Palästina 2010: Unterwegs von Bethlehem in israelisches Gebiet steigt an einem der Checkpoints eine bildhübsche, dunkelhaarige Palästinenserin zu uns in den Bus. Sie ist Reiseleiterin und Dolmetscherin, befreundet mit dem Ehepaar Fleckenstein, das uns auf unserer Wallfahrt ins Heilige Land führt. Khadra Zreineh begeistert uns gleich durch ihre fröhliche Art und mit ihrem ausgezeichneten Deutsch. Es war unser erstes Zusammentreffen mit ihr.
Nun war sie in Wien. Vor dem Mittagessen bei gemeinsamen Freunden bat ich sie um ein Interview, nachdem wir sie am Vorabend bei einem Vortrag in einer Wiener Pfarre gehört hatten. Sehr lebendig, berührend und humorvoll hatte sie uns da über ihr Leben und die Geschichte ihres Landes erzählt. Was wir über die schwierige Lage dort zu hören bekamen, hat uns aufgerüttelt, vieles ins rechte Licht gerückt. Beeindruckt hat uns ihr unerschütterlicher Glaube und ihre Hoffnung auf eine bessere, friedliche Zukunft in dem geprüften Land.
Ihre Familie stammt aus Bethlehem, erzählt sie mir am nächsten Tag. Auf der Suche nach einer guten Verdienstmöglichkeit und einem sicheren Leben im christlichen Europa übersiedeln die Eltern 1956 mit Khadras zwei älteren Geschwistern nach Deutschland, wo dann Khadra zur Welt kommt. In Bonn findet der Vater in einer Druckerei Arbeit. Khadra geht dort in die Schule, fühlt sich wohl. Der freizügige Lebensstil der Deutschen macht dem Vater jedoch Angst. Er möchte nicht, dass die Töchter diesem Einfluss länger ausgesetzt sind oder, Gott behüte, einen Deutschen heiraten.
Sein Recht auf Rückkehr hat er jedoch durch die lange Abwesenheit verwirkt. Den Urlaub darf die Familie jedoch in Palästina verbringen. Jedes Jahr ist das ihr Ferienziel. Allerdings gibt es die Möglichkeit, eine Familienzusammenführung zu beantragen. Der Großteil der Großfamilie lebt ja nach wie vor in Palästina!
Das versucht der Vater auch jedes Jahr – heimlich und vergeblich. 1978 ist es aber soweit. Khadra ist gerade 15 und die Familie, so meinen die Kinder, nur auf Urlaub bei den Großeltern in der Nähe von Bethlehem. Da erklärt der Vater: Wir bleiben hier (Denn der Staat Israel verlangt in so einem Fall, dass man ab sofort und für mindestens zwei Jahre ununterbrochen im Land bleiben muss). Das Entsetzen der Kinder kann man sich vorstellen: Schule, Freunde, Wohnung, Umfeld sind mit einem Schlag zu vergessen. Und: Nach Deutschland zu telefonieren ist zu teuer, Briefe schicken sehr unsicher.
Ist ihr nun alles fremd hier? Nein, denn die Ferien hatten sie ja stets hier verbracht. Auch wurden sie ja in Deutschland strikt palästinensisch erzogen. Khadra erzählt: „Deutschland hat auf der Türschwelle zu existieren aufgehört. Wir Mädchen durften uns keinerlei Freiheiten erlauben, denn die Ehre der Familie hat auf unseren Schultern gelastet.“ Sie fügt hinzu: „Damals habe ich das als zu streng empfunden. Wir seien Christen mit muslimischer Erziehung, habe ich mich immer beschwert. Heute, da ich Töchter und Söhne habe, bin ich den Eltern dankbar, verstehe jetzt, wie schwierig es ist, Mädchen im heutigen Europa zu erziehen. Dankbar bin ich meinem Vater auch dafür, dass er nicht zuließ, dass ich diesem Land, meinen Landsleuten und der palästinensischen Gesellschaft entfremdet wurde.“
1978 ist sie also, ob sie will oder nicht, im Land ihrer Vorfahren und, wie sie bald feststellt, als unverheiratetes Mädchen – im Gegensatz zu verheirateten Frauen – in ihren Freiheiten recht beschränkt. Also beschließt sie, bald zu heiraten. Ihre Mutter und eine ihrer Freundinnen sind sich bei einem Kaffeekränzchen bald handelseinig: Die eine hat eine hübsche, heiratswillige Tochter, die andere einen feschen Sohn, Basem. Hochzeiten, so erfahre ich, wurden beim Kirchgang, bei Verlobungen oder Hochzeiten eingefädelt. Allerdings besteht Khadra darauf, den jungen Mann zuerst besser kennenzulernen – nicht nur „auf einer Couch sitzend von Familienmitgliedern beäugt“.
