Angst vor dem Leiden – wer bleibt davor verschont? Daher wird alles unternommen, es zu verhindern – fast um jeden Preis. Und dennoch: An der Hand Christi gelebt, ist es eine Chance zu reifen:
Liebe Minka! In einer Stunde gehe ich hinüber in die Herrlichkeit des lebendigen Gottes. Ich habe mich ganz und restlos und ohne jeden Vorbehalt Gott ergeben. In seiner Hand bin ich geborgen. In Seinem heiligen Herzen wird mich Christus hinüber reißen zum Vater.“ Diese leuchtenden Worte schrieb Pfarrer Alfons Maria Wachsmann an seine Schwester Minka (Maria) wenige Stunden vor seiner Hinrichtung am 21.2.1944 in Brandenburg-Görden.
Pfarrer Wachsmann wurde mit 47 Jahren von der Gestapo verhaftet, weil er den Mut hatte, den Mund aufzumachen und seine Stimme gegen das menschenverachtende System der Nazis zu erheben. Acht Monate war er in Haft, bis er schließlich hingerichtet wurde. Aus dieser Zeit gibt es fünf Briefe, die er an seine Schwester schreibt; sie sind auch ein Zeugnis ergreifender geschwisterlicher Liebe.
„Nehmt euch die Heiligen zum Vorbild!“, mahnt uns die Schrift in Zeiten der Bedrängnis. Es kann kaum mehr etwas darüber hinwegtäuschen, dass wir in eine ähnliche, vom Geist des Antichristen beherrschte Ära der Bedrängnis, der Unterdrückung der Wahrheit und des Terrors hineinschlittern wie vor 70, 80 Jahren.
„Blickt auf Jesus, dann werdet ihr nicht ermatten und den Mut nicht verlieren“ (vgl. Hebr 12). Das hat Pfarrer Alfons Maria Wachsmann getan. Ich möchte anhand seiner fünf Briefe aufzeigen, was für einen gesegneten inneren Weg er in seiner Bedrängnis gegangen ist. Sein Beispiel möchte uns ermutigen, sich gerade heute an solchen leuchtenden Gestalten aus- und aufzurichten und sich nicht dunklen, wirren Ängsten zu überlassen.
Am 19. September 1943, nach drei Monaten Haft in Stettin, schreibt Pfarrer Wachsmann seiner Schwester Maria:„Gesundheitlich geht es mir gut. Seelisch bin ich oft deprimiert. Der Tag ist ausgefüllt mit heißen Bittgebeten und ‚Es geschehe Dein Wille!‘. Es wechseln Hoffnung und Ängste. Ich bin vollkommen isoliert ... Seit August keine heilige Messe, kein Sakrament, kein Priester!! Was mir den meisten Trost bringt, ist, wenn Deine große Liebe im Brief zu mir kommt. Wie lange noch?...“
Das ganze Gewicht der Gefangenschaft lastet auf seiner Seele. „Ich bin vollkommen isoliert.“ Pfarrer Wachsmann ist hin und her geworfen zwischen Hoffen und Bangen.
Im zweiten Brief, den er einen Monat später schreibt, brechen schon die ersten Lichtstrahlen durch das Dunkel: „... In letzter Zeit bin ich viel ruhiger geworden. Ich habe mein Schicksal ganz und restlos in Gottes Hand gelegt. Zwar hatte ich das von Anfang an getan, aber erst in der Schule des Kreuzes gewann ich die Gnade, es nicht nur mit einem betenden Wort, sondern mit dem vollen Einsatz der persönlichen Existenz zu tun. Mein ganzer Tag ist Gebet ... Dann lese ich die Heilige Schrift ... Nur in der Schule des Kreuzes, erfahren im selbst durchlittenen Leid und nur in der Übung heißen Gebetes wird die Erkenntnis gewonnen, die kein Studium erschließt. Heute bin ich so weit, Gott aufrichtig und heiß zu danken für die Gnade dieser Leidenszeit, wenngleich ich bitte, dass sie abgekürzt wird...“
Was für erstaunliche Worte – und was für eine innere Läuterung und Reifung in so kurzer Zeit! Im Leiden, das Pfarrer Wachsmann erfährt und das er betend durchsteht, „in der Schule des Kreuzes“ werden ihm Gnaden und Einsichten ins Geheimnis Gottes geschenkt, die ihm kein Theologiestudium und kein Bücherwissen zu vermitteln vermochten. Er kann sogar für diese fünf Monate Haft Gott „heiß danken für die Gnade dieser Leidenszeit“.
