VISION 20005/2015
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Aufruf zum Kampf für das Leben!

Artikel drucken Die Genderideologie – eine fundamentale Herausforderung für das christliche Menschenbild (Von Kardinal Robert Sarah)

Ein Kardinal spricht Klartext: In einem soeben erschienenen Buch nimmt er zu Fragen von Kirche und Welt Stellung. Beson­ders relevant: seine Aus­sagen zu The­men, um die es bei der kom­menden Bi­schofssynode geht. Im Fol­gen­den Auszüge aus dem Buch.

Ich sage unumwunden, dass sich die Kirche ideologischen Lügen stets widersetzen muss. Heute muss sie der Gen­der­ideologie die Stirn bieten, die Johannes Paul II. nicht zögerte, als „neue Ideologie des Bösen“ zu bezeichnen. Übrigens ist das Gender, die Frucht der Reflexion der amerikanischen Strukturalisten, ein missgestaltetes Kind des marxistischen Denkens. (…)
Die Genderideologie transportiert eine primitive Lüge, da sie die Realität des Menschen als Mann und Frau negiert. Durch die feministischen Lobbys und Bewegungen wird sie mit Gewalt befördert. Sie hat sich schnell in einen Kampf gegen die soziale Ordnung und ihre Werte gewandelt. Ihr Ziel ist nicht nur die Dekonstruktion des Menschen; sie interessiert sich vor allem für die Dekonstruktion der sozialen Ordnung.
Es geht darum, in Bezug auf die Legitimität sozialer Normen Unruhe zu stiften und im Hinblick auf das Modell der Heterosexualität Argwohn zu erregen; nach Auffassung der Genderideologie muss die christliche Zivilisation abgeschafft und eine neue Welt aufgebaut werden. (…)
Für eine derartige Täuschung sehe ich keine Zukunft. Meine Sorge gilt eher der Art und Weise, wie Staaten und internationale Organisationen versuchen, mit allen Mitteln den Dekonstruktivismus, die so genannte Gender-Philosophie, im Gewaltmarsch durchzusetzen. (…)
Auf die Gefahr hin zu schockieren, denke ich, dass der westliche Kolonialismus sich in Afrika und Asien auch heute noch fortsetzt – noch heftiger und perverser durch die gewaltsame Durchsetzung einer falschen Moral und verlogener Werte. Ich leugne nicht, dass die europäische Zivilisation große Wohltaten beisteuern konnte, insbesondere durch ihre Missionare, die oftmals große Heilige waren. Sie hat überall die Worte der Evangelien verbreitet wie auch schöne, durch das Christentum gestaltete kulturelle Ausdrucksformen.
Mit Recht betonte Benedikt XVI. in der „Lectio Magistralis “, die er als Kardinal Ratzinger 2004 hielt, dass „ein zweiter Punkt, in dem die europäische Identität aufscheint, die Ehe und Familie ist. Die monogame Ehe als grundlegende Struktur der Beziehung zwischen Mann und Frau und zugleich als Keimzelle der staatlichen Gesellschaft hat sich auf der Grundlage des biblischen Glaubens herausgebildet.“
Umgekehrt gibt es wiederholte Versuche, eine neue Kultur einzubürgern, die das christliche Erbe in Abrede stellt. In Bezug auf meinen Herkunftskontinent möchte ich mit allem Nachdruck den Willen anprangern, falsche Werte aufzuzwingen, indem man sich politischer und finanzieller Argumente bedient. In manchen afrikanischen Ländern wurden Genderministerien im Austausch gegen wirtschaftliche Förderung eingerichtet! Einige afrikanische Regierungen, die zum Glück in der Minderheit sind, haben dem Druck zugunsten eines allgemeinen Zugangs zu sexuellen und reproduktiven Rechten bereits nachgegeben.
Mit großem Schmerz stellen wir fest, dass die reproduktive Gesundheit (ein Maßnahmenpaket zu dem Abtreibung gehört, Anm.) zu einer weltweiten politischen „Norm“ geworden ist, die das Perverseste enthält, was der Westen der übrigen Welt auf ihrer Suche nach einer ganzheitlichen Entwicklung anzubieten hat. Wie können die westlichen Staatsoberhäupter nur einen derartigen Druck auf ihre Amtskollegen aus oftmals schwachen Ländern ausüben? Die Gender­ideologie ist zur perversen Bedingung für die Kooperation und Entwicklung geworden.
Im Westen fordern Homosexuelle, dass ihr Zusammenleben juristisch anerkannt werde, um es der Ehe gleichzustellen; in Anknüpfung an deren Forderungen üben Organisationen starke Pressionen aus, damit dieses Modell auch von den afrikanischen Regierungen im Sinne der Einhaltung der Menschenrechte anerkannt werde. In diesem konkreten Fall überschreiten wir meines Erachtens die Grenzen der Moralgeschichte der Menschheit.
In anderen Fällen kann ich das Vorhandensein internationaler Programme feststellen, die die Abtreibung und die Sterilisation von Frauen aufzwingen. Diese Politiken sind umso abscheulicher, als der größte Teil der afrikanischen Bevölkerungen fanatischen westlichen Ideologen schutzlos ausgeliefert ist. Die Armen bitten um ein wenig Unterstützung und die Menschen sind grausam genug, ihren Geist zu verderben.
