Gestern ging die Meldung durch alle Medien: Bei einem Anschlag auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo kamen zwölf, bei einem Attentat im Jemen mehr als 30 und bei einem Massaker von Boko Haram in Nigeria 2.000 (!) Menschen ums Leben. Klingt nicht auf diesem Hintergrund der Appell „Fürchtet euch nicht!“ geradezu wie ein Hohn?
Diese Frage wird noch brennender, wenn man die vielen anderen ernstzunehmenden Gründe, sich zu ängstigen, ins Auge fasst. Eine Liste solcher besorgniserregender Fakten habe ich in der Einleitung (S. 4) genannt.Ich erspare Ihnen, liebe Leser, hier eine breite Schilderung der Morbidität unserer Gesellschaft und der aus ihr hervorgehenden Gefährdungen. Jedenfalls bereitet sie laut jüngster IMAS-Umfragen den Österreichern Sorge: Jeder zweite befürchtet, die Zukunft werde düsterer.
Eine Meldung von heute gibt jedoch Anlass zu weiteren Überlegungen: In Deutschland gestand ein Krankenpfleger, 30 Menschen umgebracht zu haben. Bei 60 weiteren sei es bei einem Versuch geblieben. Diese Nachricht bringt uns vielleicht auf die Fährte der tieferen Wurzeln der heutigen Gefährdungen.
30 Patienten umbringen! Das kann doch nur einem Wahnsinnigen einfallen. Das macht doch kein normaler Mensch! Stimmt. Und Gott sei Dank ist dieser Mann wohl eine Ausnahme im Gesundheitswesen.
Können wir also wenigsten die Sorge, im Fall der Behandlung in einer Intensivstation ein ähnliches Los befürchten zu müssen, beiseite schieben? Ja – und dennoch möchte ich diese Meldung verwenden, um einen Gedanken weiterzuspinnen.
Den Fall des Krankenpflegers deuten wir, wie gesagt, als die Geschichte eines Menschen, der von allen guten Geistern verlassen ist. Aber hat dieser eine Mann nicht genau das getan, was auf gesellschaftlicher Ebene derzeit durchaus salonfähig wird? Das Projekt läuft unter verschiedenen Bezeichnungen: Sterbehilfe, Beihilfe zum Suizid, Euthanasie (schöner Tod)… In einigen Ländern ist das schon legal: in Holland, Belgien, Luxemburg, der Schweiz, im US-Staat Oregon (dort heißt es „death with dignity“ – würdevoller Tod)…
Keine Angst, ich schweife nicht ab, sondern bleibe beim Thema „Fürchtet euch nicht!“, versuche aber, an diesem Beispiel aufzuzeigen, worauf es bei diesem Appell wirklich ankommt: Wenn ein einzelner serienweise alte, hilflose Menschen umbringt, sind wir heute noch imstande zu sagen, er sei von allen guten Geistern verlassen. Ganz anders aber, wenn es um das Geschehen auf der Ebene der Gesellschaft geht. Da wird genau dasselbe Verhalten als human, der Würde des Menschen entsprechend verkauft. Nur eine von allen guten Geistern verlassene Gesellschaft kann so schizophren und unfähig sein, eins und eins zusammenzuzählen.
Nun lässt sich einwenden: Ja, bei der Sterbehilfe wird Menschen ein Dienst erwiesen, um den sie bitten. Von wegen! Einschlägige Untersuchungen in Holland zeigen, wie hoch der Anteil der nicht erbetenen Euthanasie-Fälle ist. Und aus den jahrzehntelangen Erfahrungen mit der Abtreibung wissen wir alle, wie häufig Frauen von Dienstgebern, Eltern, Freunden oder dem Kindesvater bedrängt werden abzutreiben. Von Freiwilligkeit keine Spur. Vielmehr wird deutlich: Die vom Menschen gemachten Spielregeln wenden sich gegen den Menschen selbst.
Und damit sind wir beim Kern der sich rundum auftürmenden, furchterregenden Gefahren: bei der vorherrschenden Gottlosigkeit, beim Verlassensein von allen guten Geistern. Unsere Situation erinnert an jene, die im Psalm 81 angesprochen wird: „Doch mein Volk hat nicht auf meine Stimme gehört; Israel hat mich nicht gewollt. Da überließ ich sie ihrem verstockten Herzen, und sie handelten nach ihren eigenen Plänen.“ (Ps 81, 12f) Genau das geschieht seit mindestens einem halben Jahrhundert und hat eine Gesellschaft produziert, deren bedrohliche Fehlentwicklung uns ängstigt.
Wie geht man mit einer solchen Situation um, in der sich die Staaten anschicken eine gottlose Gesellschaftsordnung einzuzementieren mit menschenverachtenden Gesetzen, die das Leben bedrohen, die Familie zerstören, die Jugend sexualisieren? Hören wir noch einmal auf Psalm 81, was Gott dem Volk Israel nahelegt: „Ach dass doch mein Volk auf mich hörte, dass Israel gehen wollte auf meinen Wegen! Wie bald würde ich seine Feinde beugen, meine Hand gegen seine Bedränger wenden..“ (Ps 81,14,f)
Hand aufs Herz: Glauben wir das? Trauen wir Gott zu, den verfahrenen Karren aus dem Dreck zu ziehen? Können wir uns vorstellen, dass Er gerade uns als Werkzeuge einer solchen Erneuerung erwählt hat? Das Leisetreten der europäischen Christenheit mitten in einem Verfallsprozess ohnegleichen, die weit verbreitete Ängstlichkeit, gegen den Zeitgeist aufzutreten, deuten darauf hin, dass wir selbst die Hinwendung zu Jesus Christus nicht oder nicht ausreichend vollzogen haben.
Lassen wir uns doch diese Ängste nehmen! „Fürchte dich nicht, du kleine Herde! denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben,“ lesen wir im Lukasevangelium (Lk 12,32). Dieses Vertrauen auf den Beistand Gottes gilt es zu stärken. Es muss unser Leben prägen, wir sollten es an unsere Kinder weitergeben, unsere Mitmenschen sollten es an uns erfahren können: Gott allein genügt, wie die hl. Teresa von Avila gesagt hat, und Jesus Christus „ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde.“ (Mt28,18)
Das ist ja das Wunderbare an unserem Glauben, das Befreiende: dass wir nicht allein auf unsere eigene Klugheit, Tüchtigkeit, Durchsetzungsfähigkeit, usw. angewiesen sind sondern dass jene, die ihr Leben in Gottes Hand gelegt haben, mit dem Wirken des Heiligen Geistes rechnen können. Welche Last der Verantwortung wird da von unseren Schultern genommen! Wie viel ängstliches Sorgen kann da von uns abfallen!
Also machen wir uns auf! Fürchten wir uns nicht, vertrauen wir auf die Worte des Paulus, der sagen kann: „Wir wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt…“ (Röm 8,28) Und er wusste, wovon er spricht.