So gibt es heimliche Treffen bei einer Tante: Dort trifft sie den Auserwählten allein im Wohnzimmer. Mehr war da nicht drin, sei ergänzend hinzugefügt. „ Ja, da haben wir uns neun Monate hindurch jeden Tag gesehen. Und jeden Tag gestritten und diskutiert,“ erklärt sie lächelnd. Denn: „Es gab jeden Tag eine Meinung, eine Haltung, die ich so nicht akzeptieren wollte. Lasse ich das jetzt zu, dachte ich, kann ich das später nicht mehr ändern.“ Auch für Basem nicht ganz einfach: Durch ihre deutsche Vergangenheit ist Khadra offener als die Mädchen im Lande: Sie spricht aus, was sie denkt, geht auf die Leute zu, ist nicht so zurückhaltend, wie er das gewohnt ist… So gibt es einige Hindernisse zwischen beiden zu überwinden.
War das rückblickend gut so? Überzeugt antwortet sie „Sehr, denn in dieser Zeit haben wir alles Wichtige geklärt.“ Tatsächlich: Die Beiden machen auf uns einen ausgesprochen harmonischen und entspannten Eindruck. An dieser Art des Kennenlernens ist offenbar etwas dran!
Am 9. September 79 wird geheiratet. Im Oktober 80 kommt der erste Sohn auf die Welt, 85 und 87 die Töchter und der jüngste Sohn 92.
Wie war das Leben damals? „Es gab keine Checkpoints, keine Mauern, keine Wachposten, wohl aber die Besatzung.“ Denn seit 1967 waren das Westjordanland und der Gazastreifen durch Israel besetzt. „Soldaten waren in der Stadt, vor der Haustür oder am Markt, man musste sich oft ausweisen und Steuern ohne Gegenleistung an die Besatzer zahlen. Finanziell ging es uns schlecht. Aber: Ich durfte in Jerusalem einkaufen, Freundinnen oder einen Arzt aufsuchen. Eine absurde Situation, wenn man die heutige bedenkt. Wir waren besetzt, spürten aber keinen Freiheitsentzug.“
Im Dezember 1987 kommt es zur ersten Intifada (was soviel wie „abschütteln“ – der israelischen Besatzung – bedeutet), zur gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Palästinensern und der israelischen Armee. In dieser Zeit reist Khadra erstmals wieder nach Deutschland, wegen einer Schilddrüsenoperation „Unter der Intifada wäre so ein Eingriff bei uns nicht möglich gewesen. Meine deutschen Freunde haben mir das ermöglicht. Allerdings hatte ich keinen Reisepass, nur einen befristeten Laissez-Passé für neun Monate. Wäre ich in dieser Zeit nicht heimgekehrt, wäre mir der weitere Aufenthalt in Israel verweigert worden.“ Diesen Passierschein musste man bei der Besatzungsbehörde beantragen.
Damals flog sie von Tel Aviv nach Deutschland, was heute nicht mehr möglich ist. Heute müssen sie über Jordanien, über drei Grenzen mit stundenlangen Wartezeiten ausfliegen.
Wie hat sie diese Rückkehr erlebt? „In meiner Jugend dachte ich immer, ich hätte mein Leben in Deutschland verpasst. Als ich meine Freundinnen sah, haben wir über unsere Leben erzählt. Und da bin ich dankbar zurückgekehrt, weil ich gemerkt habe, dass ich als einzige wirklich glücklich war.“ Alle anderen hatten entweder familiäre Probleme oder noch nicht ihren Platz im Leben gefunden, erzählt sie.