Afrika und Asien müssen ihre Kulturen und ihre eigenen Werte unbedingt schützen. Die internationalen Organisationen haben in der Tat keinerlei Recht, diesen neuen malthusianischen und brutalen Kolonialismus zu praktizieren. Aus Unwissenheit oder Komplizenschaft wären die afrikanischen und asiatischen Regierungen schuld daran, wenn ihre Völker euthanasiert würden. Die Menschheit verlöre so viel, wenn diese Kontinente in dem dichten Morast versinken würden, der sich nicht von dem einem unmenschlichen Ideal zugewandten Globalismus unterscheidet, der in Wirklichkeit eine abscheuliche oligarchische Barbarei ist.
Der Heilige Stuhl muss seine Rolle spielen. Wir können nicht die Propaganda und die Interessengruppen der LGBT-Lobbys (der Lobbys der Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen) akzeptieren. Der Vorgang ist umso beunruhigender, als er sich rasant und erst jüngst abspielt. Woher kommt dieser erzwungene Wille, die Gendertheorie durchzusetzen? Sollte eine anthropologische Sicht, die noch vor einigen Jahren unbekannt war – das Ergebnis des sonderbaren Denkens einiger Soziologen und Schriftsteller wie Michel Foucault –, damit zum neuen Eldorado der Welt werden?
Vor einem solchen unmoralischen und dämonischen Betrug ist es unmöglich, untätig zu bleiben. Papst Franziskus kritisiert zu Recht das Vorgehen des Dämons, der daran arbeitet, die Fundamente der christlichen Zivilisation zu untergraben. Hinter der neuen prometheischen Sicht Afrikas oder Asiens steht das Brandzeichen des Teufels. Die eifrigsten Feinde der Homosexuellen sind die LGBT-Lobbys selbst. Es ist ein großer Irrtum, ein Individuum auf seine Verhaltensweisen, insbesondere auf seine sexuellen, zu reduzieren. Letztlich rächt sich die Natur immer. (…)
Die internationalen Statistiken über die Abtreibungen sind erschreckend. 2014 wurde weltweit von vier Schwangerschaften etwa eine absichtlich abgebrochen. Das bedeutet etwas mehr als 40 Millionen Abtreibungen in einem einzigen Jahr. Diese Anzahl ist umso beachtlicher, als das Recht auf Abtreibung – das heißt die legale Erlaubnis, ein unschuldiges Baby zu töten – in drei Viertel der Länder glücklicherweise sehr beschränkt bleibt.
Bei der außerordentlichen Synode über die Familie im Oktober 2014 erklärte uns der Erzbischof von Ho-Chi-Minh- Stadt, Msgr. Paul Bui Van Doc, dass der dramatischste Fall Vietnam sei. Tatsächlich werden in dem Land 1.600.000 Abtreibungen pro Jahr praktiziert, davon 300.000 bei Jugendlichen von 15 bis 19 Jahren. Für das Land handelt es sich um eine wahre Katastrophe.
In Frankreich werden jährlich 220.000 freiwillige Schwangerschaftsabbrüche praktiziert, das heißt, auf drei Geburten kommt eine Abtreibung. Es gibt eine mit gigantischen Mitteln finanzierte Kriegserklärung gegen das Leben. Wie kann man es begreifen, dass so viele wehrlose Kinder im Schoß ihrer Mutter unter dem Vorwand eines Rechtes der Frau auf die Freiheit ihres Körpers beseitigt werden?
Der Kampf um die Würde der Frau ist ein edler und harter Kampf, doch er verläuft nicht über den Mord an ungeborenen Kindern. Johannes Paul II. war sich darüber bewusst, dass sich hinter den noblen Absichten ein regelrechtes Kampfprogramm gegen das Leben verbirgt. Wenn ich in Afrika die wahnsinnig hohen Summen sehe, die von der Bill & Melinda Gates Foundation mit dem Ziel versprochen werden, den Zugang zur Verhütung für Frauen und unverheiratete Mädchen exponentiell zu steigern und damit den Weg zur Abtreibung frei zu machen, kann ich angesichts eines solchen Todeswillens nur aufbegehren. (…)
Wenn wir aus der Kultur des Todes nicht aussteigen, läuft die Menschheit in ihr Verderben. Zu Beginn dieses dritten Jahrtausends gilt die Vernichtung von Leben nicht mehr als Barbarei, sondern als ein Fortschritt der Zivilisation; das Gesetz gibt unter einem Recht zur individuellen Freiheit vor, dem Menschen die Möglichkeit zu geben, seinen Nächsten zu töten. Die Welt könnte zu einer regelrechten Hölle werden. Es handelt sich nicht mehr um einen Verfall, sondern um eine Schreckensdiktatur, um einen programmierten Genozid, für den die westlichen Mächte verantwortlich sind.
Dieser erbitterte Kampf gegen das Leben stellt eine neue entscheidende Etappe in dem erbitterten Kampf gegen den Plan Gottes dar. Dennoch stelle ich bei all meinen Reisen ein Erwachen der Gewissen fest. Die jungen Christen Nordamerikas treten zunehmend in den Vordergrund, um die Kultur des Todes zurückzudrängen. Gott schläft nicht. Er ist wirklich bei denen, die das Leben verteidigen!

Auszüge aus Gott oder Nichts - Ein Gespräch über den Glauben. Von Robert Kardinal Sarah, fe-Medienverlag, 399 Seiten, 18,30 Euro


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