VISION 20005/2015
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Rechtzeitig den Priester rufen

Artikel drucken Die Heilswirkung des Sakraments der Krankensalbung wieder entdecken

Die Konfrontation mit schwerer Krankheit oder bevorstehendem Tod: vielfach Panik, Ratlosigkeit, besonders in einer Zeit, die den Tod verdrängt. Was tun? Wie helfen? Gespräch mit einem erfahrenen Seelsorger:

Ist die Betreuung Schwerkranker und Sterbender ein wichtiger Teil Ihrer Seelsorge?
P. Thomas Lackner: Ja, durchaus. Ich bin oft zu Kranken und Sterbenden gerufen worden. Da gerät man in eine Situation, mit der sehr viele Menschen nicht umgehen können. So rufen mich beispielsweise Verwandte der betreffenden Person an, bitten mich aber, nicht zu sagen, sie hätten mich gerufen, sondern ich sei nur zufällig da. Ich antworte darauf meistens: „Wissen Sie, ein Sterbender kapiert das durchaus, dass ich nicht zufällig vorbeigekommen bin.“ Viele versuchen, in dieser Notsituation den Ernst der Lage zu überspielen und zu verdecken. Die Verwandtschaft gibt oft vor, es sei gar nicht so schlimm. Man sagt mir: „Bitte sagen Sie nur ja nicht, dass er oder sie bald sterben wird!“ Gehe ich dann zu dem Sterbenden hinein, bekomme ich zu hören: „Ich weiß, wie es um mich steht, aber bitte sagen Sie es meiner Familie nicht!“ Heute fehlt vielfach der Mut zur Ehrlichkeit in diesen Extremsituationen. Man will dem anderen nicht weh tun. Genau durch dieses Verhalten aber steht man sich gegenseitig im Weg.

Verhalten sich vor allem Menschen, die dem Glauben fernstehen, auf diese Weise?
P. Lackner: Zwar gibt es Ausnahmen, aber in den meisten Fällen spielt es sich so ab. Der Tod ist nämlich die Herausforderung des Glaubens. Im Sterben wird offenkundig, ob sich jemand im Glauben festmachen kann oder nicht. Wer nur ein bisschen Glauben hat, wird leicht in so ein Verhalten geraten. Aber es gibt auch das Sterben von Menschen, die fest im Glauben stehen. Ich erinnere mich an eine Begebenheit in Dornbach. Da habe ich mit einer Familie – ich hatte einige Kinder der Familie getauft und getraut – Krankensalbung richtig gefeiert. Der Vater, ein tiefgläubiger Mann, hatte um die Sterbesakramente gebeten. Alle wussten, dass er unmittelbar vor dem Tod stand. Die Kinder hatten alles wunderschön vorbereitet und der Kranke war bei vollem Bewusstsein – und ist am darauffolgenden Tag gestorben.

Es ist also entscheidend wichtig, den Priester zu rufen.
P. Lackner: Leider erlebe ich, dass viele Menschen, sich genau das nicht trauen. Das hat auch damit zu tun, dass noch viele das Wort „Letzte Ölung“ im Ohr haben. Viele scheuen sich dann, den Priester zu rufen, denn „wenn der Pfarrer kommt, ist alles verloren…“ Dann werde ich leider oft erst gerufen, wenn es zu spät ist. Und dann bleibt mir nur, die Sterbegebete zu beten. Die Seelsorge muss sich darum bemühen, den Menschen begreiflich zu machen, dass sie den Priester rechtzeitig rufen und nicht warten, bis der Tod eingetreten ist.  

Wäre es also sinnvoll, schon bei schwerer Erkrankung den Priester einzubeziehen?
P. Lackner: Ja. Und es gibt auch eine Reihe von Leuten, die sich in der Krankheit begleiten lassen. Sie bitten ganz bewusst vor einer schweren Operation um die Krankensalbung. Und sie freuen sich über Gebetsbegleitung. Bei einer Frau in Brunn am Gebirge hat sich das so abgespielt: Wir sind nach der Krankensalbung über Telefon (in anderen Fällen über E-Mail) in Kontakt geblieben. Gestern erst habe ich ihr – worüber sie sich sehr gefreut hat – mitgeteilt, dass ich sie im Gebet auf der Wallfahrt nach Mariazell mitgenommen hatte. Diesen Dienst des Mittragens sollten wir uns überhaupt stärker vornehmen. Menschen, die auch nur ein bisschen Zugang zum Glauben haben, empfinden das Bedürfnis, im Gebet begleitet zu werden – auch von den Heiligen. Aber vor allem wir Priester sollten die uns Anvertrauten mit in die Heilige Messe und in unsere Gebete einschließen.