Ich staune und sie ergänzt: „Ich bin Gott dankbar, dass ich anderen hier mein Leben als Christin vorleben darf. Es ist ganz wichtig, dass wenigstens einige Christen im Land bleiben. Im Hl. Land wohnen derzeit nur noch 1,2% Christen, in Bethlehem 19%. Die müssen das nicht groß hinausposaunen, einfach nur durch ihr Leben davon Zeugnis geben, was Jesus gelehrt hat – auch wenn das nicht immer einfach ist.“
Mangels Waffen warfen während der Intifada palästinensische Kinder und Jugendliche mit Steinen auf die Panzerwagen der Besatzer: „Ich habe meinen Kindern verboten, Steine zu werfen. Dazu muss man sagen, dass die Militärfahrzeuge der Israelis vor den Schulen nur darauf warteten, um, sollten sie beworfen werden, die Schule zu schließen. Die dummen Kinder warfen nun die Steine, um nicht in die Schule gehen zu müssen. Meinem Sohn und seinen Freunden versuchte ich zu erklären: ‚Wenn du Steine wirfst und von den Militärs per Plakat gesucht wirst, kannst du für deine Familie und dein Land nichts mehr tun. Wohl aber wenn du einen gescheiten Beruf erlernst. Dann wird deine Familie stolz auf dich sein’. Für einen Jungen, der nicht als Feigling dastehen will, war das schwer zu begreifen. Meine Botschaft ist nicht angekommen. Also musste ich meinen Sohn von der Schule abholen, täglich. Tatsächlich wurde die Schule, wie viele andere, dann auch geschlossen.“
Zwischen 1989 und 2002 entsteht durch Schließung vieler Schulen eine große Bildungslücke. Gemeinsam mit Nachbarinnen beschließt Khadra, den Kindern auf der Straße Nachhilfe-Unterricht zu geben. „Nach drei Tagen stürmt ein Militärfahrzeug heran. ,Warum versammelst du da Jugendliche?’, wurde ich angeherrscht. Man beschuldigte mich, die Kinder zum Widerstand anzustacheln. Ich darauf: ,Nur langsam. Wenn ich das wirklich wollte, würde ich mir einen Bunker suchen. Außerdem: Schau da auf dem Tisch: keine Flughafenpläne sondern Schulbücher. Dann haben die Soldaten das ganze Haus durchstöbert und erkannt: Da war nichts Gefährliches geschehen. Doch ich musste die Kinder heimschicken, durfte keinen Unterricht mehr geben.“ Ganz schön mutig, denke ich voll Bewunderung.
Die erste Intifada wird 1993 nach dem Oslo Abkommen beendet: Palästina wird da in drei Zonen: A, B und C eingeteilt. Eine Sicherheitsmaßnahme, wie es heißt: In Zone A hat die Autonomiebehörde, also die Palästinenser, die Aufsicht. Zu ihr gehören Bethlehem, Ramallah, Hebron… In dieser Zone leben nur Christen und Muslime. Israelischen Bürgern ist das Betreten der A-Zone nicht gestattet. Palästinenser wiederum dürfen nicht nach Israel. In der B-Zone stehen die Siedlungen der Juden auf palästinensischem Gebiet. Sie steht unter palästinensischer wie auch unter israelischer Verwaltung. Schließlich gibt es die C-Zone, sie umfasst 21% der Fläche, die 1967 für den Staat Palästina vorgesehen war. Hier leben Palästinenser, aber unter dem Militärgesetz der Israelis.
Wenn man sich das auf einer Landkarte ansieht, ist das der reinste Fleckerlteppich: Da und dort eine kleine A oder B Zone, dazwischen und rundherum C (also israelisches Militärgebiet)! Und überall Checkpoints und Kontrollen beim Reisen durch Palästina. Man versteht es, wenn Khadra sich fragt. „Und damit sollen wir einen Staat aufbauen?“
Und dabei klingen weder Zorn noch Feindseligkeit aus ihren Worten – trotz der vielen Ängste, Sorgen und Unannehmlichkeiten, die ihren Alltag prägen – etwa bei der Wasser- und Stromversorgung. In beidem sind sie von Israel abhängig. „Wir bekommen immer nur einen Teil von dem, was wir brauchen würden und wissen nie, wann das sein wird. Wir zahlen jedoch dreimal so viel wie die Leute in Israel und kommen mit dem Wasser nur aus, weil wir fast alle Zisternen haben und das Regenwasser auffangen – was dessen Qualität bei großer Hitze nicht zuträglich ist. Aber wir sind abgehärtet und trinken es trotzdem, denn höchstens dreimal im Monat haben wir fließendes Wasser.“ Ich erinnere mich gut daran, dass ich mich bei unserem Besuch in ihrem Land gefragt hatte, warum auf den Flachdächern Wasser gesammelt wird.
„Steigt einem da nicht die Galle hoch?“, frage ich. „Ich darf stolz und dankbar sagen, dass ich niemanden hasse. In diesem Sinn durfte ich auch meine Kinder erziehen und Einfluss auf meine Großfamilie nehmen. Da habe ich auch viel von meiner Mutter gelernt. Ein Beispiel: Mein Elternhaus liegt am Berg in Beit Jala, strategisch so gut gelegen, dass die israelischen Soldaten unser Flachdach besetzt hatten. Die jungen Soldaten boten immer wieder Anlass zu Ärger. Als sie schließlich die Katze des Hauses erschossen, beschwerte sich die Mutter bei deren Vorgesetzten. Dieser ersetzte die Gruppe durch ältere Soldaten die versprachen keinen Ärger mehr zu machen.
