenzen. Dabei verlieren diese Gefühle an Macht. Es wachsen wieder Mut und Zuversicht.
Allerdings muss ich mich dabei immer fragen, inwieweit zuerst noch Halt aufgebaut werden muss, wenn ich mich dieser Konfrontation aussetze. Das Hinschauen zeigt dann aber, dass die Bedrohung doch nicht so groß ist. Denn Gott ist da. Er beschützt mich – nur: traue ich Ihm wirklich?
Was geschieht durch die Konfrontation mit dem Schlimmsten? Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.
„Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken. Alles geht vorüber. Gott allein bleibt derselbe. Alles erreicht der Geduldige, und wer Gott hat, der hat alles. Solo dios basta – Gott alleine genügt,“, sagt die hl. Theresia von Avila.