Wer kennt nicht die Angst vor dem Tod, die bange Frage: Was kommt danach? In unserer neuheidnischen Zeit wird auf unterschiedlichste Weise darauf geantwortet. Was haben aber wir Christen als Antwort parat?
Es ist noch nicht so lange her, da bat mich die Frau eines Unternehmers, an das Sterbebett ihres Mannes zu kommen. So habe ich mich also auf den Weg gemacht. Die ganze Familie war um ihn versammelt. Er war bei Bewusstsein und wir konnten über den lieben Gott sprechen, der ihn mit offenen Armen erwarte. Er hat die Krankensalbung empfangen, und wir haben eine Messe gefeiert.
Dann aber sagte mir plötzlich seine Frau: „Pater, er schafft es einfach nicht zu sterben; er war sein Leben lang ein Geschäftsmann; er hatte stets alles unter Kontrolle – und heute schafft er es einfach nicht loszulassen. Seine Agonie nimmt kein Ende.“ Auf das hinauf hat er mich gefragt: „Was täten Sie an meiner Stelle?“ Auf diese Frage war ich nicht vorbereitet. So habe ich einfach das gesagt, was mir als erstes in den Sinn gekommen ist: „Ich denke, ich würde es so wie ein ganz kleines Kind machen: Ich würde die Gottesmutter bitten zu kommen, um mich in die Arme zu nehmen und mich zu ihrem Sohn zu bringen.“
Ich habe keine Ahnung, was dann sein Gebet war (es gibt ja nichts Intimeres als diesen allerletzten Moment im Leben). Jedenfalls ist er bald darauf in Ruhe entschlafen.
Warum erzähle ich diese Begebenheit an dieser Stelle? Weil ich den Eindruck habe, dass sie zeigt, was ein christlicher Tod ist: Dieser Mann hatte den Segen, von einem Priester begleitet daheim sterben zu dürfen, nachdem er die Sakramente empfangen hatte. Er hatte sich bei vollem Bewusstsein auf die Begegnung mit dem Herrn vorbereiten können, und niemand hat versucht, ihm etwas über seinen Zustand vorzumachen.
Leider sterben heute immer mehr Christen ohne den Beistand der Sakramente und oft wird sogar bewusst darauf verzichtet, einen Priester an ihr Sterbebett zu rufen, um den Sterbenden „nur ja nicht zu erschrecken“. Ich habe den Eindruck, dass die christliche Sicht auf den Tod verloren gegangen ist. Daher ist es so wichtig, wieder darüber zu reden.
Es stimmt schon, dass es – insbesondere im 19. Jahrhundert – eine geschmacklose Art gab, über den Tod zu predigen. Das hat dazu geführt, dass Gedanken zu diesem Thema zu äußern, fast unerträglich geworden ist. Allerdings ist das kein Grund, das Thema jetzt unter den Tisch fallen zu lassen. Denn der Tod ist unausweichlich. Also geht es darum, eine angemessene theologische Antwort auf dieses Thema zu geben.
Wie soll man aber über den christlichen Tod sprechen, ohne damit dem Leben Wert abzusprechen? Was ist also der Tod für den Christen? Wie soll man ihn „erleben“, wenn man das so sagen darf? Um die Bedeutung des Todes im wahrhaft christlichen Sinn zu verstehen, muss man zunächst den Tod Jesu betrachten. Das Verständnis für unsere Todesstunde kann letztlich nur im Licht Seiner letzten Stunde erhellt werden.
Was kennzeichnet nun aber Seine Todesstunde? Dass sie ein Akt unendlicher und allmächtiger Liebe war. Als Mensch ist Christus wahrhaft am Kreuz gestorben; insofern er auch Gott war, hat er diese tödliche Trennung von Leib und Seele vollkommen angenommen – aber das letzte Wort hatte Sein göttliches Leben. In dem Moment also, in dem Jesus am Kreuz gestorben ist, war zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit der Tod eines Menschen mit dem göttlichen Leben, also mit der ewigen Liebe des Vaters verbunden. So hat also zum ersten Mal der Tod aufgehört, ausschließlich etwas Negatives zu sein. Er wurde vielmehr zum Ausdruck der übergroßen Liebe Gottes zu uns: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ (Joh 15,13) Indem Christus im Gehorsam Seinem Vater gegenüber den Tod angenommen hat, um jeden einzelnen von uns zu retten, hat Er uns durch Seinen Tod ein herausragendes Zeichen Seiner Liebe gegeben…
Das ist das Besondere an Christi Tod: dass die Liebe Gottes stärker ist als der Tod. Das hat zur Folge, dass seither jeder mit Christus verbundene Tod durch die Gnade irgendwie an diesem Geheimnis teilhat.