Als die Mutter dieser Gruppe einmal Kaffee kocht, haben weder ich noch sonst jemand von der Familie Verständnis für diese christliche Handlung. ,Du kannst denen doch nicht Kaffee machen,’ heißt es. ,Warum nicht, sie sind doch nett. Wir müssen auch sie lieben und ihnen verzeihen.’ Das hat mich geprägt und meinen Glauben gestärkt.“
Als ein Soldat später Khadras Kindern Süßigkeiten anbietet und erklärt, er hätte Kinder im selben Alter, erlaubt sie den Kindern, das Angebot anzunehmen, überwindet ihre Angst und Abneigung, damit die Kinder lernen, nicht zu hassen. „Ich habe ihnen dann erklärt, dass es zwar nicht richtig ist, dass die Soldaten da oben auf dem Dach sind, aber wenn ein Mensch Nächstenliebe zeigt, soll man das nicht ablehnen.“
Im Oktober 2000 bricht auf dem Jerusalemer Tempelberg die zweite Intifada los. Traurig erzählt sie: „Man wollte sich gegen die Besatzung wehren. Aber es artete in Attentate und Terror in Israel aus. Da war abzusehen: Gewalt bringt Gewalt hervor. Und das hat uns dann die Mauer eingebracht.“ Diese Sperrmauer wird 2002 – offiziell, um Attentate zu verhindern – gebaut. „Am Eingang von Bethlehem ist sie neun Meter hoch. Sie umgibt 6.000 Quadratkilometer, in denen etwa drei Millionen Menschen leben. Aus diesem Bereich dürfen die Palästinenser nicht hinaus, außer mit Sondergenehmigung. Zu Ostern bekommen Christen – allerdings nicht alle – die Erlaubnis, in die Grabeskirche nach Jerusalem zu gehen. Es ist wie ein Lottospiel. Man weiß es nie im Voraus. Muslime bekommen so eine Genehmigung zu Ramadan…“
„Denkt man da nicht doch ans Auswandern?“, frage ich. „Meine Erfahrungen haben dazu beigetragen, dass ich nicht mehr ans Auswandern denke. Auch mein Glaubensweg ist stark vom selbstverständlichen Glauben der Christen im Hl. Land geprägt. Viele fragen sich, wieso man bei all den Ärgernissen, die rund um uns geschehen, nicht den Glauben verliert. Die Antwort: Weil hier so viele kleine und große Wunder geschehen. Denn wer bei uns im Land nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.“ Eines dieser Wunder ist für sie ein Ereignis während der zweiten Intifada: Bethlehem und Beit Jala wurden jede Nacht von gegenüberliegenden Siedlungen beschossen, aber nur nachts: „Meine Schwiegermutter ging einmal tagsüber mit einem Nachbarn hinaus, um Oliven hinter dem Haus zu ernten. Plötzlich ging ein Feuergefecht los. Ich höre oben im Zimmer, wie meine Schwiegermutter ruft, es habe sie erwischt. Ich fliege zu ihr hinunter und sehe: Aus einer Wunde neben ihrer linken Brust schießt Blut heraus. Ich versuche, das Bluten zu stillen. Vergebens. Trotz der Ausgangssperre ist mein Mann mit ihr sofort ins Krankenhaus. Dort stellt man einen glatten Durchschuss fest – einen Millimeter weiter und sie wäre auf der Stelle tot gewesen. Die Wunde wird gesäubert, mit einem Pflaster verbunden. Mit einem Antibiotikum wird die Schwiegermutter entlassen. Das war für uns ein großes Wunder. Dazu ist zu sagen: Unser Haus war die ganze Zeit hindurch Ort des Gebets. Sobald es dunkel war, kamen unsere Nachbarn zu uns und wir haben jede Nacht für den Frieden gebetet.“
Trotz der widrigen Umständen geht das Leben weiter. Khadra beginnt, nachdem die Kinder erwachsen sind, eine Ausbildung als Dolmetscherin, Reiseleiterin und Fremdenführerin in Palästina. „Mit meinen Führungen und in meinen Vorträgen versuche ich, das Missverständnis aus der Welt zu schaffen, dass die Palästinenser die Juden hassen. Das ist einfach nicht wahr. Die Medien informieren völlig falsch über die wahren Zustände in Israel.“