Haben Sie erlebt, dass Menschen in solchen äußersten Notsituationen zum Glauben gefunden haben?
P. Lackner: Ja, durchaus. Manche sogar intensiv. Allerdings kann es dann schon auch passieren, dass diese Zuwendung wieder verlorengeht, wenn sich die Situation wieder normalisiert hat. Ich habe da einen Fall vor Augen, wo ein Mann in einer äußersten Notsituation zum Glauben gefunden und dann auch eineinhalb Jahre praktiziert hat. Dann aber, als sich der Alltagstrott eingestellt hat, schien alles wieder versandet. Als allerdings seine Mutter starb, hat er mich angerufen. In dieser Ausnahmesituation klammert sich der Mensch doch wieder an den Glauben. Dann sind wir Priester gefordert. In solchen Situation müssen wir erreichbar sein – und das ist oft schwierig. Denn eine Taufe kann man planen, eine Notsituation kommt meist unvorhergesehen.

Verfügbarkeit ist also wichtig. Haben Sie sich darum bemüht?
P. Lackner: Ja, ich sage den Leuten, sie könnten sich jederzeit bei mir melden. Allerdings machen nur wenige von dem Angebot Gebrauch, nachdem ich die Krankensalbung gespendet habe. Oft werde ich erst wieder gerufen, um die Sterbegebete zu sprechen oder wenn es um das Begräbnis geht. Wir müssen unbedingt den Schatz der Krankensalbung, ein Sakrament, das aufrichten soll, ins Bewusstsein heben.

Machen Sie die Erfahrung, dass dieses Sakrament die Menschen tatsächlich aufrichtet?
P. Lackner: Viele haben mir dieses Feedback gegeben, besonders wenn sie es vor einer schweren Operation, einer Chemotherapie empfangen hatten.

Was bedeutet dieser Umgang mit Sterbenden für Sie persönlich?
P. Lackner: Anfangs war das für mich eine riesengroße Herausforderung – besonders, wenn man in eine Intensivstation gerufen wird, einem Sterbenden die Sakramente zu spenden. Durch das hoch technisierte Umfeld ist die Situation noch einmal bedrängender. Da war ich schon angsterfüllt und sehr aufgeregt. Wenn ich heute zu Sterbenden komme, nehme ich mich komplett zurück und bin innerlich ruhig. Da ist es meine Aufgabe, in der oft vorhandenen Aufgeregtheit, Ruhe und Hoffnung auszustrahlen. Ich lade die Anwesenden ein, gemeinsam die Sakramentenspendung zu feiern.

Wollen die Menschen in dieser Lebenssituation beichten?
P. Lackner: Das ist unterschiedlich. Es gibt jene, die wirklich reinen Tisch machen wollen. Oft sind das Leute, die über Jahrzehnte nicht gebeichtet haben. Bei dieser Gelegenheit kommt dann meist sehr viel hoch. Ich merke dann, welche große Hilfe das für die Menschen ist. Sie haben viel mitgeschleppt. Im Alltag war ihnen vieles nicht bewusst, sie meinten, das müsse man alles nicht so genau nehmen, es machten ohnedies alle so. Nun aber, da sie dem Tod ins Auge blicken, setzen sie sich intensiv mit ihrem Leben auseinander. Da ist es die Aufgabe des Priesters, den Menschen erfahren zu lassen, dass die Barmherzigkeit Gottes um ein Vielfaches größer ist als die schwerste Sünde. Gott hasst zwar die Sünde, Er liebt aber den Sünder. Hier darf man nicht den Fehler machen, das Geschehene zu verharmlosen. Wenn jemand sagt, er habe gesündigt, darf ich nur ja nicht sagen, das wäre alles nur halb so schlimm. Sünde bleibt Sünde, aber sie wird vergeben. Gott führt den Menschen aus der Sackgasse der erkannten Schuld heraus und schenkt ihm Vergebung.