Im dritten Brief, den er einen Tag vor dem Heiligen Abend schreibt, ist es ihm, begreiflicherweise, besonders schwer ums Herz. Doch noch mehr als in den ersten Briefen leuchtet jetzt das übernatürliche Licht aus seinen Zeilen. Alles ist ihm genommen, doch umso mehr gewinnt er an geistigen, an himmlischen Gütern. Er schreibt seiner Schwester am 23. Dezember 1943:
„…Als Gabe trage ich zur Krippe: Hunger und Kälte, Einsamkeit und Verlassenheit. Mein einziger Schmuck sind die beiden blanken Fesseln. So will ich mein Leben, das [als Priester] im Dienste des Weihnachtskönigs stand, Ihm geben, der mich mit Seinem kostbaren Blut erlöst hat. Mit reichen Tränen der Reue will ich abwaschen, was Schuld und Sünde in mir geworden ist. In solcher Gesinnung pilgere ich zur Krippe ... Keine Kerze wird leuchten, keine Tanne duften; nicht einmal die heilige Messe ist mir vergönnt. Aber das Jesuskind in der Eucharistie wird als herrliche Weihnachtswirklichkeit mich mit dem ewigen Licht durchleuchten, mit der Wärme erbarmender Liebe erfüllen ... Viel werde ich Rosenkranz beten und in der Heiligen Schrift lesen.“
Wir spüren es aus diesen wenigen Zeilen, wie dieser Priester im Feuer der Schmerzen und Leiden zu immer größerer Reinheit des Herzens geführt worden ist. Das göttliche Licht hat ihn ergriffen, „Tränen der Reue“ haben sein Leben reingewaschen, es zieht ihn hinüber in die bessere Welt.
Im vierten Brief, der einen Monat später bei seiner Schwester eintrifft, schreibt er: „Das Neue Testament lese ich griechisch und mit viele Freude… Wie oft habe ich diese großen heiligen Texte gelesen und meditiert! Und doch, welch ewiges Leuchten, welch göttlicher Glanz blitzt auf, wenn ich sie lese als einer, der am Rande der Welt steht und in der Sterbekerze Christus, das Licht der Welt, erkennt. Jetzt ist mein ganzer Tag Gebet. Ob ich lese oder sinne, ob ich meine Sünden beweine oder für die Barmherzigkeit danke, immer stehe ich vor Gott. Wenn meine Stunde kommt, hoffe ich, dass Christus mich hinüber reißt zum Vater...“
Eindrücklich wird uns hier vor Augen geführt, welche Gnade das Leiden, die Bedrängnis für uns Christen sein kann, wenn wir sie betend und im Blick auf Jesus Christus annehmen, auch heute. In den sieben Monaten seiner Haft und seines Leidens ist dieser Priester zur Heiligkeit emporgezogen worden. „Glanz blitzt auf“ – es ist die Nähe des herrlichen Christus, den Pfarrer Wachsmann erfahren darf. Was viele Jahre, ja, Jahrzehnte des Friedens und des in gewohnten Bahnen verlaufenden Lebens nicht zu bewirken vermögen, das erreichen sieben Monate des Leidens, Betens und der Begegnung mit dem Worte Gottes.
Der fünfte und letzte Brief an seine Schwester schreibt Pfarrer Wachsmann am Tag seiner Hinrichtung, am 21.2.1944:
„Liebe Minka! Ich sterbe um drei Uhr. Nun ist die Stunde gekommen, die Gott in ewiger Liebe für mich bestimmt hat ... In einer Stunde gehe ich hinüber in die Herrlichkeit des lebendigen Gottes. Ich habe mich ganz und restlos und ohne jeden Vorbehalt Gott ergeben. In Seiner Hand bin ich geborgen. In Seinem heiligen Herzen wird mich Christus hinüber reißen zum Vater. Maria wird mich beschützen und St. Josef mich begleiten. Nun muss ich Abschied nehmen von Dir. Hab herzlichen Dank für alles, alles was Du im Leben mir Gutes getan hast. Sei gesegnet für die Liebe, die Du mir geschenkt, für die Nachsicht und Geduld, die Du mit mir gehabt hast ... Gott wird für Dich sorgen. Sei nicht mutlos. Vertrau auf Gott. Er hat mich nicht verlassen. Die acht Monate meiner Vorbereitung auf die Ewigkeit waren schwer, aber doch sehr schön. Nun muss ich durch die enge Pforte der Guillotine heimgehen.“
So sterben die im Leiden und im Gebet geläuterten Christen: die Märtyrer seit den Anfängen des Christentums bis heute. So werden sie morgen sterben. Heilige Vorbilder für uns, die uns bewusst machen, dass Leiden, die uns treffen (uns, die Kirche, ganze Völker, die Welt), dass Verfolgungen, Bedrängnisse aller Art letztlich aus Gottes Heil schaffender Hand kommen.
Sie wollen uns bewusst machen, dass es „nicht Strafen sind, die uns vernichten, sondern erziehen wollen“ (vgl. 2 Makk 6,12). Göttliche Interventionen, die uns herausreißen aus der erstickenden Welt des Kleinlichen, des Egoismus, der religiös drapierten Bürgerlichkeit, der Bequemlichkeit, des Unglaubens, der Sinnlichkeit, des Geldes, der Sorgen und uns emporziehen wollen in die Herrlichkeit, zu der der Barmherzige Vater Pfarrer Wachsmann emporgezogen hat.
Dieser Priester zeigt uns auch, dass der Schemel drei Beine hat, auf den wir uns stellen sollen und von dem aus wir über die Mauern der Angst hinwegsehen können: Es ist das Gebet, die Schriftlesung und der Heiland in der Eucharistie (nicht: noch mehr News, noch mehr Internet, noch mehr Aktivität!). Und ein Licht leuchtet immer an dunklem Ort: „Seid gewiss, Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“
Der Autor ist em. Pfarrer