So erzählt sie gern von friedlichen Zusammenkünften, echtem Shalom zwischen Juden, Moslems und Christen. „Jeder Palästinenser hat einen Freund auf der anderen Seite. Wir rufen uns zu den jeweiligen Festen an. Wenn sich die Möglichkeit ergibt, treffen wir uns in Jerusalem. Wir haben kein Problem mit den Juden, nur mit der israelischen Regierung,“ betont sie. „Ich sage immer: Christen, Muslime und Juden haben in der Gesellschaft kein Problem, miteinander zu leben. Die Altstadt von Jerusalem ist der beste Beweis, dass dies nicht unmöglich ist. Da grüßt der Rabbi den Scheich jeden Morgen beim Kaffee. Christen, Muslime und Juden arbeiten und leben dort nebeneinander. Felsendom, Grabeskirche und Klagemauer stehen da in unmittelbarer Nähe zueinander.“
Folgende Geschichte hat sie besonders geprägt: „Im Nachbarort steht eine deutsche Schule. Dort hat mein ältester Sohn sein Abitur gemacht. Dem Direktor gelang es damals, mit einer Schule in Tel Aviv einen Austausch zu organisieren. Die Kinder waren begeistert. Der Höhepunkt war, dass die israelischen Abiturienten auch zu uns in der Schule kamen.“ „Juden in der palästinensische A-Zone?“, frage ich. „Ganz einfach: Der Schulkomplex ist so groß, dass der Haupteingang in der C-, der Hintereingang in der A-Zone liegt. Durch den einen durften die Palästinenser, durch den anderen die Israeli hinein. So konnten sie sich im Inneren treffen und es entstand überhaupt ein Ort friedlicher Zusammenkünfte verschiedenster Art.“ Erstes Wunder!
Das zweite war, dass es Khadra mit Hilfe des Schuldirektors gelang, zwei jüdische Buben, mit denen sich ihr Sohn angefreundet hatte, zu sich nach Hause einzuladen. „Wir haben einen wunderbaren palästinensischen, jüdischen, christlichen Tag verbracht.“
Und noch eines dazu!: 2002: Die israelische Armee marschiert in Bethlehem ein. Ausgangssperre. Nur alle 10 Tage drei Stunden Zeit, um Lebensmittel einzukaufen. Doch es ist Ostern und Khadra möchte mit anderen Frauen wenigstens in der nahen Geburtskirche feiern. Eine kleine Prozession, keine aggressive Demonstration. Wie gesagt: sehr mutig und tiefgläubig diese Frau.
Kaum ist die Gruppe auf der Hauptstraße folgen ihnen ein Militärwagen und ein Panzer bis zur Kirche, halten sie aber nicht auf. Ebenso werden sie nach der Messe nach Hause eskortiert. Zum Schluss ist Khadra mit ihren Töchtern und einem Panzer im Nacken allein auf der Straße.
„Ich hatte zwar keine Angst, aber das Gefühl, einen Panzer im Rücken zu haben, ist schwer zu beschreiben. Daheim angekommen, wollte ich noch ein Zeichen setzen. Es war Ostern, Fest der Versöhnung, der Freude: So wollte ich mich umdrehen, bei den Soldaten bedanken, die uns nicht behindert hatten. Als ich mich nun umdrehe, öffnet sich oben der Deckel. Aha, jetzt wollen sie mich doch mitnehmen, schießt es mir durch den Kopf. Ich erstarre, bis einer der Soldaten mich mit Namen begrüßt: ,Frau Zreineh keine Sorge, wir sind die Freunde ihres Sohnes, wir waren bei Ihnen vor ein paar Jahren.’ Obst und Lebensmittel hatten sie auch für uns. In diesem Moment erlebte ich alle Gefühle, die ein Mensch empfinden kann: ich war froh, ich war traurig, ich war glücklich – und unheimlich wütend, dass ich diesen Moment nicht einfach weiterleben durfte. Warum kam der Friede aus diesem Panzer und nicht von den beiden Regierungen, die doch angeblich beide so gläubig sind – warum? Und doch: An diesem Tag hat Gott mir gezeigt, dass für Ihn nichts unmöglich ist.“
Und Khadra schließt mit den Worten: „ Ja, Gottvertrauen habe ich hier im Land gelernt. Das Hl. Land ist ein großer Segen. Wer zu uns ins Heilige Land kommt kann dies mitbekommen und den Segen mitnehmen.“