Was würden Sie jemandem raten, der mit dem Sterben eines Angehörigen konfrontiert ist?
P. Lackner: Die meisten Todkranken wissen um ihre Lage Bescheid, ebenso ihre Umgebung. Und da wäre es wichtig, dass sich alle Beteiligten der Situation stellen. Man muss vermeiden, sich gegenseitig „anzulügen“. Dazu braucht es oft von außen Hilfe. Im Rahmen der Hospiz-Bewegung wird da wertvolle Hilfe geleistet. Allerdings ist es wichtig, dass dabei nicht die spirituelle Ebene außer Acht gelassen wird. Hier ist die Kirche gefragt. Da genügt nicht ein Gespräch, man muss sich auf einen Prozess einlassen.

Zum Schluss eine Frage zum Thema Begräbnis: Ist das nicht eine besondere Gelegenheit der Glaubensverkündigung?
P. Lackner: Die Beerdigung ist eine große Chance. Man muss sie allerdings wahrnehmen und sich bemühen, genau in die Situation der Betroffenen hineinzusprechen. Ich denke, es reicht nicht, allgemein über Tod und Auferstehung zu sprechen. Da sagt jeder: „Das ist eben der Job des Pfarrers.“ Es gilt, diese Wahrheiten in die konkrete Lebenssituation des Verstorbenen hineinzunehmen. Gestern habe ich eine 95-Jährige beerdigt. Sie war noch vor einer Woche in der Kirche auf ihrem Platz. Und da habe ich unter anderem gesagt, dass sich die Verstorbene jetzt sicher wünschen würde, dass ihr Platz in der Kirche nicht verwaist bleibt. Denn jeder Verstorbene hinterlässt ein Erbe – nicht nur ein materielles, um das dann oft gestritten wird. Dieses geistliche Erbe sollte die Familie ebenso antreten wie das materielle. Übrigens ein anderes Beispiel für geistliches Erbe: Der Vater, von dem ich erzählt habe, dass er im Kreise seiner Familie die Sakramente empfangen hat, hatte die Gewohnheit, sich mit jedem Kind anlässlich dessen Geburtstags zu einem Mittagessen zu treffen. Auf dieses Treffen bereitete er sich stets durch eine Stunde Gebet und Messe im Stephansdom vor. Die Kinder haben das übernommen: Wenn sie Geburtstag haben, gehen sie in den Dom und erinnern sich: Der Papa hat da die Messe mitgefeiert. Sie versuchen jetzt, das bei den eigenen Kindern auch zu machen.

Mit dem Tod ist die Betreuung also keineswegs zu Ende…
P. Lackner: Durchaus nicht. Ein wichtiger Aspekt ist die Trauerbegleitung. Ich lade die Hinterbliebenen ein, über ihre Trauer zu sprechen. Das wird recht gut angenommen, vor allem auch deswegen, weil das Mitleid der Mitmenschen relativ bald nachlässt. Dann heißt es: „Jetzt müsstest Du eigentlich schon darüber hinweg sein…“ Und damit kommen viele nicht zurecht. Diese Trauerbegleitung kann durchaus länger dauern – und sie kann auch über größere Distanzen erhalten bleiben. Aus meiner Zeit in Maria Enzersdorf gibt es immer noch Leute, die regelmäßig hier nach Frauenkirchen kommen und sich begleiten lassen.

Haben Sie erlebt, dass Menschen ruhig und erwartungsvoll in den Tod gegangen sind?
P. Lackner: Wenn ich mich an die Gesichter von Toten erinnere, so vermittelte mir das meist eine Ahnung von dem, was Vollendung bedeutet. Ein wirklich besonderes Erlebnis. Man spürt einen tiefen Frieden. Es wird deutlich: Da steht nicht der Schrecken der Trennung im Vordergrund, sondern es wird spürbar, dass der Tod die Vollendung des Lebens hier auf Erden, aber auch das Hineinbewegen in die Ewigkeit Gottes ist. Sie können wir nie in ihrer Fülle beschreiben, aber erahnen, dass sie etwas Großartiges sein muss. Ich denke an unseren Bruder Florian. In seinen letzten Stunden haben wir beinahe mit ihm geatmet. Als er seinen letzten Atemzug getan hat, ist er in eine neue Welt hinüber gegangen.

P. Thomas Lackner OFM war viele Jahre Pfarrer in Maria Enzersdorf und ist derzeit Pfarrer in Frauenkirchen. Mit ihm sprach CG.

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