Keine Frage, auch nach Christi Tod bleibt das Los des Menschen zu sterben. Scheinbar hat sich das menschliche Schicksal nicht geändert. Wir sind ebenso sterblich wie die Menschen vor dem Kreuz und der Auferstehung – und das wird sich bis zum Ende der Welt nicht ändern. Aber der Tod hat seine Bedeutung geändert. Durch die Gnade mit dem Tod Christi verbunden, ist er nunmehr von der unendlichen Liebe Gottes umfasst und kann daher zum Sieg der Liebe werden und nicht nur eine Niederlage sein. Für die Jünger Christi wurde der Tod zum Tor, mit Gott vereint zu werden. Dem guten Schächer hat Jesus ja zugesagt: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ (Lk 23,43)
Über den Tod zu reden, bedeutet für einen Christen vor allem, über die persönliche Begegnung mit Christus zu sprechen. Die Todesstunde ist die Stunde der Begegnung, des Übergangs vom Glauben zum Schauen. Es ist die Stunde der Begegnung, aber auch des Gerichts. Daher leitet uns die Kirche auch an, täglich zur Gottesmutter zu beten: „Bitte für uns jetzt und in der Stunde unseres Todes.“
Was sind denn tatsächlich die wichtigsten Stunden unseres Lebens? Das „Jetzt“, weil wir da aus freien Stücken über die Ausrichtung unseres Lebens entscheiden; und „die Stunde unseres Todes“, die unsere Ewigkeit bestimmt.
Somit ist der Tod aus christlicher Sicht eine persönliche Begegnung mit Gott, der uns einlädt in Seine Herrlichkeit einzutreten. Selbstverständlich hat der Tod auch einen biologischen Aspekt: Wir sterben, weil unsere Organe nicht mehr funktionieren. Darüber hinaus aber sterben wir, weil Gott uns in Seine Herrlichkeit ruft. Man kann das mit der Vorder- und Rückseite eines Wandteppichs vergleichen: Auf der Rückseite sieht man nur Knoten und sagt daher: „Er ist wegen dieser Krankheit oder im Gefolge eines Unfalls gestorben.“ Auf der Vorderseite entdeckt man das Motiv und begreift: „Der Herr hat ihn zu sich geholt.“
Jenseits allen äußeren Scheins muss man den Tod aus theologischer Sicht als Einbruch des ewigen Lebens in die Seele sehen. So sterben wir auch nicht „wegen einer Krankheit“, sondern weil Gott uns ruft. Wir „fallen“ gewissermaßen in Gott hinein. Daher auch die Bedeutung des Loslassens und der Vergebung für jedermann. Die Todesstunde ist jener Moment, in dem man alles loslässt, in dem man mit Christus und durch Ihn und in Ihm spricht: „In Deine Hände, Herr, empfehle ich meinen Geist.“
So ist der Tod die Begegnung von zwei Freiheiten. Er ist eine freie Entscheidung von der Seite Gottes her (selbst wenn es – wie gesagt – so erscheint, als seien eine Krankheit oder ein Unfall schuld daran), und es ist in gewisser Hinsicht eine freie Annahme des Menschen, der auf diese Weise Gott ein letztes „Ja“ zusagt. Der Mensch stirbt, ob er will oder nicht, keine Frage. Aber an ihm liegt es mehr oder weniger bewusst, dem Willen Gottes zuzustimmen und auf diese Weise zu bestimmen, wie er stirbt: in der Verweigerung oder in der liebenden Hingabe: „Selig, die im Herrn entschlafen.“
Der Autor ist Generalprior der Johannes-Gemeinschaft und sein Beitrag ein Auszug aus Famille Chrétienne v. 1.11.08